Geschichte:Ein Schatz fürs Stadtarchiv

Für Filmgeschichte Tölz: Ausschnitte aus den historischen Filmen "Besiegtes Altern" und weiterer.

Der damalige Tölzer Bürgermeister Alfons Stollreither (rechts) 1927 bei einem Treffen mit Paul von Hindenburg.

Bad Tölz erhält Originalbriefe von Thomas Mann, Prinzregent Luitpold, Paul von Hindenburg und Heinrich Himmler zurück. Gefunden wurden sie im Keller eines Wohnblocks in Oberschleißheim

Von Klaus Schieder

Die Unterschrift sieht wuchtig aus. Sie zieht sich beinahe über die gesamte Breite des Briefpapiers, vom leicht verschnörkelten H auf der linken bis zum kindlich-einfachen g auf der rechten Seite. Eine Signatur, die nicht gerade von Bescheidenheit kündet. So unterzeichnete der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg ein Schreiben vom 30. März 1933 an den Tölzer Bürgermeister Alfons Stollreither. Der Inhalt: "Für Ihr freundliches Begrüßungstelegramm spreche ich Ihnen meinen herzlichen Dank aus. Ich habe daraus mit Befriedigung ersehen, dass nun auch der Herr Reichskanzler Ehrenbürger von Bad Tölz geworden ist." Gemeint ist damit Adolf Hitler. Ein interessantes Dokument für Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr. Zeige es doch, wie Hindenburg wirklich zu den Nazis stand: "Er hat einen klaren politischen Willen gehabt, und den hat er am ehesten mit Hitler realisiert gesehen", sagt Lindmeyr.

Der Brief des ehemaligen Reichspräsidenten gehört zu einem Konvolut von Briegen und Dokumenten, die jetzt überraschend in den Besitz des Stadtarchivs gelangt sind. Wie Lindmeyr erzählt, entdeckte der Hausmeister eines großen Wohnblocks in Oberschleißheim vor einiger Zeit einen Karton, als er dort einen leer stehenden Keller aufräumte. Zum Glück warf er die alte Schachtel nicht einfach in den Müll, sondern sah nach und entdeckte, welche Schätze darin lagen. "Er hat gesagt, so was schmeißt man nicht weg", sagt Lindmeyr. Und ebenso zum Glück kannte der Hausmeister einen Bewohner, von dem er wusste, dass er an Geschichte interessiert ist: Er vertraute den Fund somit Harald Dietl an. Der Pharmareferent im Ruhestand bemerkte dann beim Stöbern, dass auf einem Aktendeckel der Name "Stadtarchiv Bad Tölz" stand. Er hätte die Schreiben, die Original-Unterschriften von Thomas Mann, Prinzregent Luitpold, König Ludwig III., Prinzen und Prinzessinnen, aber auch von Heinrich Himmler und eben Hindenburg tragen, teuer auf Ebay oder anderswo versteigern können. Stattdessen entschied er sich, die Briefe über den Grünen-Stadtrat Franz Meyer-Schwendner dem Tölzer Archiv zu geben. "Er hat gesagt, er schenke sie nicht Tölz, sondern bringe sie nur zurück", erzählt Lindmeyr. "Ein schöner Satz."

Vermutlich dürfte ein ehemaliger Journalist, der für eine Tölzer Lokalzeitung arbeitete und daneben als ehrenamtlicher Archivar tätig war, die Dokumente vor knapp 50 Jahren aus der Kurstadt mitgenommen haben. "Das war nicht unüblich", sagt Lindmeyr. Gut möglich, dass er mit dem historischen Material noch habe arbeiten wollen. "Wenn es gut geht, bringt er sie zurück, wenn nicht, stirbt er darüber, und die Dokumente sind vergessen." Die Professionalisierung der Arbeit im Tölzer Stadtarchiv fand erst Ende der 1990er-Jahre statt.

Historische Briefe im Tölzer Stadtarchiv

Auch von Prinzregent Luitpold ist in dem Konvolut ein Antwortschreiben enthalten.

(Foto: Stadtarchiv/OH)

Der Karton hat es in sich. Die oftmals maschinengeschriebenen und handschriftlich unterzeichneten Briefe sind zumeist Antworten an Alfons Stollreither. Der damalige Bürgermeister korrespondierte gerne mit den Prominenten seiner Zeit. Er gratulierte ihnen zu Geburtstagen, beglückwünschte sie zu Auszeichnungen, sprach ihnen bei Todesfällen sein Beileid aus. Zum Beispiel auch Heinrich Himmler. Dem Nazi-Verbrecher, der seine Tochter Gudrun in die Mädchenschule in Reichersbeuern schickte, kondolierte er zum Tod der Mutter. Himmlers Dank für die Anteilnahme erhielt der "Parteigenosse" Stollreither "aus dem Führerhauptquartier". Ansonsten befinden sich in der Schachtel auch Antwortschreiben von Prinzregent Luitpold, dem der umtriebige Bürgermeister zum 90. Geburtstag gratuliert hatte, von König Ludwig III., von Volksschauspieler Xaver Terofal - und eben von Hindenburg, der auch Post aus dem Chefzimmer des Tölzer Rathauses zum 60. Militärjubiläum oder zum Tod des befreundeten Generals Hans von Hemmer erhielt. Der Drang, sich im Glanz von Berühmtheiten zu sonnen, dürfte eine nicht unerhebliche Rolle für den regen Briefverkehr von Stollreither gespielt haben. Aber Eitelkeit war nicht das einzige Motiv, wie der Stadtarchivar erklärt: "Zum anderen war es Professionalität, er hat einfach Öffentlichkeitsarbeit für die Stadt gemacht."

Ehe die Nationalsozialisten an die Macht kamen, schrieb Stollreither auch an Thomas Mann. Der berühmte Schriftsteller, der sich in Bad Tölz eine Villa an der Heißstraße bauen ließ und dort zwischen 1909 und 1917 die Sommerferien verbrachte, hatte gerade den Literaturnobelpreis bekommen. "Hochverehrter Herr Professor! Nachdem die Flut an Glückwünschen aus allen Weltteilen über den 'Nobelpreisträger' hinweggegangen sein dürfte, wagt sich auch Bad Tölz mit seinen bescheidenden, aber mindestens ebenso herzlichen Wünschen hervor", heißt es im Gratulationsbrief von 1929. Die Anführungsstriche, in die Stollreither das Wort Nobelpreisträger gesetzt hat, seien keine Ironie, betont der Stadtarchivar. Sie sollten wohl eher der Hervorhebung dienen. Die Antwort von Thomas Mann war ein standardisiertes Dankschreiben. Später war es mit der "Anhänglichkeit an unseren früheren Mitbürger" ziemlich schnell vorbei. Die Ausbürgerung des Schöpfers der "Buddenbrooks" durch die Nazis wurde von den Tölzer Zeitungen mit der selben Häme kommentiert wie andernorts im Dritten Reich.

Historische Briefe im Tölzer Stadtarchiv

Der Brief von Paul von Hindenburg ist mit einer ausladenden Unterschrift versehen.

(Foto: Stadtarchiv/OH)

Der Karton enthält noch weitere Dokumente - beispielsweise auch Bewerbungsschreiben aus dem 19. Jahrhundert für die Tölzer Apotheken, die an den Magistrat gerichtet sind. Lindmeyr will nun mit seiner Mitarbeiterin Manuela Strunz alles in der Datenbank des Stadtarchivs erfassen. Die Schreiben würden teilweise gescannt - "damit man sie in die Hand nehmen kann, ohne sie in die Hand nehmen zu müssen". Durch manche Funde könnten jetzt Lücken geschlossen und der "Fehlt"-Vermerk auf Akten entfernt werden, für andere wird es neue Akten geben. "Es werden neue Nummern angelegt und die Dokumente für die Forschung zugänglich gemacht", sagt Lindmeyr. Und dann lässt er in seine Gefühlswelt blicken. Als er die alte Schachtel zum ersten Mal in die Hand nahm, sei er "total aufgeregt" gewesen, räumt er ein. "Das ist ein blankes Glück."

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