Süddeutsche Zeitung

Obdachlose:Weihnachtsfest in Aufbruchstimmung

In der Wärmestube der Caritas feiern die Obdachlosen in diesem Jahr bei Gans und Rotkraut nicht nur Weihnachten. Sie feiern auch den Umzug in ihr neues Heim an der Münchner Straße.

Wolfgang Schäl

Karlheinz Hamberger ist 53, geschieden, der gebürtige Weidacher hat sein Leben in Wolfratshausen verbracht, eine Berufsausbildung hat er nie absolviert. Für Arbeit sei er gar nicht geeignet, erklärt er. Die Bandscheiben! Und dann die Sache mit dem Kopf. Vor einigen Wochen, im Oktober ist er gestürzt und erst im Krankenhaus wieder aufgewacht.

Man hatte ihn mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen, "im Hirn waren ja alle Adern gerissen", erzählt er, "deswegen ham's mir den ganzen Kopf aufg'schnitten". Die Ärzte haben ihm gesagt, dass er jetzt auf keinen Fall mehr hinfallen darf. Hamberger trägt zum Schutz jetzt eine Lederkappe, die bis über die Ohren reicht.

Denn mit den Ohren stimmt auch was nicht. Dann noch die Schwindelanfälle, die ihm von der Verletzung her geblieben sind, "da sehe ich oft lauter Sterndl". Ein Jahr älter ist Edelgard Schupanetz, die Namen darf man ruhig schreiben, keiner von den Gästen, die heute in die Wolfratshauser Caritas-Sozialbetreuungsstelle am Obermarkt gekommen sind, hat ein Problem damit.

Edelgard Schupanetz hat früher im Straßenbau gearbeitet als Hilfskraft beim Pflastern und Asphaltieren. Dann kam das Herz und das Asthma. Jetzt ist sie Vollrentnerin, lebt von der Grundsicherung. Das Geld reicht gerade so hin, wenn man sich die Zigaretten selber dreht. "Ausgehen kann ich nicht".

Ist aber nicht so schlimm, sie hat ja Mausi, und die war früher, als Schupanetz noch in der Obdachlosenunterkunft an der Isarstraße gewohnt hat, eine rechte Streunerin. Zwischenzeitlich ist Mieze Mausi aber häuslich geworden, sie ist ja schon 21, ein biblisches Katzenalter. Edelgard Schupanetz fürchtet, dass ihr die hochbetagte Mitbewohnerin nicht mehr lang erhalten bleibt. "Dann bin ich wieder Single".

Zum Weihnachtsfest ist auch Tobias Bimblich gekommen. Der Name ist etwas schwierig zu buchstabieren, man versteht den Mann nicht so gut. Nicht alle, die heute gekommen sind, haben vorn noch ihre Zähne, eher ist es die Minderheit, aber Tobias Bimblich hilft gern. "Bimblich, zweimal mit B und in der Mitte mit L."

Weil er an der Isarstraße, wo früher die Wolfratshauser Obdachlosen gewohnt haben, nicht mehr bleiben konnte, ist er fürs erste im Hotel Humplbräu aufgenommen worden, für eine geringe Gebühr. Er ist ein stiller, freundlicher Mensch, viel sagen kann man über ihn nicht, außer dass er 47 Jahre alt ist und ohne Arbeit und ohne Beruf.

Die drei sind die ersten, die zur Weihnachtsfeier gekommen sind, allmählich füllt sich der Raum in der Caritas-Wärmestube. Pfarrer Florian Gruber ist schon eingetroffen, gemeinsam mit Kaplan Benjamin Gnan verteilt er Geschenke, "ökumenisch", betont Gruber. Bürgermeister Helmut Forster sitzt schon am Tisch, jetzt kommt Simon Lederer mit einem Riesentablett Plätzchen herein.

Der Zehnjährige hat die Zutaten von seinem Taschengeld gekauft und beim Backen geholfen, mit verlegenem Grinsen präsentiert er den kalorienträchtigen Berg. Simon birst vor Stolz, noch viel stolzer ist seine Mutter auf ihren sozial engagierten Buben.

Nach der Plätzchenübergabe wird das Festessssen hereingetragen, gewaltige, knusprige Gänsekeulen mit Blaukraut und dampfenden Knödeln, eine Spende des Alten Wirts in Gelting, der für die bedürftigen Wolfratshauser aufgekocht hat, 30 riesige Portionen. Reden werden zum Glück nicht gehalten, und so vernimmt man alsbald nur noch monotones Besteckklappern. Das ist Weihnachten, mehr wird nicht passieren.

In diesem Jahr ist alles anders als sonst, viel hektischer, denn zum Wochenbeginn sind die ersten Bewohner in die neue Obdachlosenunterkunft an der Münchner Straße eingezogen. Zum Schluss hin haben noch sieben Bewohner die heruntergekommenen Räume an der Farcheter Isarstraße genutzt, sie werden bald abgebrochen. Jetzt ist alles besser, schöner.

Im neuen Heim gibt es Duschen und Zentralheizung, für die Bewohner ungewohnter Luxus. "Die Leute waren wahnsinnig angespannt", erzählt Sozialbetreuerin Ines Lobenstein, es hat viel Aufregung gegeben. Edelgard Schupanetz war völlig durch den Wind, weil bei ihrem neuen Zimmer das Schloss geklemmt hat. Aber mittlerweile ist das Problem beseitigt, sie lächelt gelöst.

Lobenstein hatte selber große Sorgen, ob das mit dem Umzug alles zu schaffen sein würde. Mit Hilfe der Malteser ist es dann gegangen. Sie haben an der Münchner Straße die Möbel zusammengeschraubt und aufgebaut, nun freuen sich alle Bewohner auf den Neubeginn. "Es war eine wahnsinnige Umstellung", sagt Lobenstein, "aber jetzt ist es schön zu sehen, wie bei den Leuten die Augen glänzen. Da ist so ein Strahlen...".

Einige Bewohner haben ihre Kleider gewaschen, um den Isarstraßengeruch herauszubekommen. "Bei den Menschen ist was passiert", sagt Lobenstein, "das Leben, das sie jetzt führen, empfinden sie plötzlich als achtenswert". Sehr umfänglich ist die Obdachlosenszene in Wolfratshausen nicht.

Nur ein bis drei Personen leben nach Lobensteins Wissen direkt auf der Straße, weitere zehn bis fünfzehn sind wohnungslos und suchen sozialen Kontakt in der Caritas-Stelle. Sie finden hier Unterstützung, wenn es um Behörden oder um Schulden geht. Oft sind es familiäre Probleme, die den sozialen Absturz auslösen, sehr häufig auch Psychosen. "Das kann Menschen aus der Bahn werfen, von heute auf morgen ist dann plötzlich nichts mehr wie zuvor", sagt Lobenstein.

Dann müssen Wohnungen geräumt werden. So sind es denn auch nicht nur Berufslose, die zu ihr kommen. Auch ein Kunsthistoriker war schon dabei, Ärzte, eine Fotografin. "Es sind nicht nur die einfach Strukturierten, sondern ganz oft auch die Sensiblen, die nicht damit fertig werden, dass in unserer Gesellschaft alle so perfekt sein müssen", sagt Lobenstein.

Vor diesem Anspruch scheitert mancher "und schafft dann nichts mehr". Lobenstein muss zwar darauf achten, dass sie gegenüber ihren Kunden - in der Regel sind sie im Alter von Mitte 30 bis Mitte 50 angesiedelt - Distanz und Autorität wahrt, "denn wenn man nicht den nötigen Respekt hat, dann kann man nicht arbeiten", so ihre Erfahrung in 24 Jahren Sozialpädagogik.

Aber ihre Zuneigung zu den Gestrandeten ist nicht zu überhören. "Viele sind so warmherzig", sagt sie. Und: "Es geht so viel verschüttet."

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Quelle:
SZ vom 24.12.2010/zinn
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