Süddeutsche Zeitung

Kabarett in Bad Tölz:G'schichtn aus der Boazn

Bei seinem Auftritt in der Alten Madlschule würdigt das Ensemble "Nouwell Cousines" die gute alte Stammkneipe. Der Mikrokosmos liefert viel Stoff für über zwei Stunden virtuose Musik und Komik.

Von Anja Brandstäter

"Der Alex aus Berlin darf mitspielen, den haben wir im Johanniscafé aufgeklaubt", sagt Maresa Well. Das Johanniscafé am gleichnamigen Platz in München ist Dreh- und Angelpunkt des Bühnenprogramms "Boaznklassik". Die Kneipe im Münchner Stadtteil Haidhausen gilt als klassische Boazn. Stammgäste finden auch blind hinein, wenn sie sich am abgestandenen Geruch des Gastraums orientieren und verweilen gerne bis zum Zapfenstreich um fünf Uhr früh. Ob der Zuführung von zu viel Alkohol "speibt" gelegentlich auch der ein oder andere. Wirt Olav kennt sie alle mit Namen - auch die Nouwell Cousines, zusammengesetzt aus den Mitgliedern der Familie Well, Maria, Maresa, Matthias und dem Berliner Musiker Alex Maschke, die hier ihren Stammtisch haben und das Kneipengeschehen am Samstagabend in der Alten Madlschule in Bad Tölz wiedergaben.

So eine Boazn ist das zweite Wohnzimmer für die unterschiedlichsten Menschen aus dem Viertel, die zu jeder Tages- oder Nachtzeit über ihr Leben schwadronieren. Sie ist ein Mikrokosmos, eine Begegnungsstätte, die viel Stoff liefert, zum Beispiel für die Beautyqueen im Leopardenmantel ("Beauty ist mein Leben, bei mir ist alles operiert, denn Schönheit kommt nicht von allein"), oder für die Frau, die man nicht verstehen kann, weil sie aus der Oberpfalz kommt. Irgendwann hat sie, unglücklicherweise, eine Bierallergie bekommen und trinkt seitdem nur noch Calvados.

Mit ihrer Spielfreude, ihrer musikalischen Vielseitigkeit und den verrückten Geschichten aus dem Leben erobern die Musikkabarettisten im Nu die Herzen ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer. Es wird mitgesungen und mitgeklatscht. "Klatschen darf jeder, wie er mag, Hauptsache laut und Hauptsache im Takt", fordert Geigerin und Akkordeonistin Maresa Well das Publikum auf.

Das Programm führt durch die Unwegsamkeiten des Lebens, ob es um einen Geigenwettbewerb in Rumänien geht, den Matthias bestehen möchte, die Partnersuche über die Internetplattform Tinder oder um den "Böhmischen Wind". Bei selbigem handelt es sich um den hauseigenen, scharfen Schnaps im Johanniscafé. "Der ist sauscharf, da ist Chili drin. Der Böhmische Wind hat mi umigwad" singt Cellistin Maria Well.

Die Stimmung während der Veranstaltung ist trotz oder wegen der strengen Abstandsregeln und der Maskenpflicht - auch die 3-G-Regel wurde streng am Einlass kontrolliert - ziemlich ausgelassen. Der gemütliche Raum in dem ehemaligen Tölzer Schulhaus bietet an diesem Abend Platz für etwa 40 Gäste. Sicherlich trägt auch das historische Gemäuer mit den alten Holzböden zu der behaglichen Atmosphäre bei.

"Ich kann gar nicht genug haben. Man ist doch ausgehungert und lechzt nach Kultur", sagt die 86-jährige Annelis Amberger und fügt hinzu: "Ich freue mich des Lebens." Sie ist in Begleitung von Gertrud Wilhelmsen. Die 73-jährige Hamburgerin sagt: "Zwei Jahre konnten wir nicht hierher kommen. Ich hoffe, dass es weitergeht und die Veranstaltungen nicht wieder abgesagt werden müssen. Das Hygienekonzept ist ausgezeichnet. Wir fühlen uns sehr sicher", sagt sie.

Susanne Adam und Holger Pakullat genießen in der Pause ein Glas Rotwein. Die Maske sitzt fest über der Nase - nur beim Trinken wird sie abgenommen. "Wir machen das Beste daraus. Normalerweise ist hier alles rappelvoll. Die Kultur ist uns sehr abgegangen." Ähnlich beschreiben Petra und Thomas Fürst die Situation: "Es ist schön, dass es wieder Kultur gibt. Wir schätzen die vielen kleinen, feinen Angebote im Landkreis."

Evi Luber vom Kulturverein Lust steht hinter dem Tresen und schenkt Getränke aus. Sie sagt: "Die Menschen sind noch vorsichtig. Es tut so gut, dass wir wieder ein Programm auf die Beine stellen können." Von den Gästen bekomme sie viel Zuspruch. "Wir hoffen, dass es keinen weiteren Lockdown gibt und versuchen einfach, weiter zu machen."

Über zwei Stunden virtuose Musik und schräge Komik quittiert ein begeistertes Publikum mit tosendem Applaus und Bravo-Rufen. Zwei Zugaben hat es sich erklatscht, eine davon ist ein perfekter Schuhplattler von Maria und Maresa Well. "Super, dass wir wieder spielen dürfen", sagt Maresa Well nach dem Konzert. "Es ist zwar noch nicht ganz wie früher, aber die Stimmung in dem kleinen Rahmen ist sehr gut." Während der Corona-Zeit habe ihrem Ensemble die Interaktion gefehlt, dabei sei diese so wichtig. Well findet: "Das geht nicht in einem Stream, das haben wir ein Mal probiert."

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SZ vom 25.10.2021/kml
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