Nur geduldet:Erfolgsgeschichte mit Befristung

Nur geduldet: Der pakistanische Flüchtling Atif Ashraf (links) hat seine Ausbildung mit Bravour gemeistert und ist in seiner Firma unverzichtbar. "Er ist ein vollwertiges Mitgleid bei uns", sagt sein Chef Thomas Strobl (rechts).

Der pakistanische Flüchtling Atif Ashraf (links) hat seine Ausbildung mit Bravour gemeistert und ist in seiner Firma unverzichtbar. "Er ist ein vollwertiges Mitgleid bei uns", sagt sein Chef Thomas Strobl (rechts).

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Atif Ashraf war der zweitbeste Azubi zum Groß- und Einzelhandelskaufmann im Landkreis. In Thomas Strobls Eurasburger Firma hat er gleich einen Arbeitsplatz bekommen und gilt als unverzichtbar. Bleiben darf der pakistanische Flüchtling vorerst aber nur zwei weitere Jahre

Von Benjamin Emonts, Eurasburg

Heute ist Atif Ashraf an der Reihe. Der pakistanische Flüchtling kocht Curry und Kichererbsen für seine Kollegen, ein Gericht, dessen Duft ihn an seine Heimat erinnert. Auf dem Küchentisch vor ihm liegt eine Urkunde der oberbayerischen Regierungspräsidentin Maria Els. Atif erzählt stolz, dass er der zweitbeste Auszubildende des gesamten Landkreises zum Groß- und Außenhandelskaufmann sei. Eine Kollegin bestätigt, dass sie Atif nicht nur wegen seiner Kochkünste schätzten. Als Mitarbeiter in ihrer kleinen Firma in Eurasburg sei er unverzichtbar. Sein Chef Thomas Strobl versichert glaubwürdig: "Wir brauchen Atif. Es wäre ein großer Verlust, wenn er nicht mehr bei uns wäre."

Die Angst, dass Atif das Land womöglich irgendwann verlassen muss, schwingt in solchen Aussagen immer mit. Als Pakistaner ist er im Jahr 2015 aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland in die Bundesrepublik Deutschland geflohen. Sein Antrag auf Asyl, das war nicht anders zu erwarten, wurde vergangenes Jahr vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, abgelehnt. Auf Anraten eines Fachanwalts und des Asylhelferkreises Eurasburg reichte Atif Klage ein. Er befürchtete, seine Ausbildung in Eurasburg sonst nicht abschließen zu können.

Die Ungewissheit ließ ihn nicht los und kostete ihn viele schlaflose Nächte - ihm ging es damit wie Tausenden anderen Flüchtlingen, die fürchten, zurück in ihre Heimat abgeschoben zu werden. Doch für die Auszubildenden unter den Flüchtlingen gibt es seit August 2016 ein Schlupfloch, durch das Atif nun offenbar kriechen kann. Die deutsche Bundesregierung hat damals ein neues Integrationsgesetz inklusive der sogenannten Drei-plus-zwei-Regelung in Kraft gesetzt. Sie bietet jenen Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die Möglichkeit, ihre begonnene Ausbildung abzuschließen und für diesen Zeitraum eine Aufenthaltsduldung zu bekommen. Bestehen sie am Ende der drei Ausbildungsjahre ihre Prüfung und finden innerhalb eines halben Jahres einen Arbeitsplatz, steht ihnen das Recht zu, zwei weitere Jahre in Deutschland zu bleiben und zu arbeiten. Der Punkt, an dem sich Atif gerade befindet.

Einen Weg zurück nach Pakistan gibt es für den 27-Jährigen nicht - zu schlimm seien seine Erinnerungen, zu groß die Angst. Seine Geschichte erzählt er nur zögerlich und bruchstückhaft, es fällt ihm schwer. In seiner Heimat in der Region Kashmir, das erzählt er, habe er sich wegen seiner toleranten und liberalen Haltung, die er öffentlich kommunizierte, Feinde bei den konservativen Muslimen gemacht. Seine Schwester und er seien von der Schule geflogen, seine Familie wurde geächtet. Der Vater schickte sie zu einem Onkel und wurde später umgebracht, wie Atif erzählt. Seine Mutter starb auch, seine Schwester floh nach Abu Dhabi. Atif und sein Cousin nahmen das gesamte Geld der Familie und flüchteten über einen Schleuser mit dem Flugzeug nach Deutschland. Über die Details schweigt Atif. Am Frankfurter Flughafen aber wurde er festgenommen. Er kam über ein halbes Dutzend Erstaufnahmeeinrichtungen im Sommer 2015 nach Eurasburg im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen.

Sein jetziger Chef Thomas Strobl ging damals aktiv auf den dortigen Helferkreis zu, weil er nach Arbeitskräften für sein Lager in Eurasburg suchte. Atif, der in Pakistan ein Bachelor-Studium im Fach BWL abgeschlossen hat, erwies sich rasch als überqualifiziert für den Job. Strobl vertraute ihm Aufgaben in der Buchhaltung an und war so zufrieden, dass er ihm wenig später eine Ausbildungsstelle gab.

Atif lebt in der Asyl-Unterkunft, dennoch lebt er sich im Dorf und in seiner Firma hervorragend ein. Um die Jugendlichen besser kennenzulernen, geht er zur Freiwilligen Feuerwehr im Dorf. "Das ist der einfachste Weg, Leute kennenzulernen und in die Gesellschaft zu kommen", sagt er. Atif spricht mittlerweile von seiner "neuen Heimat". Die Leute hier behandelten ihn gut, und er liebe die Berge. "Die hatte ich auch in meiner Heimat."

Seine Sorgen, nicht bleiben zu dürfen, waren zuletzt jedoch groß. Unter die Drei-plus-zwei-Regelung fallen nur Flüchtlinge ohne laufendes Asylverfahren, was Atif nicht wusste. Seine Klage beim Bamf gegen die Ablehnung des Asylantrags aber lief noch, wodurch sein Asylverfahren noch nicht beendet war. Die Klage zog er schließlich zurück und willigte damit offiziell ein, kein Anrecht auf Asyl in Deutschland zu haben. Atif durfte zwei Wochen nicht mehr arbeiten und fühlte sich leer. Dann kamen die guten Nachrichten. Er hatte seine Abschlussprüfung bestanden, in seinem Zeugnis stehen ausschließlich Einser - abgesehen von einer Vier in Deutsch. Die Ausländerbehörde im Tölzer Landratsamt hat ihm wieder eine Arbeitsgenehmigung erteilt. Atif soll noch kommende Woche den amtlichen Bescheid bekommen, die Drei-plus-zwei-Regelung in Anspruch nehmen zu können. Sein Aufenthalt und sein Arbeitsplatz sind damit für zwei weitere Jahre gesichert.

Sein Chef Thomas Strobl will kein Verständnis dafür aufbringen, dass Fachkräfte wie Atif, die er so dringend benötigt, nicht einfach hier bleiben können. "Er ist pflichtbewusst, zuverlässig und ein vollwertiges Mitglied bei uns", sagt er. Dass Erfolgsgeschichten über Flüchtlinge derzeit in den öffentlichen Diskussionen über Obergrenzen und Abschottung völlig untergehen, ärgert ihn maßlos. "Die Flüchtlinge werden für politische Machtkämpfe nur instrumentalisiert." Der innigste Wunsch seines Angestellten Atif Ashraf ist es, sich hier ein Leben aufzubauen. In zwei Jahren aber ist er hier nicht mehr geduldet. Spätestens dann muss er hoffen, durch ein weiteres Schlupfloch zu gelangen. Für Flüchtlinge mit abgeschlossener Ausbildung, eigenem Wohnsitz, festem Einkommen und fundierten Deutschkenntnissen kann die Ausländerbehörde nach eigenem Ermessen eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung aussprechen. Atifs Hoffnung auf eine Zukunft in Deutschland lebt.

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