Die kinnlangen, rotbraunen Haare sind unter einer Mütze verborgen. Markus Steinke trägt einen dichten Vollbart und begrüßt einen mit festem Händedruck. Steinke, ein sportlicher, kräftiger 40-jähriger Mann, wirkt, als könne ihn kaum etwas aus der Fassung bringen. Und doch ist ihm im August ein wenig mulmig geworden. Da stand der Ascholdinger an einem steilen, hart gefrorenen Hang mit vereisten Buckeln und fragte sich voll Sorge, ob seine Erfindung wohl ganz bleiben würde. Inzwischen, rund 30 000 Höhenmeter später hat er die Sicherheit: Sie funktioniert.
Wovon Steinke so spannend erzählt, ist seine neue Entwicklung: die Pindung. Hinter dem Namen verbirgt sich eine Skibindung für Tourengeher und Freerider. Dafür hat er 2014 das Unternehmen Bavarian Alpine Manifest (B.A.M.) gegründet. Zusammen mit Michael Kreuzinger hat er seine Idee seither umgesetzt und zum Patent angemeldet. Der Clou aus seiner Sicht: Die Pindung soll die Sicherheitsanforderungen einer herkömmlichen Bindung mit dem Aufstiegskomfort eines rahmenlosen PIN-Systems verbinden.
Weniger Gewicht als vergleichbare Bindungen
Ein Bügel am Vorderbacken lässt sich einfach umlegen. Dadurch fahren zwei Zapfen (Pins) aus. Sie halten den Skischuh beim Aufstieg. So wird die Bindung leichter, wird insgesamt nur rund 800 bis 900 Gramm wiegen. Ein optimierter Drehpunkt soll den Gehkomfort erhöhen. In der Abfahrt soll die Pindung dieselben Sicherheitsstandards wie klassische Produkte bieten. So lässt sich der Z-Wert zwischen 6 und 14 einstellen, das ist der Wert, bei dem sich die Bindung öffnet. Die Bindung soll perfekte Kraftübertragung und eine niedrige Standhöhe bieten. Damit wollen die Entwickler eine Marktlücke schließen.
Messe:Fit werden in künstlichen Welten
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Kreuzinger hat daran gearbeitet, das hintere Fersenteil der Bindung weiter zu entwickeln. Seit dem ersten Test in Neuseeland im dortigen Frühling hat der Prototyp für den Vorderbacken alle Belastungen ausgehalten. Die Plastikbestandteile stammen aus dem 3 D-Drucker. Steinke und Kreuzinger haben den Prototypen schon auf der Alpinmesse Innsbruck Anfang November gezeigt. Mit einem Stand sind sie auch auf der Münchner Sportartikelmesse Ispo vertreten, der größten Messe ihrer Art weltweit, die noch bis Mittwoch läuft.
Steinke hat mit B.A.M. zur Finanzierung seiner Entwicklung eine Crowdfunding-Aktion bei einer Plattform im Internet gestartet. In sechs Wochen hat er damit knapp 50 000 Euro eingesammelt. 134 Unterstützer gaben Geld. Sie erhielten je nach Höhe des gespendeten Betrags ein kleines Dankeschön wie limitierte B.A.M.-Ski mit Pindung, Thermo-Trinkflaschen, Stirnbänder oder T-Shirts.
Damit kann Steinke eine kleine Serienproduktion starten. Er habe den Weg über Crowdfunding gewählt, weil er so leichter Geld einsammeln könne, sagt er. Ein Kredit bei der Bank sei wesentlich schwerer zu bekommen. Doch auch Publicity-Gründe spielen eine Rolle. Hanna Finkel, bei B.A.M für Marketing zuständig, erklärt, die vielen Klicks auf der Crowdfunding-Seite hätten mehr gebracht als eine klassische Anzeigenkampagne.
Seine Freunde nennen Steinke nur "Bambam", frei nach dem Adoptiv-Baby von Barney und Betty Geröllheimer aus der Zeichentrickserie "Die Feuersteins". Dessen hervorstechendste Eigenschaften und Merkmale: explosive Stärke, eine Brise Humor und ein Knüppel, den es mit dem Ruf "Bamm Bamm" durch die Luft schwang. Kraft und Humor konnte wohl auch Steinke in seinem bisherigen Leben gebrauchen, das zumindest unkonventionell war. Er wuchs in Ottobrunn südlich von München auf. Von Kindheit an probierte er viele Sportarten aus. Mit 15 Jahren fing er an, Ski-Langlauf als Leistungssport zu betreiben. Er machte eine Ausbildung zum Energieelektroniker, holte sein Abitur nach und begann zu studieren.
Bekannte starben bei Lawinenunglücken
Doch seine wahre Leidenschaft blieben die Berge. Kaum 20 Jahre alt kletterte er an 300 Tagen im Jahr in den Bergen und wandte sich später genauso exzessiv dem Skitourengehen und dem Freeriding zu. Selbst einige Sommer verbrachte der staatlich geprüfte Skilehrer und Freeride-Guide in Neuseeland im Schnee. Gearbeitet habe er praktisch nur, um sich das Skifahren zu finanzieren, sagt er. Für Steinke ist das die pure Freude. Skifahren sei einfach vollkommen ungezwungen. Spontan könne er sich entscheiden, in welche Richtung er fahren wolle. Mit den Jahren hat Steinke gelernt, Risiken nicht überzustrapazieren. Schon einige Bekannte sind in Lawinen umgekommen.
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Es erscheint folgerichtig, dass der 40-Jährige sich schließlich entschied, seine Sportgeräte selbst herzustellen. "Die Skier, die ich wollte, hat es damals nicht gegeben." In einem Praktikum bei einer Skifirma brachte er sich die grundlegenden Kenntnisse selbst bei und baute seine ersten Skier, die er unter der Marke "Mountain Wave" verkaufte. 2009 übernahm das Unternehmen Skylotec die Marke. Bis 2014 arbeitete Steinke dort als angestellter Produktmanager. Derzeit lässt er für das Label "Liebling" aus Arzbach Skier in Europa anfertigen.
Längst ist seine Arbeit für B.A.M. ein Full-Time-Job. Den Namen habe er gewählt, weil er so kurz und einprägsam sei. Zudem stehe er für die Philosophie seiner Skibindungs-Firma, nämlich alles möglichst in Bayern herzustellen, am besten dicht um München herum. Deshalb ist er froh, mit seiner Firma auf dem Gelände einer früheren Baufirma in Deisenhofen untergekommen zu sein. Dort hat er den Ausstellungsraum eingerichtet.
Klappt alles nach seinen Vorstellungen, wird die Pindung zur Wintersaison 2016/2017 in Serie auf den Markt kommen. Fürs Erste will er 5000 Stück produzieren, zum Preis von rund 450 Euro. Und auch zum Skifahren reicht die Zeit noch: Markus Steinke fährt noch immer etwa hundert Tage im Jahr in die Berge.