Penzberg:Schritt halten mit Roche

Internetcafé, Kinderbetreuung, Zahlen mit Kreditkarte: Der Konzern vermisst in der Bergarbeiterstadt vieles, was für die Belegschaft normaler Standard wäre.

Silke Bigalke

Michelle Scheffler wollte sich erstmal umsehen, bevor sie entschied, Wisconsin gegen Oberbayern zu tauschen. Im August 2010 kam die Personalerin vom Roche-Standort Madison auf Probe für drei Wochen nach Penzberg. Als die Zeit um war, kaufte sie zum Abschied Kuchen für die Kollegen und wollte in einer Penzberger Bäckerei mit Kreditkarte zahlen.

Penzberg: Die Behaglichkeit der Stadt Penzberg wirkt für viele ausländische Roche-Mitarbeiter zu provinziell. Es gibt kein Internet-Café, die Kinderbetreuung reicht nicht aus, und Kreditkarten sind unüblich.

Die Behaglichkeit der Stadt Penzberg wirkt für viele ausländische Roche-Mitarbeiter zu provinziell. Es gibt kein Internet-Café, die Kinderbetreuung reicht nicht aus, und Kreditkarten sind unüblich.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Michelle konnte damals kein Wort Deutsch, die Dame hinter der Theke kein Englisch. Sie schüttelte mit dem Kopf: Kreditkartenzahlung nicht möglich. Irgendwan gab die Verkäuferin ihr das Kuchenpaket einfach so mit. Bis heute ist Michelle die Geschichte auch ein wenig peinlich.

Roche Diagnostics, eine Sparte des Pharma-Konzerns Roche, hat seinen größten europäischen Biotechnologie-Standort in Penzberg. Claus Haberda leitet das Werk mit 5000 Mitarbeitern. 4,1 Prozent von ihnen haben keinen deutschen Pass; Das ist nichts im Vergleich zum Roche-Hauptsitz in Basel, der so viele internationale Mitarbeiter hat, dass dort Englisch, Französisch und Spanisch gleichberechtigt mit Deutsch gesprochen wird.

Auch Haberda hätte gerne deutlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland. Doch Penzberg ist nicht Basel, ausländische Mitarbeiter haben es hier schwer. Mit Englisch kommen sie in den meisten Geschäften nicht weiter, Taxen sind immer knapp, Kreditkartenzahlung fast nirgendwo möglich, es gibt kein Internetcafé, in dem Neuankömmlinge zu den Daheimgebliebenen Kontakt aufnehmen könnten, und keinen Waschsalon, listet Haberda die Lücken auf. Er empfiehlt einigen der neuen internationalen Kollegen, nach München zu ziehen, weil sonst "der Kulturschock doch sehr groß wäre".

Auf Dauer ist das keine Lösung, denn der Weg aus München ist weit und die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht. Die Zahl der Mitarbeiter, die der Pendelei überdrüssig sind und Roche deswegen verlassen, habe in den letzten beiden Jahren zugenommen, sagt Erwin Pogacnik, Leiter Human Resources. "Die Stadt muss so attraktiv werden, dass mehr Mitarbeiter entscheiden nach Penzberg zu ziehen", fordert Werkleiter Haberda. Er kann kaum glauben, dass es trotz des hohen Jugendanteils beispielsweise kein Internetcafé gibt. "Wir müssen hier schnell Entwicklungshilfe leisten", sagt er und spricht regelmäßig mit der Stadt. Auch die Kinderbetreuung in Penzberg reicht Roche nicht. Diese baut die Stadt zwar gerade aus, doch nicht schnell und umfangreich genug, sagt Personalleiter Pognacnik.

Verzwickte Lage für Penzberg

Für die Stadt Penzberg ist die Lage verzwickt: Einerseits ist Roche als größter Arbeitgeber und Hauptquelle der Gewerbesteuereinnahmen enorm wichtig für sie. Andererseits darf die Stadt ihre Entscheidungen nicht von einem Unternehmen abhängig machen. "Wir werden alles tun, um die notwendige Infrastruktur bereit zu stellen", sagt Penzbergs Bürgermeister Hans Mummert (SPD), schließlich habe Roche über eine Milliarde Euro in den Standort investiert.

Mummert ist der gute Kontakt zu Werkleiter Haberda wichtig, er möchte über Entwicklungen am Werk Bescheid wissen. Im Gegenzug bemüht sich der Bürgermeister unter anderem, Haberdas Wunsch nach einem Business Hotel für internationale Geschäftsreisende Rechnung zu tragen. Hier gab es bereits Gespräche mit einem Projektentwickler.

Auch die Kinderbetreuung soll weiter ausgebaut werden. Bereits heute haben 40 Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Platz, damit liegt Penzberg über dem bundesweiten Ziel von 35 Prozent bis 2013. "Wir wollen diesen Herbst noch mal nachlegen, denn Penzberg hat als Wirtschaftsstandort einen höheren Bedarf", sagt Hauptamtsleiter Roman Reis. Was andere Forderungen wie der nach einem Waschsalon oder mehr Taxen angeht, müssten private Anbieter diese als Marktlücke entdecken.

"Außerhalb der Arbeit musst du Deutsch können"

Der Bioinformatikerin Chia-Huey Ooi aus Singapur hat Penzberg auch ohne Waschsalon von Anfang gefallen. "Es war für mich nicht leicht, einen Job zu finden", sagt sie, für ihre spezielle Qualifikation gibt es weltweit nicht viele Stellen. In Singapur hat Chia-Huey als Post-Doktorandin gearbeitet. Ihr Vorstellungsgespräch bei Roche war im Oktober, danach hat sie sich Penzberg angesehen. "Hier habe ich alle Geschäfte, die ich brauche. Singapur war mir zu überfüllt."

Jetzt lernt Chia-Huey Deutsch. "Außerhalb der Arbeit musst du das hier können", sagt sie. "Du kannst nicht erwarten, dass dich in Penzberg sonst jemand versteht." Stolz zeigt Chia-Huey auf ihre kinnlangen Haare; sie war zum ersten mal ohne Dolmetscher beim Friseur.

Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg

Für Roche sind Mitarbeiter wie sie aus zwei Gründen wichtig: Zum einen gibt es in Deutschland einen wachsenden Fachkräftemangel. Zum anderen ist Roche ein internationaler Konzern mit 75 000 Mitarbeitern, die in Teams über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Etwa 40 Abteilungen im Penzberger Werk werden von anderen Standorten irgendwo in der Welt aus geleitet. "Unsere Mitarbeiter können nicht davon ausgehen, dass sie immer einen Bayern als Vorgesetzten haben - sie müssen lernen, sich international zu bewegen", sagt Haberda. "Da hilft es, wenn sie hier schon beim Mittagessen mit ihren internationalen Kollegen englisch reden."

Die Amerikanerin Michelle hat übrigens nach drei Wochen Penzberg beschlossen, mit ihrer Familie nach Oberbayern zu ziehen und hier für Roche zu arbeiten. Weil ihre beiden Söhne, 13 und 15 Jahre alt, auf die internationale Schule in Starnberg gehen, leben sie in Tutzing. Manchmal wünscht sich Michelle noch, dass sie sonntags ihr Auto waschen darf und die Geschäfte wie in den USA 24 Stunden am Tag geöffnet haben. Kürzlich hat sie sich ihr erstes Dirndl gekauft.

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