Traditionelles Handwerk:Das Mehl-Paradies

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Martin und Veronika Sonner betreiben die Off-Mühle in Sindelsdorf. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mehr als 30 Mehlsorten werden in der Off-Mühle in Sindelsdorf produziert. Die Familie Sonner legen bei ihren Produkten Wert auf Regionalität.

Von Alexandra Vecchiato, Sindelsdorf

Es ist das älteste Nahrungsmittel: Menschen weltweit verarbeiten Mehl zu Fladen, Brot, Nudeln und mehr. Mehl ist jedoch nicht gleich Mehl. Es kann nach Getreidearten unterschieden werden, nach seinem Verwendungszweck oder nach dem Mineralstoffgehalt (Mehltype). Ja, sogar die Teilchengröße der Mahlerzeugnisse spielt eine Rolle. So gibt es neben Mehl noch Grieß, Schrot und Dunst. Einst gab es viele Mühlen. Sie gehörten ganz selbstverständlich zum ländlichen Leben. Mit der Industrialisierung mussten sie Großbetrieben weichen. In Sindelsdorf im Landkreis Weilheim-Schongau ist noch eine Handwerksmühle zu finden: die Off-Mühle der Familie Sonner. Das Mehl-Paradies schlechthin für alle, die gerne selbst backen und kochen.

Im Sindelsdorfer Mühlenladen gibt es nicht nur unzählige Backmischungen und Mehlsorten. Müslis, Nudeln und vieles mehr finden sich in den Regalen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mehr als 30 Mehlsorten werden in der Off-Mühle hergestellt. Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer, Mais, Gerste, Waldstaudenkorn und Rotkornweizen - die Liste ist lang, die der Herr über den Walzenstuhl auflistet. Martin Sonner ist Müller, oder besser gesagt: Verfahrenstechnologe Mühlen- und Getreidewirtschaft, Fachrichtung Müllerei. Denn so romantisch, wie in Liedern besungen, geht es in dem Gewerbe schon lange nicht mehr zu. Mühlsteine etwa gibt es nicht mehr. Die schweren Scheiben erhitzten das Mahlgut und zerstörten dabei wertvolle Enzyme und Eiweißstoffe. Heutzutage sind Stahlwalzen im sogenannten Walzenstuhl im Einsatz. Dass es die Off-Mühle noch gibt, war eine mutige Entscheidung. Das große Mühlensterben in den 1960er- und 1970er-Jahren überstanden nicht viele. 30 000 Müller gab es 1945 in Deutschland, heute sind es nur noch ein paar Hundert. Der Preisdruck zwang die meisten zum Aufgeben. Sonners Schwiegervater Karl Off blieb. Vor 19 Jahren stand der Familienbetrieb dennoch beinahe vor dem Aus. Offs Sohn wollte die Mühle nicht übernehmen. Tochter Veronika arbeitete in einer Bank, Ehemann Martin als Landmaschinenmechanikermeister. "Ich habe eine Idee", hat er damals zu seiner Frau gesagt. Beide wagten einen Neuanfang, sattelten um und übernahmen die Off-Mühle. "Das probieren wir", sei sein Credo gewesen. "Und es hat funktioniert", erzählt Sonner.

Der heute 53-Jährige setzte auf Regionalität. Der Zeitgeist habe ihnen in die Hände gespielt, sagt er. Seine Frau Veronika erinnert sich, dass die Verbraucher in den 1980er-Jahren kaum Interesse an Mehl zum Weiterverarbeiten hatten. Tiefkühlkost lag im Trend, selber kochen war out. Das änderte sich im Laufe der 1990er-Jahre. 1997 wurde der Mühlenladen eröffnet, um die Erzeugnisse direkt an Ort und Stelle zu vermarkten. Er wurde mehrmals erweitert. Wer ihn heute betritt, findet sich in einem kleinen, nach Mehl duftenden Paradies wieder. Alles ist regional, wenn möglich bio. Allein die Backmischungen sind so mannigfaltig, dass die Wahl schwerfällt. Darüber hinaus gibt es Säfte, Konfitüren, Nudeln, Müsli, Speiseöle. Der Kaffee kommt aus der Rösterei in Murnau, das Speiseeis vom Beindl-Hof in Wackersberg. Wer nicht im Mühlenladen in Sindelsdorf einkaufen kann, findet Off-Produkte unter anderem in Metzgereien, Dorfläden und Geschäften von Icking über Münsing, Schlehdorf, Jachenau und Bad Tölz bis nach Lenggries.

"Ein Investitionsstau wäre eine Katastrophe", sagt Betreiber Martin Sonner. Regelmäßig wurde daher in modernste Technik investiert, um die Qualität zu halten. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Wir haben viel Kraft reingesteckt", sagt Martin Sonner. Das habe gefruchtet. Heute beschäftigt das Ehepaar 14 Mitarbeiter. Die Kunden kommen teils von weit her. Und ihr Wunsch bestimmt auch das Angebot. "Wir erweitern nach Bedarf unser Sortiment", sagt Veronika Sonner. Die 50-Jährige probiert natürlich mit ihren Mitarbeiterinnen im Laden neue Rezepte aus. Auf Fachmessen informiere sie sich über Trends. Erst neulich auf der Biofachmesse in Augsburg sei sie auf Linsen gestoßen, die auf der schwäbischen Alb angebaut werden.

Die Geschichte der Off-Mühle reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. 1351 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. 1917 kaufte Veronikas Urgroßvater die Mühle. Seitdem ist sie in Familienbesitz. 1913 verewigte sie Franz Marc - der Mitbegründer des "Blauen Reiters" lebte einige Jahre in Sindelsdorf - in seinem Bild "Die verzauberte Mühle". Das Gemälde hängt im Chicago Art Institute. So alt die Geschichte der Off-Mühle ist, so modern ist die Technik, die Getreide in jenes fein gemahlene Nahrungsmittel verwandelt. "Wir haben stets investiert", so der Chef. Noch immer wird die Turbine der Mühle mit Wasserkraft angetrieben. Zwei Bäche ,von Höhlmühle und Habach kommend, vereinen sich zum Sindelsbach. Wobei die Nutzung von Wasserkraft bald Geschichte sein könnte. Die Off-Mühle muss eine neue wasserrechtliche Genehmigung beantragen. Die gesetzlichen Vorgaben fordern eine Durchlässigkeit für Fische. Man sei mit den Behörden im Gespräch, sagt Martin Sonner. Bange ist ihm nicht. 2014 wurde auf dem Mühlendach eine Photovoltaikanlage installiert, um noch mehr umweltfreundliche Energie für die Mehlerzeugung zu gewinnen. Das sei ausbaufähig, betont er. "Ich möchte, dass wir autark sind."

Per Hand füllt Mitarbeiter Eugen Taube die Packungen ab. (Foto: Harry Wolfsbauer)

So hochwertig die Mehle der Off-Mühle sind - ohne die Landwirte, die das Getreide anbauen, gehe gar nichts, sagt der 53-Jährige. "Was auf dem Acker nicht gscheit gemacht wird, können wir nicht mehr herauszaubern." Daher ist den Sonners eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten wichtig. "So können wir die Standards bestimmen. Wir zahlen dafür den Bauern auch mehr." Das Getreide kommt überwiegend aus dem Bereich Starnberg und Fürstenfeldbruck. 14 Tonnen Weizen können binnen 24 Stunden in Sindelsdorf gemahlen werden.

Als der Ukraine-Krieg begann und plötzlich Mehl knapp wurde, mussten die Sonners ihre Produkte im Hofladen rationieren. "Das hat uns überrollt", erzählt Martin Sonner. Die Off-Mühle sei die einzige Mühle in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen und Weilheim-Schongau. "Systemrelevant zu sein, das ist krass." Das habe sich schon während der Corona-Pandemie abgezeichnet. Die Sonners wollen von Märkten im Ausland nicht abhängig sein und setzen daher weiter auf Qualität aus der Region. Dass dies so bleibt, dafür bürgt die nächste Generation. Sohn Lukas, 20, steht in den Startlöchern.

Off-Mühle, Mühlengasse 10, Sindelsdorf; Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 7 bis 12 Uhr und 13 bis 18 Uhr; Samstag 9 bis 12 Uhr

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