Opernsängerin wird 90:"Die Stimme ist eine Blume"

40 Jahre war Colette Lorand als Koloratur-Sopranistin erfolgreich. Im Interview spricht sie über ihre Rollen, ihre Stimme und ihr Engagement im Tierschutz.

Ingrid Hügenell

Opernsängerin wird 90: Die ehemalige Opersängerin Colette Lorand feiert am 7. Januar 2013 ihren 90. Geburtstag.

Die ehemalige Opersängerin Colette Lorand feiert am 7. Januar 2013 ihren 90. Geburtstag.

(Foto: Hartmut Pöstges)

40 Jahre lang stand Colette Lorand auf den großen Opernbühnen der Welt. Ihre Paraderollen: Die Königin der Nacht in Mozarts "Zauberflöte", die Titelrolle der "Salome" von Richard Strauss und die Violetta in Verdis "La Traviata". Sie brillierte aber auch in Werken von Richard Wagner, Aribert Reimann, Wolfgang Fortner und Carl Orff. Vielfach wurde ihre Wandlungsfähigkeit gelobt. In Zürich geboren, in Paris und Nizza aufgewachsen, feiert die Sopranistin, die zu den berühmtesten ihrer Zeit gehörte, am heutigen Montag ihren 90. Geburtstag in Ebenhausen. Dort lebt sie seit vielen Jahren mit ihrem Mann Manfred Doetterl.

SZ: Sie haben 1984 Ihre Karriere beendet. Wie oft gehen Sie noch in die Oper?

Colette Lorand: Überhaupt nicht. Schon lange nicht mehr. Ich war einmal bei einem Treffen der Ehemaligen der Staatsoper. Da hieß es: "Weißt du noch, hast du da gesungen? Mit wem hast du gesungen?", und das finde ich furchtbar langweilig.

Der Opernbetrieb fehlt Ihnen nicht?

Nein. Ich war zu lange dabei. Und dann hat man eines Tages genug.

Singen Sie denn noch selber?

Nein, nein, nein. Überhaupt nicht mehr. Wenn Sie so singen möchten, dass Sie Freude daran haben, müssen Sie wieder beginnen zu üben. Wenn man Wochen und Monate den Mund gar nicht aufmacht, ist man ganz heiser. In diesem Job muss man wirklich üben, immer.

Dass Sie eine Stimme haben, haben Sie selbst entdeckt.

Ich war beim Vorsingen in Hannover, im Konservatorium, mit ungefähr 16. Der Direktor hat innerlich bestimmt gelacht und hat mir gesagt, ich sei einfach noch zu jung und solle in zwei Jahren wiederkommen.

Würden Sie heute jemandem raten, Opernsängerin zu werden?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Nicht nur, dass man das "Material", also die Stimme, haben muss, es gehört auch dazu, dass man den Charakter hat. Denn Sie müssen unglaublich dabeibleiben. Sie dürfen nicht wild drauflos singen. Das würde dem Instrument Stimme schaden, wenn es nicht geschult ist. Die Stimme ist ja etwas ganz Lebendiges und Eigenes, wie eine Blume, sie ist verbunden mit Ihrem Körper, mit Ihrer Seele.

Ist die Konkurrenz heute größer?

Ja, vor allem aus Asien kommen viele gute Sängerinnen. Als ich begann, 1944 in Basel, war das Ausland noch kaum vertreten.

Sind die Belastungen stärker als früher, etwa durch das Fernsehen?

Auf jeden Fall. Wenn ich ein junger Sänger wäre und müsste zu bestimmten Anforderungen Ja sagen, und dazu die Schnelligkeit der Reisemöglichkeiten, das ist schon anstrengend. Die Schnelllebigkeit frisst den Menschen auf. Man muss die Balance finden, darf nicht durchs Leben hecheln.

Wie haben Sie Ihre Stimme erhalten?

Ganz schlicht: Üben. Und durch das Üben wissen, wissen!, wie Sie dieses Organ benutzen. Es kann passieren, dass Sie glauben, Sie könnten Aufgaben bewältigen, die für Sie viel zu schwer sind. Zum Beispiel, wenn Sie eine Stimme für die Pamina in der Zauberflöte haben und Sie möchten gern die Elektra singen, das geht nicht.

Warum?

Das ist zu dramatisch. Erstens wäre der Klang der Stimme zu schwach, und der stimmliche und der physische Einsatz wären zu hoch. Es sind wenige, die dieses Fach gut vertreten können, früher hat man gesagt: die Heroinen.

Sie hatten ein sehr großes Repertoire. Gab es einen Komponisten, den Sie gar nicht mochten?

Ich hatte keine Probleme, auch moderne Stücke einzustudieren, zu lernen und wiederzugeben. Dass ich die moderne Musikliteratur gerne gesungen habe, kann ich nicht sagen. Aber da ich sehr gerne gespielt habe, hat mir die Kombination aus Musik und schauspielerischer Darstellung Freude gemacht.

Was ist an der modernen Musik so besonders schwierig?

Das ist auch eine intellektuelle Aufgabe. Das Ohr muss so musikalisch sein, dass es diese für einen klassisch empfindenden Menschen schwierigen Töne aufnehmen kann. Nur dann kann man die Musik so wiedergeben, wie sie von dem jeweiligen Komponisten gemeint ist.

Wie bei Aribert Reimann.

In seinem "König Lear" musste ich eine der bösen Schwestern singen, die Regan. Die ist als Person, als Figur, nicht angenehm. Sie muss böse Sachen machen, jemandem die Augen auskratzen. Das mochte ich nicht sehr gerne, es widerspricht meinem Naturell. Auch Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudun" war schwierig.

Sie haben auch viel von Orff gesungen.

Ja, und gerne, der steht nun total neben der "normalen" Opernliteratur. Er ist ein ganz besonderer Komponist, ich habe sehr gerne seine Sachen gesungen, vor allem die Antigone, und den Prometheus - Prrromethe-us. Das war auf Altgriechisch, das wurde uns richtig eingetrichtert. (beginnt auf Altgriechisch den Text zu rezitieren).

Das ist doch wunderbar, eine wunderschöne Sprache.

Es ist sehr schön, ich habe es sehr gerne gesungen und gespielt.

Als Sie 1970 in New York die Antigone gaben, sind am Ende der Vorstellung die Leute aufgestanden. Was haben Sie sich da gedacht?

Ich habe gedacht, die gehen jetzt nach Hause (lacht herzlich). Als dann alle begonnen haben zu klatschen, das war natürlich herrlich. Wir kannten damals noch keine Standing Ovations.

Gibt es etwas, was Sie nicht gesungen haben, obwohl Sie es gewollt hätten?

Ich hätte sehr gerne, von der Figur her, die Elektra gesungen, aber dazu war meine Stimme nicht dramatisch genug. Man kann als Sänger nicht alles singen. Wo die Grenzen sind, habe ich immer gewusst. Zum Beispiel zu Turandot habe ich nein gesagt. Und auch zur Brünnhilde im "Siegfried". Das sind eben Partien für die "Heroinen".

Sie haben keine Kinder. War das eine bewusste Entscheidung? Bedauern Sie das?

Nein. Ich hatte auch nicht den Wunsch, ein Kind zu haben. Sie müssen ja die Verantwortung übernehmen für ein Kind. Sie haben wenig Zeit, wenn Sie im Geschäft sind. Das ist sehr schwer zu vereinbaren.

Sie haben sich aber ein Leben lang im Tierschutz engagiert, tun das auch noch immer. Warum?

Ich hatte immer Tiere. Wo Unrecht an der Kreatur geschieht, muss ich eingreifen. Ich war mit meinem Mann an Informationsständen des Wolfratshauser Tierschutzvereins, habe an Demonstrationen teilgenommen, auch in München, und Plakate herumgetragen.

Gibt es aus dieser Zeit nicht eine Geschichte mit einem Pelzmantel?

Bei einer Demonstration am Münchner Marienplatz stand ich auf der Bühne und erklärte, dass ich das Leid der Tiere in den Farmen nicht ertrage. Dann schleuderte ich meinen Zobel in die Menge. Das war ein gutes Gefühl.

Die Sendung "Cantabile" im Radioprogramm B4-Klassik des Bayerischen Rundfunks ist am heutigen Montag, 7. Januar, Colette Lorand gewidmet. Beginn: 14.05 Uhr, Dauer: eine Stunde.

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