Eine Suche geht zu Ende. Vor sechs Wochen haben sich der Zitherspieler Georg Glasl und die Schauspielerin und Performance-Künstlerin Ruth Geiersberger nach Ägypten aufgemacht, mit offenen Ohren für neue Klänge und dem Ziel, ungewöhnliche akustische Kombinationen zu entdecken. Nun ist das Duo zurück und packt den Rückkehrer-Koffer dort aus, wo alles angefangen hat: im Schusterhaus in Kochel.
Dort hat das musikalisch-performative Duo im Ortszentrum seinen Auszug gefeiert, mit wehenden Fahnen von Ergül Cengiz, die nun das Schusterhaus zieren. Dass die Reise ausgerechnet nach Ägypten führte, ist kein Zufall: 1838 hat einer von Glasls Brüdern im Geiste, der Zithervirtuose Johann Petzmayer, eine Reise zum Nil mit Herzog Max in Bayern gemacht. Der Herzog schrieb daraufhin seinen Reisebericht „Wanderung nach dem Orient im Jahre 1838“, der jetzt eine Quelle für die Texte in Kochel wird. Text und Musik werden so zum Spiegel, in den das Künstler-Ensemble blickt, um daraus seine eigene Wort-Klang-Collage zu basteln.
Die Spiegelscherbe, die Ruth Geiersberger auf ihrem Tisch im Schusterhaus neben anderen Objekten installiert, wirkt dadurch wie das symbolische Zentrum der Aufführung. So ist die Reise nach Afrika keineswegs eine simple Inspirationssammlung gewesen, sondern eine Möglichkeit, stereotype Bilder von „dem“ Orient, wie sie nicht zuletzt zur Zeit des Herzogs konstruiert wurden, zu reflektieren. Beständig wechselt Geiersberger in ihrer lebendigen Text-Präsentation zwischen den Worten des Herzogs und den plastisch präzisen, stilschön gefassten aktuellen Reise-Impressionen von Sabine Reithmaier – in mehr als einem Moment verschwimmen dabei die Grenzen. Ist der Satz nun aus dem 19. Jahrhundert oder vor vier Wochen geschrieben worden? Diese Unschärfe macht den Reiz der „Nilfahrt“ in Kochel aus.
So dürfte die Gesänge der Muezzine, die untrennbar zur klanglichen Landschaft Ägyptens gehören, auch Herzog Max gehört haben. In Aufnahmen, die Georg Glasl während der Reise gemacht hat und die Klangregisseur Benni Beblo einspielt, werden sie auch im Schusterhaus hörbar, überblendet mit orientalisierenden Motiven, die Glasl live auf seinen Zithern zupft. „Man glaubt sich in die Welt aus Tausendundeiner Nacht versetzt“, sagt Ruth Geiersberger. Doch in dem Moment, in dem auch das Publikum anfängt, Märchenbilder vor dem inneren Auge zu sehen, holt man es mit einer gelungenen Wendung in die alpenländische Realität zurück – die melismatisch verschnörkelten Rufe des Muezzins verschmelzen mit dem Di-ri-di eines Jodlers, den Geiersberger lässig ans Treppengeländer gelehnt darbringt. Es lässt sich nicht verleugnen, auch wenn man von der Fremde eingehüllt wird, sich adaptiert, man bringt das Eigene immer mit. Diesen transkulturellen Effekt macht das Ensemble konkret fühlbar.
Das gelingt so prägnant, unmittelbar eindrücklich durch die durchdachte Kombination aus Sprache, vor Ort aufgenommenen Sound-Schnipseln und der Musik, die Georg Glasl in den vergangenen Wochen unentwegt komponierend zusammengestellt hat und nun mit den Stücken von Johann Petzmayer kombiniert. So gehen zarte, melancholische Töne, die Glasl sich für die Untermalung einer Beschreibung der ägyptischen Grabstätten ausgedacht hat, über in unwirkliche Klänge, die er mit dem Bogen auf der Zither streicht und die einen surrealistisch anmutenden Basar-Besuch begleiten, um schließlich mit einer fidelen Polka zu enden.
Doch die vielleicht wichtigste Parallele des herzoglichen Besuchs und der Reise, die vor wenigen Wochen zu Ende gegangen ist, besteht in der kritischen Anteilnahme, mit der beide Reise-Parteien das Gastland beobachten. Eine der eindrücklichsten Szenen, die Ruth Geiersberger aus dem Buch des Herzogs vorliest, schildert seinen Besuch eines Sklavenmarkts. Der Wittelsbacher ist angewidert von der entmenschlichenden Praxis: „Es ist empörend, Menschen gleich dem Vieh verkauft zu sehen“, schreibt er – und kauft fünf Sklaven, die er in München taufen lässt und ihnen so ein freies Leben in Bayern ermöglicht.
Zitherspiel vor den Pyramiden? „Not allowed!“
Derartiges haben Glasl und Geiersberger zwar nicht erlebt. Doch auch die Touristen von heute wurden mindestens implizit mit den Grundrechtseinschränkungen vertraut gemacht, die in der Militärdiktatur üblich sind. Die Ur-Szene, die die ganze Reise inspiriert hat, ließ sich so nicht verwirklichen. Das Zither-Spiel, mit dem Johann Petzmayer seinen Herzog am Fuße der Pyramiden erfreute, scheitert heute an den Sicherheitsvorkehrungen des Regimes. „No music allowed!“, hieß es, als Georg Glasl einmal seine Taschenzither unauffällig anspielen wollte. Musik könnte zu Versammlungen führen und die sind in Ägypten momentan generell unerwünscht.
Im Gedächtnis bleiben die Armut, der Übertourismus, der Gestank nach brennendem Müll, die ständige Präsenz von Polizei und Militär, die verspielt-akrobatischen Autofahr-Künste der Ägypter, aber auch ihre Freundlichkeit, ihr Stolz, die Lebendigkeit, der Staub – und die Klänge, die Georg Glasl und Ruth Geiersberger gesammelt und mitgebracht haben. Sie werden auch dem Publikum im Kocheler Schusterhaus lange im Gedächtnis bleiben.
Weitere Termine von „Nilfahrt. Mysterien einer Zitherpartie“ unter www.georgglasl.de