Süddeutsche Zeitung

Öffentlicher Nahverkehr:Im Überflug gegen die S7-Verlängerung

Heinz Wensauer präsentiert in Geretsried seinen Kurzfilm, den er zusammen mit Drohnenpilot Marinus Vogl erstellt hat. Von der Trasse betroffene Grundbesitzer fordern noch mehr Details.

Von Arnold Zimprich

Brutal wird eine Schneise in die Landschaft geschlagen. Dort, wo sie sich durchs Gelände fräst, sprühen Flammen. Der fünfminütige Film, den Heinz Wensauer zusammen mit Kameramann und Drohnenpilot Marinus Vogl konzipiert hat und im Gasthaus Geiger in Geretsried vor 15 Zuschauern zeigt, geizt nicht mit optischen Reizen. "Tag und Nacht habe ich gearbeitet", sagt Wensauer. Den finalen Schliff habe der Film erst am Vortag erhalten. "Es war nicht ganz einfach."

Vogl hat seine Drohnenaufnahmen, die entlang der projektierten Trasse für den S7-Ausbau nach Geretsried entstanden sind, mit Animationen versehen, die das Bauvorhaben drastischer erscheinen lassen. Dass auch Flammen am alten Industriegleis im Wolfratshauser Gewerbegebiet züngeln, mag zu viel des Guten sein. Aber um Spitzfindigkeiten geht es nicht. "Fünf Jahre Verkehrschaos, fünf Jahre Beeinträchtigung der Wirtschaft", läuft in großen Lettern über den Bildschirm, den Wensauer eigens von seinem Nachbarn ausgeliehen hat. "Grüne Wiesen werden zerstört, Spazier- und Wanderwege werden vernichtet": Dies ist das große Bild, das Wensauer zeichnet, die Drohkulisse, die er aufbauen will.

Am geplanten Geltinger Bahnhof an der Leitenstraße ändert sich der Blickwinkel des Films, von einer Flammenwalze ist nun nichts mehr zu sehen. In einer vereinfachten Darstellung und in Draufsichten wird der weitere Verlauf der S7-Verlängerung an der westlichen Seite der Böhmwiese, an der Nikolauskapelle vorbei und durch den Wald nördlich des Stadtteils Stein bis zur Endhaltestelle skizziert. Mit Blick auf die Böhmwiese unterstellt Wensauer der Stadt Geretsried, durch Beeinflussung des Trassenverlaufs "Bauland generieren" zu wollen. "Ein Bahnhof befindet sich erst mal am Rande, aber irgendwann mitten in der Stadt", sagt der Wolfratshauser mit Blick auf die jeweils an den Ortsrändern geplanten Bahnhöfe entlang der S7-Trasse. "Das wird alles Bauerwartungsland", orakelt er über die von der Trasse in Richtung Stadt abgeschnittenen Flächen. Sein Vorschlag im Abspann des Films: In Wolfratshausen solle ein "großes Parkhaus" gebaut und die Busverbindungen ins Oberland gestärkt werden.

Wensauer hat laut eigenen Angaben vier Monate lang versucht, von der Stadt Geretsried für den Film genauere Unterlagen über die aktuellen Planungen zu erhalten - vergeblich. "Ich habe nur minimale Zahlen bekommen. Die können nie und nimmer stimmen." Besonders die veranschlagten 167 Millionen Euro, die der Ausbau kosten soll, würden "bei weitem nicht reichen". Er spricht zudem von einer "Verrampung", schließlich werde ein Gutteil der Trasse auf einem mehr oder minder hohen Damm verlaufen. "Es werden Rampen gebaut, das ist nimmer schön." Auch die Folgen der "Tieferlegung" im Bereich der Sauerlacher Straße "hat man noch nicht ausreichend bedacht".

Wensauer lässt sein Werk ein zweites Mal laufen, nun ist Zeit für Einsprüche. Wolfgang Haase ist Landwirt, sein Hof steht direkt neben der Nikolauskapelle. Im Falle eines Baus wäre "vorne die B11 und hinten die S-Bahn". Sein Wohngebäude könnte laut Haase stehen bleiben, die Wirtschaftsgebäude müssten wohl abgerissen werden. "Ich wünsche mir, dass man noch seltene Tiere findet", sagt er lakonisch. Dann könne man den Bau vielleicht noch abwenden. Ganz abgesehen davon "kann ich meinen Hof während der fünfjährigen Bauzeit gar nicht bewirtschaften."

Franz Fuchs, über dessen Grund ein Gutteil der Strecke verlaufen würde, pflichtet Wensauers Theorie, die Stadt Geretsried wäre insgeheim nur scharf auf Bauland, indirekt bei. "Die sind geil auf das Ding", sagt Fuchs mit Blick auf die Böhmwiese. Er appelliert an Wensauer, den Film in Kooperation mit Marinus Vogl zu überarbeiten. "Das ist brutaler, als es der Herr dargestellt hat." Der Gutsbesitzer wünscht sich mehr Details. Im Film haben Wensauer und Vogl die Böhmwiese und die Flächen südlich der Straße nach Schwaigwall immerhin bereits mit schraffierten Häusern "bebaut". Robert Mayr - sein Hof steht schräg gegenüber dem Haase-Anwesen auf der Ostseite der B11 - hat das Eisenbahngesetz genauer studiert. "Sie haben das Recht, sich zu nehmen, was sie wollen", sagt Mayr. Er sieht die Öffentlichkeit zu wenig informiert und wünscht sich ebenfalls eine Überarbeitung des Films, der noch zu wenig Details zeige. "In Draufsichten wäre es wichtig, Straßenbreiten und Zufahrtsstraßen einzuzeichnen." Die verlegte B 11-Trasse werde viel zu schmal skizziert. "Es geht ja darum, dass man es den Leuten klarmacht".

"Ein erster Schritt ist gemacht, jetzt muss weitergemacht werden", sagt Franz Fuchs, der bereit ist, für den Film "was draufzulegen". Wensauer will sein Werk verbessern und breiter streuen, "auch auf bayerischer Ebene".

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SZ vom 14.09.2020
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