Nahverkehr:Alle einsteigen!

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Der Expressbus der Linie X 970 beim Halt an der Sauerlacher Straße in Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Grünen aus Wolfratshausen, Geretsried und Bad Tölz werben auf einer Fahrt gemeinsam für den Expressbus, der alle drei Städte im Landkreis im 20-Minuten-Takt verbindet.

Von Konstantin Kaip, Bad Tölz-Wolfratshausen

X 970 steht seit Dezember vergangenen Jahres auf dem Schild der Bushaltestelle gegenüber des Wolfratshauser Bahnhofs an der Sauerlacher Straße. Eine unscheinbare zusätzliche Bezeichnung, die jedoch einen großen Schritt für die von den Grünen geforderte Mobilitätswende markieren könnte: Denn die Expressbus-Linie X 970 verbindet seit einem halben Jahr Wolfratshausen, Geretsried und Bad Tölz nicht nur untereinander, sondern auch mit Starnberg - und das im 20-Minuten-Takt, wochentags von 5 bis 22 Uhr. Sie gehört zu den "landesbedeutsamen Buslinien" - von Wolfratshausen kann man mit dem X320 überdies Richtung Oberhaching fahren - die der Freistaat als Ringschluss um München realisiert hat. Sie stellt, so sind die Grünen überzeugt, endlich eine echte Alternative zum Auto dar. "Das ist der Wahnsinn", sagt der Wolfratshauser Umweltreferent und Grünen-Stadtrat Hans Schmidt. "Wenn sich's mal rumspricht."

Denn die Busse, die sich im S-Bahn-Takt unter den Pendlerverkehr auf der B 11 mischen, sind meist noch ziemlich leer. Das erzürnt nicht nur den Geretsrieder Bürgermeister und Kreisrat Michael Müller (CSU), der deshalb mehr Aktivität vom Kreistag fordert, um die Linie zu bewerben. Auch die Grünen wollen das unbedingt ändern. Der Wolfratshauser Ortsverband ist deshalb an einem heißen Nachmittag im Mai auf Werbetour: Neben Schmidt und seiner Fraktionskollegin im Stadtrat Jennifer Layton warten Hans-Georg Anders vom Ortsverein an der Haltestelle, Andreas Sander vom Kreisvorstand, der Kreisrat Jakob Koch und die Geretsriederin Lena Gneist, die zwar nicht mehr bei den Grünen ist, aber "grün denkt", wie sie sagt. Auf dem Gehsteig der Haltestelle wird es enger als gewöhnlich.

Das merkt auch Gabriele Gergel, die gerade vom Einkaufen kommt und mit dem Bus zurück nach Waldram will, wo sie wohnt. Sie lobt den 20-Minuten-Takt, während sie sich auf ihre Nordic-Walking-Stöcke stützt. Neben ihr wartet eine 25-jährige Medizinstudentin auf den Bus, die gerade an der Kreisklinik ihr praktisches Jahr macht und nach Tölz fahren will, um ihren "Feierabend in den Bergen zu genießen". Sie nutze den Expressbus auch morgens, um von Berg in die Arbeit zu fahren, erzählt sie.

Als der dann kommt, muss der Fahrer noch ein paar Karten verkaufen. 3,50 Euro kostet die einfache Fahrt von Wolfratshausen nach Tölz. Um 15.08 Uhr, acht Minuten später als auf dem Fahrplan, setzt sich der Bus in Bewegung. Außer den Politikern fahren nur wenige Passagiere mit. Zu ihnen gehört ein Zwölfjähriger, der in Starnberg zugestiegen ist und mit Sporttasche zum Tennis nach Geretsried fährt - und eine Katze: Die war beim Tierarzt in Aufkirchen und liegt nun in einem Plastikkäfig neben ihrer Besitzerin gleich hinterm Busfahrer.

Jennifer Layton, Hans Schmidt, Jakob Koch, Hans-Georg Anders und Lena Gneist (v. li., von hinten nach vorn) haben kein Problem, einen Sitzplatz zu finden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Über Waldram geht die Fahrt nach Geretsried. An der Haltestelle "Rathaus B 11" steigen acht Leute ein, vier davon sind Grüne. Stadträte haben es zwar nicht geschafft, dafür aber der gesamte Vorstand des Ortsverbands: Melanie Grünewald, Florian Hiessl, Toni Strobel-Vogt und Marius Schlosser, der auch im Kreisvorstand ist und für das Büro des Bundestagsabgeordneten Karl Bär arbeitet. In Sachen X-Bus hat Schlosser Erfahrung, wie er sagt: Zur Arbeit in Holzkirchen nehme er die Expresslinie, mit Umstieg in Wolfratshausen. An der zweiten Geretsrieder Haltestelle "Am Stern" steigt die Frau mit der Katze aus und der Grünen-Kreisrat Wolfgang Goymann ein.

19 Leute sitzen im 970er, als der in Tölz ankommt. Am zweiten Halt dort, es ist 15.44 Uhr, gibt Schmidt das Kommando zum Aussteigen. Ziel der Tour ist die Haltestelle Brauerei, wo ein Empfangskomitee wartet: Der Tölzer Grünen-Ortssprecher Thomas Maurer, Joe Hesener, Juliane Rechner-Kempkes und der einstige Kreisrat Franz-Xaver Sailer holen die Gruppe ab und führen sie ein paar Schritte weiter in den kühlen Gewölbekeller des Mühlfeldbräus. Dort lobt Maurer die von den Wolfratshausern erdachte Tour als "super Aktion von Euch" und den X-Bus als "super Sache, die uns im Landkreis noch näher zusammenbringt als wir eh schon sind". Anders stellt jedoch fest, dass auch nach einem halben Jahr viele in seinem Freundes- und Bekanntenkreis den X-Bus nicht kennen: "Wir müssen etwas tun, damit sich das verändert."

Zum Potenzial der neuen Linie als "Chance für die Verkehrswende" hält dann Jakob Koch ein Referat. Darin zeigt er die Pendlerbeziehungen auf einer Grafik: 2700 zwischen Wolfratshausen und Geretsried, 640 zwischen Geretsried und Tölz und insgesamt 2000 gebe es zwischen dem Landkreis und Starnberg. "Jeder Bus könnte rappelvoll sein", sagt der Kreisrat, der auch im Umweltausschuss sitzt. Die Haltung, einfach vier Jahre zu warten, bis das Angebot angenommen werde, ist auch Koch zu passiv. Zwar fördere der Freistaat die Betriebskosten beider Linien bis 2026 mit mehr als 6,8 Millionen Euro, also mehr als der Hälfte. Das Defizit von 5,4 Millionen müssten aber die Landkreise tragen. "Je mehr Leute damit fahren, umso mehr Geld haben wir am Ende und umso mehr neue Linien können wir anstoßen", sagt Koch. Der öffentliche Personennahverkehr sei schließlich als "Mobilitätsgarantie für alle" Teil der Daseinsvorsorge.

Einig sind sich alle, dass es mehr Werbung für den X-Bus braucht. Es sei "ein Wahnsinn, wie miserabel die Auslastung ist", sagt Joe Hesener. "Wenn sich daran nichts ändert, kann ich mir nicht vorstellen, dass das Angebot in fünf Jahren fortgeführt wird." Der MVV müsse nicht nur die Fahrpläne an den Haltestellen aushängen, fordert Schmidt, sondern auch an alle Haushalte verteilen. "Das muss breit gestreut werden." Marius Schlosser erinnert schließlich daran, dass wenige Stunden zuvor der Bundesrat das Neun-Euro-Ticket bewilligt hat, das nun vom 1. Juni an allen Bürgern drei Monate lang zusteht - ein "Riesenerfolg", wie Schlosser betont. Und Anlass zur Hoffnung: "Ich glaube, dass das Werbeproblem dadurch etwas gelöst wird."

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