Pädagogik:„Die Kinder zeigen uns, was sie gerade brauchen“

Lesezeit: 4 Min.

"Wir wollen den Leuten andere Sichtweisen vermitteln", sagt der Coach und Wildnispädagoge Stefan Weishaupt aus Dietramszell. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Lernstress, Mobbing, Mediensucht: 13 Referenten informieren bei einem Workshop im Münsinger Lothhof über ein breites Spektrum von Lösungsansätzen bei psychischen Auffälligkeiten von Kindern. Einer der Hauptorganisatoren ist Stefan Weishaupt.

Interview von Benjamin Engel, Münsing

Kinder und Jugendliche leiden Studien zufolge vermehrt unter Belastungsstörungen, klagen über Stress, Erschöpfung und Hilflosigkeit, sind hochaktiv oder ziehen sich von ihrem Umfeld zurück. Wie Eltern, Lehrkräfte und Pädagogen mit Themen wie Lernstress, Mobbing, Gewalt oder Mediensucht umgehen können, wie naturnahe Pädagogik oder ein neues Kommunikationsverhalten helfen können, wollen 13 Referenten in einer Workshop-Veranstaltung an diesem Samstag, 22. Juni, von 8 Uhr an, in Münsing (Lothhof-Tenne) vermitteln. Der Dietramszeller Coach und Wildnispädagoge Stefan Weishaupt ist einer der drei Hauptorganisatoren. Wie die Idee zu dem Vernetzungstreffen unter dem Titel „Gemeinsam in Münsing“ entstanden ist und wo Lösungswege für ein besseres Miteinander zwischen Erwachsenen und Kindern liegen könnte, erklärt der 48-jährige Vater gegenüber der SZ.

SZ: Herr Weishaupt, haben Sie denn selbst Erfahrungen mit schwierigen Situationen von Kindern in Elternhaus und Schule gemacht?

Stefan Weishaupt: Seit ich 14 Jahre alt bin, habe ich als Übungsleiter im Fußball viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftige ich mich mit der Prävention vor Gewalt und Mobbing, bin als Coach und Mediator tätig. Als ich dann selbst Vater eine Tochter geworden bin, habe ich gemerkt, dass sie ganz anders denkt und fühlt als ich. Das hat alte persönliche Glaubenssätze infrage gestellt. Ich habe gemerkt, wie viele Ängste wir auf unserer eigenen Gefühlsebene mit uns herumtragen. Anstatt die Umgebungsstrukturen für unsere Kinder zu verändern, versuchen wir, unsere Kinder an die Umgebung anzupassen.

„Die eine blaue Pille, die alle Probleme löst, gibt es eben nicht.“

 Ist es das, was Sie mit der Veranstaltung in Münsing erreichen wollen?

Wir wollen den Leuten andere Sichtweisen vermitteln. Uns ist klar geworden, dass es viele verschiedene, erfolgversprechende Lösungsansätze gibt, um zu unterstützen. Die eine blaue Pille, die alle Probleme löst, gibt es eben nicht. Damit wollen wir aber nicht infrage stellen, was für eine tolle Arbeit Psychologen, Psychiater oder etwa Ergotherapeuten leisten. Es gibt aber Alternativen. Die wollen wir in Münsing aufzeigen.

Was können denn Lehrer oder Eltern tun, wenn sie merken, dass ein Kind Probleme hat?

Wichtig ist, das Kind genau zu beobachten. Erst einmal gilt es herauszufinden, was genau nicht funktioniert. Zeigt das Kind die Symptomatik nur in der Schule, zuhause, im Freundeskreis oder überall? Ich selbst bin auch in der offenen Ganztagsschulschule an Bildungseinrichtungen im Landkreis tätig und stelle fest, dass die Kinder energetisch immer auffälliger werden.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Mein Gefühl ist, dass wir uns als Gesellschaft zu weit weg von der Natur entfernt haben. Unsere Zeit ist durch das Zusammenspiel der vielen neuen Medienangebote viel schnelllebiger geworden. Meiner Erfahrung nach, vermittelt unser Schulsystem vielen Kindern kaum noch Freude. Die sehen das eher als lästige Pflicht. Andererseits bringen die Kinder so viel Potenzial mit. Als ich kürzlich in der offenen Ganztagesschule mit den Schülern ins Gespräch gekommen bin, hat mir einer erzählt, was er in seiner Freizeit mit dem 3-D-Drucker macht. Eine andere hat mir ihre Zeichnungen gezeigt. Mir fehlt der Mut, etwas grundsätzlich an den Strukturen zu verändern.

Ein komplexes Unterfangen. Lässt sich denn das so einfach bewerkstelligen?

Andere Länder zeigen uns, wie es funktionieren könnte. Schweden zum Beispiel ist von den reinen Online-Unterrichtsmaterialien wieder abgekommen, führt jetzt sogar wieder gedruckte Schulbücher ein. Es braucht die Bereitschaft hinzuschauen, was Kinder wirklich brauchen. Kinder haben unfassbar viele Ideen, werden aber von vielen Erwachsenen nicht ernst genommen.

"Gemeinsam in Münsing" lautet der Titel des Vernetzungstreffens, das im Lothhof stattfindet. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sie selbst beschäftigen sich unter anderem mit Human Design, wonach, vereinfacht gesagt, astrologische Konstellationen die individuelle Persönlichkeitsstruktur prägen. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass dies eine unwissenschaftliche Praxis sei?

Zeitungen beschäftigen sich doch auch immer wieder mit Fragen zur Astrologie. Mir geht es in erster Linie darum, dass niemand etwas ausschließen sollte, was nachweisbar nicht schadet. Es geht darum, Kinder zu begleiten, nicht zu erziehen. Ich sage nicht, dass Human Design der einzig richtige Lösungsansatz ist. Alles womit ich mich beschäftige, hat mir aber selbst geholfen und in der Begleitung meiner Tochter. Ich kann immer nur empfehlen, sich offen zu zeigen, und erlebe es immer wieder, dass gerade die Skeptischeren am Ende sehr überrascht sind. Ich freue mich natürlich über jeden Besucher meines Workshops vor Ort und den Austausch, aber wir bieten ja weitere elf Workshops an, und so ist zum Glück sicher für jeden etwas dabei.

 „Entscheidend ist, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen.“

Was bedeutet es denn, sein Kind zu begleiten?

Als Erwachsene haben wir natürlich die Notwendigkeit, Rahmenbedingungen für unsere Kinder zu setzen. Entscheidend ist, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Erst dann finden wir den Zugang miteinander. Es geht nur gemeinsam, wertschätzend und nach vorne gerichtet. Die Natur spielt meiner Ansicht nach dafür eine besondere Rolle.

Inwiefern?

In der Natur kann ich den Wind auf der Haut spüren, die Tiere beobachten. Die Natur lehrt uns, im Hier und Jetzt zu sein. In unserem Alltag überlegen wir ständig, was als nächstes zu tun ist, und vergessen das. Als Wildnispädagoge merke ich, wie begeistert die Kinder sind, rauszugehen, sich im Freien zu bewegen. Die Kinder zeigen uns, was sie gerade brauchen.

Gerade in Deutschland wird jedoch oft beklagt, dass wir unsere Kinder viel zu wenig auf den Prozess der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz vorbereiten. Ein Widerspruch?

Die Digitalisierung ist natürlich nicht mehr wegzudenken. Wird in unserem Schulsystem aber wirklich vermittelt, wie KI genau funktioniert? Wenn wir als Erwachsene aber selbst nur auf unsere Handys starren, können wir nicht in Verbindung mit unseren Kindern sein.

 

Gemeinsam in Münsing. Workshops, Vorträge und Vernetzung, in Kooperation mit dem Kreisbildungswerk, Samstag, 22. Juni, Lothhof-Tenne, Münsing, 8 bis 18 Uhr, Vorträge der Referenten jeweils vormittags und nachmittags zu den gleichen Themen, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter www.begleiten-statt-erziehen.de

 

 

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: