Wer auf dem Land wohnt und kein Auto besitzt, hat es im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen oftmals schwer, von A nach B zu kommen. Ein Beispiel: Jemand, der in Ascholding lebt und um 10 Uhr einen Arzttermin in Wolfratshausen hat, kann nicht mit dem Bus dorthin fahren. Denn zwischen 9 und 11 Uhr steht im Fahrplan des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) – nichts. Wer von Linden bei Dietramszell am Wochenende mit dem Bus zum Bahnhof in Holzkirchen fahren möchte, findet – nichts. Das soll sich bald ändern. Bis Ende 2026 will der Landkreis sogenannte Flex-Verbindungen im Gemeindegebiet von Egling und Dietramszell schaffen. Später sollen Icking und Bad Heilbrunn folgen.
Die Sprinter-Fahrzeuge mit sieben oder acht Plätzen sollen kleine Ortsteile verknüpfen und sie an S-Bahnen, respektive Regionalzüge anbinden. Sie können per App oder auch telefonisch gebucht werden, die Wartezeit soll bei circa 30 Minuten liegen. Eine Einzelfahrt soll 4,10 Euro kosten, Deutschlandticket und MVV-Tickets werden anerkannt. Der Ausschuss für Umwelt, Infrastruktur und Tourismus des Kreistags billigte dies am Montag mit acht zu drei Stimmen. Dagegen votierten Ingo Mehner, Lydia Hofherr (beide CSU) und Anton Ortlieb (FW).
Von Haustür zu Haustür verkehren die Flex-Fahrzeuge nicht
Das Besondere an Flex sei, dass es „keine Fahrtrichtung und keinen Fahrplan“ gebe, sagte Benedikt Bauer vom Fachbereich ÖPNV im Landratsamt. Dadurch unterscheidet sich dieses Angebot vom Linienbetrieb oder auch von Ruf-Taxis im ÖPNV. Die Sprinter fahren reguläre Haltestellen an – und virtuelle. Dabei handelt es sich um Zustiegspunkte, die dem Kunden bei der Buchung mitgeteilt werden. Von Haustür zu Haustür verkehren die Flex-Transporter allerdings nicht, sonst würden sie in Konkurrenz zu Taxi-Unternehmen treten.
Diese Form des Bedarfsverkehrs ermöglicht auch ein „Pooling“, sprich: die Bündelung von Fahrtwünschen. Wenn ein Fahrgast beispielsweise zum Wolfratshauser Bahnhof möchte, ein zweiter ebenso, vielleicht noch ein dritter, dann werden kleine Umwege gefahren, um sie alle mitzunehmen. Vorausgesetzt, der Anschluss an den jeweiligen Zug wird erreicht. Die Flex-Fahrzeuge drehten „keine Endlos-Schleifen“, so Bauer. Die Kunden müssen bei der Buchung deshalb auch ihre gesamte Reisekette angeben.
Das Flex-System ist ein Teil des Nahverkehrsplans, den sich der Landkreis gegeben hat. Egling und Dietramszell wurde mit einer Gesamtfläche von circa 17 000 Hektar, rund 11 200 Einwohnern und zusammen 93 Ortsteilen oberste Priorität zugesprochen. An zweiter Stelle rangiert Icking, an dritter Bad Heilbrunn. Wie die Erschließungsanalyse gezeigt habe, erhielten 93 Prozent im Gebiet von Egling und Dietramszell einen „haustürnahen Zugang in den ÖPNV“, sagte Bauer. Neben den 61 regulären Haltestellen sind 54 virtuelle geplant. Im Gegenzug gibt es jedoch auch eine Einschränkung: Die bestehenden Busverbindungen werden dann allein auf den Schülerverkehr ausgerichtet.
Vorgesehen ist, vier Fahrzeuge anzuschaffen – zwei mit Diesel, zwei mit Elektroantrieb. Die Kosten pro Jahr betragen zwischen 920 000 Euro und 1,08 Millionen Euro. Da die MVV-Linien 375, 377 und 381 auf die Schülerbeförderung reduziert werden, ergibt sich hier eine jährliche Einsparung von 337 000 Euro.
Hubert Oberhauser (FW) warb im Umweltausschuss nachdrücklich für das Flex-System. „Für beide Kommunen ist das ein unwahrscheinlicher Vorteil“, sagte der Eglinger Bürgermeister. Für Michael Häsch (CSU) profitieren davon nicht bloß die Fahrgäste, sondern auch die verstreuten Ortsteile selbst, die unter einem Strukturwandel leiden. Der Einzelhandel verschwinde dort langsam, ebenso Dienstleistungen, ältere Leute hätten kaum noch Möglichkeiten, ihre Ziele zu erreichen, warnte er. Deshalb seien die Flex-Fahrzeuge auch wirtschaftlich „eine ganz sinnvolle Sache“.
„Es wird eine gewisse Gewöhnungszeit brauchen.“
Der Tölzer Bürgermeister mochte dem nicht beipflichten. Er frage sich, ob es mit dem „Pooling“, also dem Hin- und Herfahren, überhaupt zu einer CO₂-Ersparnis komme, sagte Ingo Mehner. Dazu gebe es keine Daten, erwiderte Landrat Josef Niedermaier (FW): „Es wird eine gewisse Gewöhnungszeit brauchen.“ Außerdem monierte Mehner, dass die drei Städte im Landkreis ihre Stadtbusse selbst zahlten, während andere Kommunen für ein zusätzliches Angebot nichts ausgeben müssten.
Stadtbusse seien eben nur in einer Stadt, Flex-Fahrzeuge dagegen in mehreren Kommunen unterwegs, antwortete Fachbereichsleiter Schmid. Der Landkreis bediene sein Gebiet mit Regionalbussen, die auch in Tölz verkehrten, „alles darüber hinaus zahlt die Stadt“. Landrat Niedermaier verwies auf den Nahverkehrsplan. Darin sei „klar definiert“, wo ein Flex-Bus im Landkreis sinnvoll sei – „das ist ausdiskutiert“. Oberhauser verwies darauf, dass sich die Gemeinde Egling auch finanziell einbringen wolle, zum Beispiel, wenn es um Haltestellen und Schilder gehe. „Wir sehen uns da schon auch in Verantwortung.“