Stadtentwicklung:Das unscheinbare Haus

Stadtentwicklung: Die Stadt Penzberg plant einen großen Busbahnhof. Er soll zwischen Bahngleis und ehemaliger Post gebaut werden. Das Haus Philippstraße 30 müsste dafür abgerissen werden.

Die Stadt Penzberg plant einen großen Busbahnhof. Er soll zwischen Bahngleis und ehemaliger Post gebaut werden. Das Haus Philippstraße 30 müsste dafür abgerissen werden.

(Foto: Manfred Neubauer)

Es ist nicht zum ersten Mal Thema, dass das Haus Philippstraße 30 in Penzberg abgerissen werden könnte. Für die Bewohner bedeutet das eine ständige Zitterpartie und nervliche Belastung.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Alfred G. sitzt mit einem dicken Aktenordner auf dem Sofa. Gemütlich warm ist es in der guten Stube der 82 Quadratmeter großen Wohnung. Im Winter, wenn die Bäume kein Laub tragen, kann man sogar jenseits des Bahngleises weit in die Berge sehen. Seit Jahrzehnten leben er und seine Ehefrau Silvia in dem Haus an der Philippstraße 30 in Penzberg. Dort haben sie ihre beiden Söhne großgezogen, die Tage im liebevoll gestalteten Garten genossen. Dieses Leben voll prägender Erinnerungen könnte ein Ende haben. Das Gebäude muss voraussichtlich dem geplanten Busbahnhof weichen - eine Zitterpartie für die Bewohner bis zur endgültigen Entscheidung des Stadtrats.

Ein paar Tage Bedenkzeit hatte sich das Ehepaar G. ausgebeten. Erst wollten sie mit den Nachbarn, dem Ehepaar Josef und Maria T., sprechen, ob sie sich öffentlich äußern sollten. "Eigentlich möchten wir schon mal darüber reden", sagt Silvia G. schließlich am Telefon. Aber ihre Nachnamen ausgeschrieben in der Zeitung zu sehen, davor schrecken die vier dann doch zurück - obschon man sie in Penzberg kennt. Zu groß ist die Sorge, man könnte im Rathaus verschnupft auf das reagieren, was sie zu erzählen haben. Dennoch sitzen sie nun gemeinsam im Wohnzimmer der Familie G. In mehr als 20 Jahren haben sich viele Emotionen aufgestaut. Die müssen raus.

Stadtentwicklung: Wie ein Damoklesschwert hängt seit vielen Jahren der Abriss ihres Wohnhauses über den Mietern in der Philippstraße 30. Die Familien Alfred und Silvia G. (links) und Maria und Josef T. (mitte und rechts) möchten ihr Zuhause nicht verlassen müssen.

Wie ein Damoklesschwert hängt seit vielen Jahren der Abriss ihres Wohnhauses über den Mietern in der Philippstraße 30. Die Familien Alfred und Silvia G. (links) und Maria und Josef T. (mitte und rechts) möchten ihr Zuhause nicht verlassen müssen.

(Foto: Alexandra Vecchiato/oh)

Es ist nicht das erste Mal, dass über einen Abriss der Philippstraße 30 nachgedacht wird. Alfred G., 65, hat über die Jahre Zeitungsartikel gesammelt, die mit dem Wohnhaus und der Bahnstrecke Tutzing-Kochel am See zu tun haben. Ein Schnellhefter ist dazugekommen, darin die Berichte zum geplanten Busbahnhof. "Wir haben meistens nur über Artikel erfahren, was mit unserem Haus passieren soll", erzählt er. Seine Frau nickt: "Es kommen die Leute auf der Straße auf einen zu und sagen, oft lachend: Euer Haus wird doch abgerissen - das ist ein ungutes Gefühl."

Alfred G. hat mehr als 35 Jahre bei der Bahn gearbeitet, am Schalter im Penzberger Bahnhof. Josef T. ebenfalls, zuerst in Penzberg, dann in Tutzing. 1988 ist das Ehepaar G. in die Philippstraße 30 eingezogen. In eine Dienstwohnung, das Haus gehörte damals der Bahn. "Am 15. Mai werden es 46 Jahre, dass wir hier wohnen", sagt Josef T. Auch seine beiden Töchter sind dort aufgewachsen.

Einst plante die Stadt eine Unterführung an der Stelle

Nachdem die Stadt das Gebäude der Deutschen Bahn abgekauft hatte, machte schnell die Rede von Abriss die Runde. Es sollte einer Unterführung unter dem Gleis weichen, mit der die Philippstraße auf die Westseite verlängert werden sollte. Penzberg setzte sich für die Einführung eines Halb-Stunden-Taktes auf der Kochelseebahn-Strecke ein. Der Tunnel wäre notwendig geworden, da die Schranke am Bahnübergang in dem Fall häufiger hätte geschlossen werden müssen. Die Unterführung hätte den entstehenden Verkehrsengpass beseitigt. Im Gespräch war zudem ein zweites Bahngleis, um den Halb-Stunden-Takt bedienen zu können. 2006 kam das Aus für das Millionen-Projekt. Damals teilte die Bahn mit, das Thema komme frühestens 2010 wieder auf den Tisch, wenn der zweite Münchner S-Bahn-Tunnel in Betrieb gehe. Aus heutiger Sicht: reines Wunschdenken. Immer wieder gab es Ideen für das städtische Grundstück, immer wieder drohte der Abriss.

Stadtentwicklung: Der Garten des Hauses Philippstraße 30 in Penzberg ist eine grüne Oase in der Stadt. Hinten ist das Bahnhofsgebäude zu sehen, rechts die Fahrradabstellanlage für Pendler.

Der Garten des Hauses Philippstraße 30 in Penzberg ist eine grüne Oase in der Stadt. Hinten ist das Bahnhofsgebäude zu sehen, rechts die Fahrradabstellanlage für Pendler.

(Foto: Alexandra Vecchiato/oh)

Nach seinen Recherchen sei das Haus 1905 erbaut worden, somit sei es circa 20 Jahre älter als der Bahnhof daneben, sagt Alfred G. "Die Bausubstanz ist okay für 120 Jahre." Es sei in gewisser Weise ein einfaches Leben, aber man wolle es nicht anders, versichert er. Zugegeben, es gebe keine Zentralheizung. Ölöfen sorgen in den Wohnungen - es gibt insgesamt vier - für kuschelige Wärme. Das Öl muss in Kannen hochgetragen werden. Barrierefrei ist das Hochparterre-Haus nicht. "Die paar Stufen pack ma", scherzt der 65-Jährige. "Wir hören nichts vom Verkehr", schildert seine Frau Silvia einen Vorteil der Wohnlage. Aber all das Gute und Liebgewonnene wird regelmäßig überschattet von Plänen aus dem Rathaus. Die 63-Jährige spricht davon, wie das Damoklesschwert "Abriss" zermürbend wirke und Existenzängste schüre. Immer und immer wieder. "Ich möchte nicht woanders leben. Wir sind hier verwöhnt."

2018 hätten die Bewohner schon einmal ausziehen sollen

"Es war der Schock meines Lebens", erzählt der 69-jährige Josef T. weiter. Im Herbst 2018 wurden die beiden Mietparteien ins Rathaus zitiert - getrennt voneinander. "Wir durften untereinander nicht darüber reden, wurde uns gesagt", schildert Silvia G. Damals wurde den Ehepaaren mitgeteilt, dass sie noch im November ausziehen müssten. "Man stelle sich vor, noch vor Weihnachten", sagt die 63-Jährige. Es habe keine halbe Stunde gedauert, dann seien ihnen Alternativwohnungen gezeigt worden. Während das Ehepaar T. sich gezwungen fühlte, auf das Angebot einzugehen, weigerte sich Alfred G. überhaupt einen Gedanken an einen Auszug zu verschwenden. Seine Frau sah sich dennoch eine der beiden Wohnungen an: "Die war kein Vergleich." Nach Monaten informierte das Rathaus die Betroffenen, dass sie bleiben könnten.

Die einfache Ausstattung im Haus Philippstraße 30 schlägt sich in der Miete nieder. "Wir sind Rentner. Wie sollen wir uns in Penzberg eine andere Wohnung leisten können?", fragt Alfred G. Sein Nachbar Josef T. bestätigt, dass die vor Jahren angebotene Wohnung der Baugenossenschaft um die Hälfte teurer gewesen wäre. "In unserer Preiskategorie wird es nichts geben." Beide Paare haben in ihr Zuhause über die Jahre selbst investiert. Auch die Stadt hat das ein oder andere reingesteckt.

Drei der vier Wohnungen sind vermietet. Ein Appartement steht leer und dient der Stadt als Notunterkunft. "Die ist in keinem guten Zustand. Vermutlich wird nichts gemacht, weil das Haus nicht stehen bleiben soll", mutmaßt Maria T., 66 Jahre alt. Circa Mitte der 1980er-Jahre hatte die Stadt das Gebäude in Teilen renovieren lassen. Damals erhielt die Philippstraße 30 ihren wenig einladenden Außenanstrich. Es sind wohl die Brauntöne, die das Haus unscheinbar machen und seine hübschen Details nahezu unsichtbar. Dabei gehört es zum Ensemble der Philippstraße dazu, wie all die anderen historischen und teils denkmalgeschützten Gebäude.

Stadtentwicklung: An dem Hang zum Bahnsteig hin zieht Josef T. Zucchini und Kürbisse.

An dem Hang zum Bahnsteig hin zieht Josef T. Zucchini und Kürbisse.

(Foto: Alexandra Vecchiato/oh)

Dann ist da noch der riesige Garten - auch er wird kaum wahrgenommen, obwohl er eine Naturoase inmitten der Stadt ist. Das Gelände hat mehrere Höhensprünge. Im Untergrund ist - wie üblich in Penzberg - mit Torfboden zu rechnen. Das macht das Vorhaben, dort einen Busbahnhof, eine Mobilitätszentrale für die Zukunft, zu bauen, zu einer Herausforderung. Technisch machbar, aber auch zig Millionen teuer.

Dass der Garten von Baggern einfach weggeschoben werden könnte, trifft die Bewohner mitten ins Herz. Laubfrösche, Kröten, Blindschleichen und vieles mehr tummeln sich in dem Paradies. "Das kaputt zu machen, wäre eine Sünde", sagt Alfred G. Da träfen sich kluge Köpfe auf Weltklimakonferenzen und so eine grüne Oase hätte keinen Wert, meint Josef T. bitter. "Es könnte sein, dass im Dachstuhl Fledermäuse leben." Zumindest würden die nächtlichen Jäger regelmäßig ums Haus flitzen. Aber das interessiere ja keinen.

Der Garten - er ist vor allem das Reich des 69-Jährigen. "Schauen Sie, da drüben ist der Zucchini- und Kürbishang", zeigt Josef T. Das gesamte Jahr über versorgt sich das Ehepaar mit Gemüse aus den Beeten. "Ich brauche nur etwa zwei Wochen im Jahr Salat und anderes im Supermarkt einzukaufen", erzählt Maria T. Noch vor den Eisheiligen haben sie Kohlrabi und anderes Gemüse gepflanzt - mit Vlies geschützt vor der Kälte. Fast schon berühmt unter Zugpendlern ist die "Tomaten-Wand". Josef T. kultiviert das Nachtschattengewächs in Töpfen entlang der Hausmauer, die dem Bahnsteig zugewandt ist.

Hoffnung schöpften die Bewohner der Philippstraße 30, als der Stadtrat im März Bedenken hegte, eine an die 90 Meter lange Fläche für den neuen Busbahnhof zu versiegeln. Die Grundstücke zwischen Bahngleis und ehemaligem Postamt gehören der Stadt Penzberg. Doch im April vollzog das Gremium eine Kehrtwende: Besagtes Areal wurde im anstehenden Realisierungswettbewerb für das Bahnhofsumfeld als Standort festgelegt. Das bedeutet: Alle am Wettbewerb teilnehmenden Architekten und Planer sind aufgerufen, an dieser Stelle einen überdachten Busbahnhof zu entwerfen. Die Bürger wurden in die Pläne nicht einbezogen, was Kritik nach sich zog.

Immerhin, so sind sich die Ehepaare G. und T. einig, seien sie dieses Mal vorgewarnt worden. Im Herbst 2022 habe Bürgermeister Stefan Korpan angekündigt, dass die Philippstraße 30 zur Disposition stehen könnte. Alfred G. und der Penzberger Rathauschef kennen sich vom Fußballverein ESV.

Stadtentwicklung: Von Alexandra Link-Lichius stammt die Idee, das Haus in ein Hostel umzubauen.

Von Alexandra Link-Lichius stammt die Idee, das Haus in ein Hostel umzubauen.

(Foto: privat/oh)

Da der Busbahnhof, wenn er den realisiert wird, bis zur Landesgartenschau im Jahr 2028 fertiggestellt sein soll, herrscht Ratlosigkeit bei den Betroffenen. Dabei gibt es durchaus Ideen für eine anderweitige, kreative Nutzung des Wohnhauses, die den Stadtrat im März kurz umdenken ließen. "Ich möchte nicht den Bewohnern zu nahetreten", sagt Alexandra Link-Lichius. Von ihr stammt der Vorschlag, die Philippstraße 30 in ein Hostel umzuwandeln. Ihre Intention sei es gewesen, die Entscheidungsträger für einen Erhalt des Gebäudes zu sensibilisieren, betont sie. Wenn dort kein Wohnhaus mehr gewünscht sei, dann müsse dies nicht auf einen Abriss hinauslaufen. Der früheren SPD-Stadträtin ist an einer "prozessorientierten Lösung" gelegen. Sie hofft, dass die Stadträte erkennen, "dass das Viertel einen höheren Wert hat, als man eventuell gedacht hat".

Man dürfe die Penzberger nicht der Chance berauben, das Areal mitzugestalten, meint Link-Lichius. "Es sind städtische Grundstücke. Die gehören uns allen." Dass die Philippstraße 30 nicht unter Denkmalschutz stehe, wie es sich der Verein für Denkmalschutz und Penzberger Stadtgeschichte wünschte, eröffne auch Möglichkeiten. "Wo in der Stadt gibt es schon Plätze mit Aufenthaltsqualität, wo vielleicht sogar ein gastronomisches Angebot noch möglich wäre?", fragt die engagierte Bürgerin. "Neben dem Zentrum am Stadtplatz ist das der Bahnhof samt Umfeld." Der große Garten könnte mit ausrangierten Zugwaggons "geschmückt" werden, deren Innenausbau örtliche Betriebe übernehmen könnten. Die Waggons mit dem Gebäude zusammen könnten so in ein Themenhotel verwandelt werden. "Ein Haus, das alle Generationen erreicht und günstige Übernachtungsmöglichkeiten bietet." Für solche Projekte gebe es Förderungen, hat sich Link-Lichius schlaugemacht, unter anderem auf EU-Ebene (Interreg) - und dies auch im Rathaus kundgetan. Ohne Resonanz.

Der Penzberger Denkmalverein hat indes einen offenen Brief an den Stadtrat geschrieben. Mit einer "fadenscheinigen Begründung" sei für ihn eine offizielle Bürgerbeteiligung am Wettbewerb für das Bahnhofsumfeld ausgeschlossen worden. "Wir fühlen uns verschaukelt", schreibt Vorsitzender Max Kapfer, "wir fordern, gehört zu werden".

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