Ortschronik von Münsing:Ein Dorf zwischen Traditionen und Moderne

Um 1900 gibt es weder Strom noch Wasser. Der erste Lastwagen fährt erst 1924 durch den Ort. Rund 300 Bilder und Dokumente führen den Leser in diese Vergangenheit - und erlauben Einblicke in die Leben der Einheimischen

Von Benjamin Engel, Münsing

Der Ort am Ostufer des Starnberger Sees ist der Welt näher gerückt. Mit dem Auto dauert es über die Garmischer Autobahn A95 nur eine knappe halbe Stunde bis zur Landeshauptstadt München. Laster fahren ins Gewerbegebiet Am Schlichtfeld oder mitten durch den Ort zu den Betrieben nach Degerndorf. Über das gerade erst neu ausgebaut Internet hängt der Ort an den weltweiten Datenströmen.

Rückblick in die Zeit um 1900: Kiesstraßen schlängeln sich an den licht stehenden Häusern in Münsing vorbei. Ohne eigene Quelle müssen sich die Bewohner das Wasser von einem der beiden öffentlichen Brunnen holen. Elektrizität gibt es noch nicht. Ohne Straßenbeleuchtung wird es im Dorf nach Sonnenuntergang finster. Nur Petroleumlampen erhellen die Bauernstuben. Gebadet wird einmal in der Woche - meist in Zubern mit Wasser, das über dem Herd erwärmt wurde. Der erste Lastwagen wird erst im Jahr 1924 durch Münsing fahren.

Der neue, zweite Band der Chronik Münsing mit dem Titel "Die Ortschaft Münsing von 1900 bis 2000" ist ein Kaleidoskop des Alltagslebens auf dem Land. Zahlreiche Bilder, Geschichten und Erinnerungen von Münsingern werfen kurze Schlaglichter auf die Verwerfungen und Umwälzungen im 20. Jahrhundert bis in die fast unmittelbare Gegenwart.

Die Grundlage legte der Münsinger Willi Schwarz. Der 75-jährige sammelt seit Jahren historische Fotos und Archivalien. Der Herausgeber der Chronik-Reihe, Historiker Johannes Bernwieser, setzte mit einem Team ehrenamtlicher Unterstützer dessen Arbeit fort. In einer Bürgerwerkstatt konnten Münsinger Bilder und Dokumente zum Band beitragen. Das 240 Seiten starke Buch mit rund 300 kommentierten Bildern und Archivalien ist von diesem Samstag an in Münsing zu kaufen.

Chronik Münsing: Der Ort von oben

Die Luftaufnahme zeigt Münsing in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts - eventuell von einem Zeppelin aus fotografiert. Nur 90 Häuser gab es.

(Foto: Uli Geigl)

Das Buch zeichnet die Entwicklung der ärztlichen Versorgung, der Schulen und der Kirche nach. Bilder von Wegkreuzen und Kapellen zeugen von christlich-bäuerlicher Frömmigkeit vergangener Zeiten. Alte Fotografien verdeutlichen, wie alte Bauernhäuser in den 1950er- und 1970er-Jahren nach und nach den modernen Bauten wichen.

Zudem erlaubt der Chronik-Band intime, berührende Einblicke in das Privatleben der Münsinger, etwa von Hans Stoßberger. Der junge Mann lernte als Soldat im Zweiten Weltkrieg Hedwig Kurpiela in einem Ort im heutigen Polen kennen. Er verhalf ihr und ihrer Schwester zur Flucht nach Münsing. Dort lebte und arbeitete Hedwig von 1945 an auf dem Hof seiner Eltern. Erst 1949 kam Hans Stoßberger aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Im Folgejahr heiratete das Paar.

Mehr noch lässt sich am Buch ein Prozess zunehmender Mobilität und Beschleunigung des bäuerlichen Lebens nachvollziehen. Mit dem ersten Lastwagen in der Gemeinde fuhr Josef Schwarz von 1924 an die Milch der Absatzgenossenschaft Münsing für einen Pfennig pro gefahrenem Kilometer nach Wolfratshausen. Noch 1936 nutzten die Bauern Maria und Mathias Will ein Ochsengespann für die Arbeit, wie eine Fotografie zeigt. Der erste Mähdrescher des Gorithoma-Hofs in Weipertshausen war in den 1950er-Jahren im Einsatz. Noch in den 1960er-Jahren stachen die Münsinger Torf zum Heizen im Hochmoor zwischen Münsing und Degerndorf.

Chronik Münsing: Ratsch auf der Dorfstrasse

Die heutige Weipertshausener Straße mit dem Braidlhof war in den 1920er-Jahren noch nicht asphaltiert.

(Foto: Ambacher Verlag/oh)

Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg explodierte die Bevölkerung von Münsing. Wuchs die Einwohnerzahl zuvor von 417 Einwohnern nur auf 497, wohnten 1950 schon 822 Leute in Münsing. Zu einem weiteren Schub kam es zwischen 1987 und 2008. Die Zahl der Bewohner stieg von rund 1000 auf 1500.

Wichtige Impulse setzte auch der Bau der Garmischer Autobahn. Sie verkürzte den Weg in die Landeshauptstadt Ende der 1960er-Jahre um ein Vielfaches. So konnte sich Münsing zum Wohnort für Pendler entwickeln, die in der Stadt arbeiten. Das hat den Ort verändert. Zur reinen Schlafstadt ist Münsing allerdings nicht verkommen. Noch ist die dörfliche Infrastruktur mit Bäcker, Metzgern, Wirtshäusern und Supermarkt intakt. So ist der Band ein Nachschlagewerk für das Leben in einem Dorf zwischen Traditionen und Moderne.

Chronik Münsing, Band 2: "Die Ortschaft Münsing von 1900 bis 2000", Ambacher Verlag, 34,90 Euro, Verkauf von Samstag, 12. Dezember, 15 Uhr, an beim Ambacher Verlag, im Edeka Markt Münsing, in der Gemeindeverwaltung und am 12. und 13. Dezember auf dem Adventsmarkt beim Ambacher Landgasthof Huber

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: