Wer in den Urlaub fährt, sieht die Welt mit anderen Augen: Wie herrlich das Leben in Italien ist! Wie freundlich die Menschen in Griechenland! Einst kaufte man dann Postkarten und hielt die wichtigsten Eindrücke für die Daheimgebliebenen in möglichst kleiner Schrift auf der Rückseite fest. Dirk und Uwe haben das getan, Julian, Vati und die Schwestern. Sie alle haben Dorothea Reese-Heim geschrieben, die diese Grüße über die Jahre konserviert und sie nun in eine Installation verwandelt hat. Zu sehen ist sie im Altbau des Penzberger Museums, wo Gisela Geiger und die Kunstzeche Penzberg wieder einmal eine sehenswerte Schau eingerichtet haben. Das Motto: „Perspektivwechsel“.
Warum also den Rundgang nicht einmal im obersten Stock beginnen? Eben dort sind Reese-Heims Postkarten wie in einem Archiv für Zeitreisende geordnet. „Der Blick zurück“ hat sie die Arbeit genannt. Man kann durch die Hängeakten blättern, Schriftstücke entnehmen und einsehen. Wirklich lesen lassen sie sich nicht mehr. Die Künstlerin hat die Mittelstücke der Karten kreisrund ausgestanzt und umgedreht. In Utes schwungvolle Zeilen ragt nun eine Pagode bei Nacht.


Bei der Themenfindung sei es diesmal immer wieder um das Gefühl gegangen, angesichts des Weltgeschehens einer „Zeitenwende“ unterworfen zu sein, erklärt Geiger. Der „Perspektivwechsel“ stelle dem „eine aktiv zu lösende Aufgabe“ entgegen, die kreativ und spielerisch angegangen werden könne. „Es gilt neue und neugierige Blicke auszuprobieren, gerade wenn die Verhältnisse sich ändern“, heißt es dazu im Flyer. Wie individuell die Antworten auf diese Aufgabe ausfallen, zeigen allein schon die drei Bilder, die im Raum mit dem Postkarten-Archiv hängen.


Thomas Grubert hat mit feurigem Pinselstrich einen Mann am Grill gemalt und ihn in Baselitzscher Manier auf den Kopf gestellt. Isabelle Roth lässt in einem luftig-hellen Diptychon den Wind gleichzeitig aus entgegengesetzter Richtung wehen. Und Juschi Bannaski beschwört in einer Hinterglasmalerei „Zeichen und Wunder“ : Vor einer sich auftürmenden Monsterwelle gehen ein schwarzer Hund, ein nackter Junge und eine mythische Gestalt – der Narr, der vom Vogel der Selbsterkenntnis in die Nase gebissen wird – eine Treppe hinunter. Am rechten Bildrand steht wacker ein Tubaspieler. Ihn hat Gisela Geiger auf dem Ausstellungsbanner ganz groß herausgebracht.
„Wir zensieren nicht, wir laden ein“, sagt Geiger über das Ausstellungskonzept der Kunstzeche. „Warum es am Ende immer so gut passt, ist ein Rätsel des Hauses.“ Vielleicht aber auch ein Geheimnis der Tassilopreisträgerin, die wie immer mit Kenntnis, Fingerspitzengefühl und Enthusiasmus bei der Sache ist. Neben 26 Mitgliedern und Gastkünstlern hat sie auch diesmal wieder Schülerinnen und Schüler des benachbarten Gymnasiums ermuntert, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Die jungen Leute bespielen die beiden anderen Räume im Obergeschoss.


„Gigantisch, was die Schüler hier immer machen“, sagt Rainer Hörgl zwei Tage vor der Vernissage und schiebt ein kindsgroßes Nasenspray aus Stoff in eine Ecke. Hörgl hat schon für das Lenbachhaus gearbeitet und für das Kunsthaus Ketterer. Seit mehr als 20 Jahren hilft er Geiger beim Aufbau der Kunstzeche-Ausstellungen. Im Altbau des Museums kennt er jede Wand des einstigen Bergarbeiterhauses – und ihre Tücken. Für die große Fotocollage der Schüler wird er sich gleich noch etwas einfallen lassen.
Ein Stockwerk tiefer lädt eine Anamorphose des Künstlers Giovanni Lora dazu ein, durch einen Eimer zu linsen, den ein Affe hält: Aus scheinbar abstrakten Pinselstrichen erhebt sich dann eine Gottheit. Überraschungen warten auch im Kabinett, das Geiger zauberhaft gestaltet hat. Da sind Lichtbilderkästen von Monika Supé, die gekonnt mit Drähten, Licht und Schatten arbeitet, sodass auf Knopfdruck ungreifbare Schönheiten aufleuchten und vergehen. „In Wahrheit Lüge?“ lautet ein Titel. Daneben treibt Gabriele Lampadius in vielschichtigen Transfer-Lithografien ebenfalls gekonnt und spannungsreich ein Spiel mit Schatten und Dreidimensionalität.
Wer gestrandete Schiffe in München (Moritz Holfelder) betrachten oder sich vor einer Handyfalle (Lukas Loske) gruseln möchte, darf sich im Erdgeschoss umsehen. Dort hängt auch ein hochenergetisches Pastell von Petra Moshammer: Zwei junge Frauen – oder ist es ein und dieselbe? – sehen sich durch ein Fernglas an. Auge an Auge. So nah, so fremd. Die Schau beweist: Es ist erfrischend, einmal den Blickwinkel zu ändern. Nicht nur in Italien.
„Perspektivwechsel“, Themenausstellung der Kunstzeche Penzberg im Museum Penzberg, 7. Dezember bis 5. Januar 2025, Informationen unter museum-penzberg.de