Falkenhütte im Karwendel:Die schönste Baustelle der Welt

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Nach dreijähriger Sanierung kann die Falkenhütte im Karwendel Ende August wieder öffnen. Die DAV-Sektion Oberland hat 6,3 Millionen Euro in ihre Schutzhütte investiert.

Von Benjamin Engel

Der fast hundert Jahre alte Fries in der Stube der Falkenhütte zeigt für Rainer Schmid, wie viel Spaß der Bau den Handwerkern gemacht haben muss: Vor dem Karwendel-Panorama mit grauen Felszacken, grünen Nadelbäumen und sonnenverbrannten gelben Wiesen spielt ein alter Mann mit Bart Gitarre. Der Mann auf dem Bänkchen neben ihm zupft auf einer Zither. Während ein Paar in Tracht fröhlich tanzt, stapft ein Wanderer mit Rucksack und Spazierstock dem Ziel entgegen. Eine Sennerin melkt ihre Kuh. "Der Fries wirkt wie aus einer Laune heraus entstanden", sagt Architekt Schmid.

Cajetan Dreisser hat den Fries 1923 über den Erkerfenstern im Eck der Stube gemalt. Seine Signatur und die Jahreszahl stehen am linken Bildrand. Als das Bild entstand, hatte die Sektion Oberland des Deutschen Alpenvereins (DAV) den 1921 begonnenen Bau der Falkenhütte fast fertiggestellt. Etwas unglücklich findet Rainer Schmid nur, dass der Fries in den 1980er Jahren ein wenig zu comicartig aufgefrischt worden ist. Wie detailliert Dreisser die Farbigkeit der Natur in die Stube gebracht hat, bewundert der Architekt. Schmid hat die Sanierungsarbeiten auf der 1848 Meter hoch gelegenen Falkenhütte in den vergangenen drei Jahren geleitet. Bald sind sie fertig: Ende August sollen direkt unterhalb der steil aufragenden Laliderer Wände wieder Gäste einkehren und übernachten können.

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Für die DAV-Sektion Oberland, der die Hütte auf Tiroler Grund gehört, war der Fries nur ein kleiner Puzzlestein eines gewaltigen Kraftakts. Die Tiroler Abteilung des österreichischen Bundesdenkmalamts hatte den Urbau der Falkenhütte 2015 unter Schutz gestellt. Mit den Behörden galt es abzuklären, wie der ursprüngliche Zustand so weit wie möglich wiederhergestellt werden konnte. Ein Teil der Erweiterung aus den 1960er Jahren wurde abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Das Nebengebäude, Horst-Wels-Haus genannt, entstand ebenfalls neu. Die gesamten Arbeiten kosteten 6,3 Millionen Euro. Die Sektion finanzierte das Projekt über Zuschüsse und ein zinsgünstiges Darlehen des DAV, Fördergelder des österreichischen Denkmalamts, des Landes Tirol und der Landesgedächtnisstiftung sowie ein Privatdarlehen und eine Spendenaktion. "Das war das größte Hüttenbauprojekt in der Sektion", sagt Mitglied und Projektleiterin Petra Mühlbauer.

Eine 16 Kilometer lange Forststraße mit steilen Rampen und engen Kurven windet sich von Hinterriß durch das Johannistal bis auf etwas mehr als 1800 Höhenmeter. Auf ihr fuhren Betonmischer, brachten Laster Holzbauteile bis zur Falkenhütte. Pro Jahr blieben den Handwerkern nur die vier Sommermonate von Juni bis September, um am Berg arbeiten zu können. Im niederschlagsreichen Winter 2018/2019 lag der Schnee noch Mitte Mai meterhoch. Für die Baufahrzeuge musste der Weg mühsam frei gefräst werden, schildert Mühlbauer.

Frei gelegt haben die Restauratoren der Neubauer Werkstätten vom Chiemsee auch Blumenranken an der Decke der Urstube, die bis dahin unter der früheren Dispersionsfarbe verdeckt waren. Dass die Wandvertäfelungen einst grün gewesen sein mussten, ließen abgewetzte Stellen unter der weißen Bemalung vermuten. Gewissheit brachte eine Farbschichtenanalyse mit dem Mikroskop. Sogar die fast hundert Jahre alten Hobelstriche der früheren Handwerker konnte Architekt Schmid an der Innenvertäfelung entdecken. "Das ist herausragend", sagt er. Mit ihren Naturfarben vereine die historische Stube den Charakter einer einfachen Klettererhütte mit dem Charme einer Münchner Gaststätte.

Alt und neu verbinden wird das Beleuchtungskonzept. Schmid hat gemeinsam mit dem Dachauer Designbüro Studio Faubel und der Porzellanmanufaktur die Leuchte "Gentiana alba" - lateinisch für weißen Enzian - entwickelt. Für das Modell in Form eines nach unten geöffneten Blütenkelchs diente auch das Enzian-Logo der Sektion Oberland aus der Jugendstilzeit.

Die Falkenhütte ist beliebt bei Fernwanderern

Das ausschlaggebende "Aha-Erlebnis", wie er es selbst bezeichnet, hatte Schmid allerdings in der Oberlandhütte der Sektion bei Aschau in den Kitzbühler Alpen. Unter der üppigen Dekoration entdeckte der Architekt schon vor Jahren eine Holzlampe in Enzianblütenform. "Die hing ganz vereinsamt an der Decke und war schon leicht angekokelt", erinnert er sich. Denn die Hitze der eingeschraubten Glühbirne hatte dem Material schon stark zugesetzt.

Die um die 40 "Gentiana alba"-Leuchten werden in der historischen Stube und den beiden weiteren Gasträumen hängen. Sie sind das verbindende Element der Entwicklungsgeschichte der Falkenhütte von den frühen 1920er-Jahren bis in die Gegenwart. Die zweite Gaststube aus den 1960er-Jahren versprüht mit ihren resopalbeschichteten Tischen, den maschinell hergestellten Zugangstüren und Beschlägen den industriellen Charakter der damaligen Zeit. Gegenwärtig reduziert ist die zur dritten Gaststube umgebaute ehemalige Küche der Hütte. Für Boden und Wandverkleidungen haben die Handwerker Weißtannenholz verwendet. Minimalistische Möbel im Bierbankstil sollen den Gästen Sitzgelegenheiten geben.

So ist eine spannende Mischung aus alten und neuen Elementen entstanden. "Es war eine Auseinandersetzung mit den Details von früher, die wir versucht haben, weiterzuentwickeln", beschreibt Architekt Schmid den Sanierungsprozess. Das zeigt sich an Kleinigkeiten. Sogar die alten Feldsteinmauern im Sockelgeschoss hat er mit seinem Handwerkerteam, wo nötig, ergänzt. Ein altes Tor aus den 1960er-Jahren haben sie durch eine Tür ersetzt und die fehlenden Wandelemente mit Steinen aus dem Aushub der Baustelle ergänzt.

Die zur Statiksicherung eingezogenen Betonelemente an den Innenwänden sind von außen nicht zu sehen. Dafür unterstreichen die neuen Lärchenholzschindeln am Dach und der Fassade den Charakter der alpinen Schutzhütte. Viele zehntausend brauchte es, um alle zu ersetzen.

Im historischen Kernbau der Falkenhütte sind außer der besonderen Gaststube noch die ursprünglichen Bergsteigerkammern und das charakteristische Matratzenlager unter dem Dach geblieben. "Wir konnten die historische Wandbekleidung weitestgehend erhalten und mussten sie nur minimal ergänzen", sagt Schmid. Ein neuer längerer Querbau ersetzt den früheren Anbau aus den 1960er-Jahren. Der Trakt bietet Platz für die neue Küche, die Hüttenpächterwohnung, ein Lager und Sanitärräume.

Das 1969 errichtete und nach dem Hüttenwart Horst Wels benannte Nebengebäude bleibt nur noch solange stehen, wie dort noch Handwerker übernachten. Es wird abgerissen, weil es laut dem Architekten zu kostspielig gewesen wäre, das Haus zu sanieren. Ein neues Nebengebäude wird künftig Vierer- und Sechser-Lager für Übernachtungsgäste bieten. Insgesamt hat die Sektion Oberland die Zahl von früher 156 Schlafplätzen um knapp 20 reduziert. Dafür entstand die dritte Gaststube. So ist das frühere Flaschenhalsproblem gelöst, immer zu wenig Bewirtungsplatz für die Übernachtungsgäste zu haben.

Sicherlich könnte die Falkenhütte auch weitaus mehr Betten vermieten. Denn an ihr kommen heutzutage viele Fernwanderer auf dem Adlerweg vorbei. Mit Mountainbikes, insbesondere elektrisch unterstützten, ist das Haus auf dem Spießjoch schnell zu erreichen. Doch sich zu beschränken, ist wohl in der ohnehin gut besuchten Region des Karwendelgebirges kein Schaden.

Getüftelt haben die Alpenvereinsmitglieder zudem an einer ökologischeren Grundversorgungstechnik im Naturpark Karwendel. Statt über das Dieselaggregat versorgt sich die Falkenhütte nun über ein sechs Kilometer aus dem Talgrund der Eng verlegtes Erdkabel mit Öko-Strom. Auch die Eng und die Laliderer Almen konnten angeschlossen werden. Mit Hilfe von Bio-Flüssiggas wird die benötigte Wärme erzeugt. Im August sollen die Möbel in die Falkenhütte eingebaut werden.

Am Ende desselben Monats sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein. "Ich freue mich wahnsinnig, wenn die Hütte wieder in Betrieb geht", sagt die Bauprojektleiterin der DAV-Sektion Petra Mühlbauer. Allerdings werde sie auch ein bisschen wehmütig werden. "Dann ist die schönste Baustelle der Welt weg."

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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