Pandemie in Bad Tölz-Wolfratshausen:Auf Perspektivsuche

Pandemie in Bad Tölz-Wolfratshausen: Mit seinen 300 Plätzen ist das Capitol in Bad Tölz wohl einer der größten Kinosäle außerhalb von München.

Mit seinen 300 Plätzen ist das Capitol in Bad Tölz wohl einer der größten Kinosäle außerhalb von München.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kinobetreiber in der Region leiden, weil weiter unklar ist, wann sie wieder öffnen können.

Von Benjamin Engel

Für die Kinobetreiber der Region ist in der zweiten Covid 19-Zwangspause binnen Jahresfrist nur eine Frage entscheidend: Werden genügend Filmbegeisterte den Weg vor die große Leinwand im abgedunkelten Besuchersaal finden? Darauf versuchen alle möglichst optimistisch zu reagieren. "Meine Hoffnung ist, dass die Leute es satt haben, nur daheim auf dem Sofa zu sitzen", sagt Cornelia John vom Wolfratshauser Kinocenter. Für sie persönlich steht außer Frage, dass ein gemeinsamer Filmabend im Kino unersetzbar ist. Denn im abgedunkelten Raum zusammen zu lachen oder auch die ein oder andere Träne fließen zu lassen, sei aus ihrer Sicht etwas anderes, als nur vor dem eigenen Fernseher zu sitzen oder im Internet zu streamen.

Mit ihrem Kino fast einen reinen Familienbetrieb - noch dazu in der eigenen Immobilie - zu führen, macht John froh. Kollegen mit mehreren Mitarbeitern könnten die Situation finanziell womöglich nicht so leicht stemmen, sagt sie. Glücklicherweise habe ihr einziger Mitarbeiter, der regelmäßig aushelfe, noch eine zusätzliche, berufliche Festanstellung. Darüber hinaus helfe die Familie zusammen. Mutter Gudrun Heigl arbeite etwa noch mit.

Wie so mancher andere Kinobetreiber plant John, die erzwungene Betriebspause für eine "langfristige Investition" nutzen. "Wir wollen die Lüftung komplett erneuern." Eine neue Wärmerückgewinnung solle installiert werden. Ohne die finanzielle Unterstützung der BKM-Filmförderung des Bundes wäre das aber nicht möglich. Bis der Antrag bearbeitet sei, dauere es aber. Erst im März werde es wohl losgehen. Ein Lichtblick sei auch, dass erste Zahlungen für November- und Dezember-Hilfen bereits eingegangen seien. So komme sie wirtschaftlich zurande.

Pandemie in Bad Tölz-Wolfratshausen: Cornelia John (re.) und Mutter Gudrun Heigl.

Cornelia John (re.) und Mutter Gudrun Heigl.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Wenn schon keine Filme gezeigt werden dürfen, verkauft das Wolfratshauser Kino wenigstens in unregelmäßigen Abständen Popcorn. Am kommenden Samstag sei es wieder soweit, sagt John. "Wir bieten das für unsere treuen Gäste frisch zubereitet an." Das lohne sich aber nur, wenn das Wetter nicht zu schön sei.

Was John derzeit beschäftigt, beschreibt sie selbst als "Wechselbad der Gefühle". So sehr sie sich wünsche, bald wieder öffnen zu können, so wenig planbar sei die Entwicklung der Pandemie. "Wieder aufzumachen und dann wieder zuzumachen, wäre das Schlechteste", sagt sie.

Was die Betreiber in der Region wie überall eint, wäre eine möglichst dauerhafte Perspektive. In einem Brief hat der Kinoverband laut Markus Wenzl an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen appelliert, dass alle Kinos und Kultureinrichtungen zu Ostern öffnen sollten. "Darauf arbeiten wir hin", sagt der Betreiber des Kinos P in Penzberg. Für ihn und seine Frau Claudia wäre es nur schön, wenn die Auflagen dann lockerer wären als nach der ersten Zwangspause im Frühjahr. Wenn der Saal in Schachbrettmusteranordnung besetzt werden könnte oder Masken nicht auch am Platz dauernd getragen werden müssten, wäre das hilfreich.

Die finanzielle Lage ist für Wenzl nicht das Hauptentscheidende. Staatliche Unterstützungsgelder flössen, so dass das Kino P über die Runden komme. Für die fünf Mitarbeiter habe er Kurzarbeitergeld angemeldet, zahle bislang den vollen Lohn fort.

Pandemie in Bad Tölz-Wolfratshausen: Markus und Claudia Wenzl.

Markus und Claudia Wenzl.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

In der ersten Phase des Lockdowns hatte Wenzl auch eine Gutscheinaktion gestartet. Die hätten viele Stammgäste wie wahnsinnig gekauft, schildert er. Alle seien noch gar nicht eingelöst. Kürzlich habe eine Passantin seiner Frau bei einer Begegnung sogar einen 50-Euro-Schein in die Hand drücken wollen. Viel wichtiger wäre es aber, wenn alle wieder direkt ins Kino kämen, sobald das wieder möglich sei, sagt er. Da viele Verleiher ihre Filme bislang zurückgehalten hätten, könne er dann auch ein interessantes Programm anbieten - vorausgesetzt, es kämen nicht zu viele Filme gleichzeitig heraus.

Ohne Perspektive sind die Geschäfte auch und gerade für die Verleihfirmen schwer. Diese Planungsunsicherheit belaste die ganze Branche, sagt Sabine Sohnius. Mit ihrem Bruder zusammen führt sie die Kinobetriebe Wolf KG. Deren Stammhaus steht in Gummersbach. Sechs weitere Filmtheater führen die beiden im Oberland, das Capitol und das Isar-Kinocenter in Bad Tölz. "Die Lage ist unübersichtlich", sagt Sohnius. "Kunst und Kultur sind offensichtlich völlig vergessen worden." Alle redeten stattdessen immer nur von Friseuren. "Das stimmt einen traurig und manchmal wütend."

Erst 2019 haben die Betreiber etwa das Isar-Kinocenter renoviert. Das könne unter anderem nur mit Krediten finanziert werden, die irgendwann zurückgezahlt werden müssten, sagt Sohnius. Hinzu kämen viele laufende Kosten. Ausdrücklich lobt die Geschäftsführerin, wie der Freistaat Bayern die Kinos finanziell unterstütze. Doch die Hilfe des Bundes könne man vergessen, findet sie. Sohnius beklagt, immer noch auf die November- und Dezember-Hilfen zu warten.

Daran, schon Ostern öffnen zu dürfen, glaubt Sohnius nicht. Manche Kollegen sprächen schon vom dritten Quartal, sagt sie. Im Moment gebe es "Null-Planungssicherheit". Ohne Snacks und Getränke verkaufen zu dürfen, brauche sie aber gar nicht zu öffnen, meint Sohnius. Denn nur dann würden überhaupt genügend Besucher kommen.

Die finanzielle Lage ist und bleibt für Sohnius wie ihre Mitarbeiter belastend. Die vielfach als Mini-Jobber angestellten Studenten und Schüler könne sie momentan nicht beschäftigen. Denen fehle jetzt das Einkommen. Die Festangestellten - der wesentlich kleinere Teil der Beschäftigten - sei in Kurzarbeit. Die Einnahmen seien gering. Selbst als sie vergangenes Jahr drei Monate öffneten, seien die Kinos nur zu 20 Prozent ausgelastet gewesen, schildert sie. Habe jemand zwei Karten gekauft, habe sie zwölf Plätze darum herum frei lassen müssen. "Davon kann ich nicht leben, aber auch nicht sterben." Wenn sie jetzt wieder öffnen dürfe, würde aber keiner kommen, wenn sie nicht auch Snacks und Getränke anbieten könne.

Vor allem in der ersten Zwangspause habe sie viele Gutscheine an Menschen verkauft, die das Kino unterstützen wollten. Für die Filmtheater, so glaubt sie, gebe es eine langfristige Überlebensperspektive, sagt Sohnius. Sie fürchtet aber, dass noch einige aufgeben würden.

Durchaus kann sich Sohnius vorstellen, die Kinosäle beispielsweise für Schulklassen zu öffnen. Aber auf keinen Fall kostenlos, sagt sie.

Wohl am längsten geschlossen in der Region ist das Kochler Kino. Seit fast einem Jahr - von 16. März 2020 an - gab es keine Vorstellung mehr. Das liegt aber auch an der besonderen Betriebsform. Ein Verein trägt das Kino. Nur ehrenamtliche Freiwillige sind tätig. Die anfallenden Kosten sei daher gering, sagt der Vorsitzende Reiner Schicht. Im wesentlichen seien die Strom- und Heizungskosten zu zahlen. Die Kommune unterstütze den Verein, durch die Initiative der bayerischen Digitalministerin Judith Gerlach seien einige tausend Euro an Hilfsgeldern geflossen. Zudem hätten die mehr als 200 Vereinsmitglieder bislang ihre Beiträge gezahlt. Keiner sei seines Wissens ausgetreten.

Ausgebremst hat das Kochler Kino vor allem die zweite Zwangspause seit Anfang November. Bis dahin hätten sie die Zeit genutzt, um die Bestuhlung zu erneuern, berichtet Schicht. "Im Oktober wollten wir wieder aufsperren." Doch das habe dann nicht geklappt.

Trotz der langen Zeit ohne Filmvorführungen in Kochel am See glaubt Schicht weiter an deren Magie. Das Programmkino ziehe ein cineastisch anspruchsvolles Publikum an, sagt er. Und das werde auch wiederkommen, gerade wenn es sich um ältere Stammgäste handle. "Da werden Erinnerungen wach, an den ersten Kuss im Kino und Händchenhalten."

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