Neuer künstlerischer Leiter:"Im Geiste des Erfinders"

Tölzer Knabenchor

Eine Volkslieder singende Pfadfindergruppe war der harte Kern, aus dem sich die international bekannte Marke „Tölzer Knaben“ entwickeln sollte.

(Foto: Jan Röder)

Michael Hofstetter will den Tölzer Knabenchor auf bewährte Weise weiterführen - und Neues wagen

Von Paul Schäufele

Als "Engel aus Bayern" sind sie zu Figuren japanischer Mangas geworden. Das ist ein Nebeneffekt jahrzehntelanger musikalischer Exzellenz: Der Tölzer Knabenchor feiert heuer seinen fünfundsechzigsten Geburtstag und schenkt sich einen neuen musikalischen Leiter. Von nun an arbeitet der als Chor- und Operndirigent gefragte Michael Hofstetter mit dem Knabenchor.

"Wir wissen, worauf wir uns einlassen", sagt Barbara Schmidt-Gaden mit einem Lachen, als es um den neuen Mann in Spitzenposition geht. Die Geschäftsführerin des Chores und Tochter des Gründers Gerhard Schmidt-Gaden kennt Hofstetter schon lange. 2003 kamen Dirigent und Vokalensemble das erste Mal zusammen für eine Tournee mit Felix Mendelssohn Bartholdys "Sommernachtstraum". Dabei ging es durch halb Deutschland. Seitdem hat der gebürtige Münchner immer wieder mit den jungen Sängern Programme erarbeitet, etwa eine Matthäus-Passion in Versailles oder Mozarts Requiem.

In jedem Satz, den Hofstetter spricht, nimmt man wahr, welch großen Respekt er vor der Arbeit hat und wie sehr er die Verpflichtung spürt, die sechseinhalb Jahrzehnte Musizieren auf Weltklasse-Niveau mit sich bringen. Dabei war am Anfang gar nicht klar, wohin die Reise mit den Sängern genau gehen sollte. Eine Volkslieder singende Pfadfindergruppe war der harte Kern, aus dem sich die international bekannte Marke "Tölzer Knaben" entwickeln sollte. Trotz der ambitionierten Klangvorstellungen von Durchsichtigkeit und Leichtigkeit und dem Ideal eines hell-silbrigen Tons war es das Anliegen Schmidt-Gadens, die Knaben bei der musikalischen Ausbildung nicht durch eine Internatspflicht zu binden.

Hofstetter wird künstlerischer Leiter des Tölzer Knabenchores

Michael Hofstetter hat immer wieder mit den jungen Sängern Programme erarbeitet.

(Foto: dpa)

Dass Schmidt-Gadens Konzept aus effektiver Stimmbildung und ansonsten freiem Heranwachsen in der Familie aufging, zeigte sich bald an der Reihe von Musikern, die die Tölzer Knaben für ihre Programme engagierten. Wolfgang Sawallisch setzte die Knaben in Mozarts "Zauberflöte" ein - bis heute eine Paraderolle für die jungen Sänger -, Leonard Bernstein ließ einen Tölzer Knaben im Finale von Gustav Mahlers Vierter singen und für Herbert von Karajan war der Chor "einer der besten der ganzen Welt".

Einer der Schwerpunkte des Chores, der seit den Siebzigerjahren nicht mehr in Bad Tölz, sondern in München seinen Sitz hat, ist die Pflege Alter Musik. Das zeigt die wiederholte Zusammenarbeit mit dem Originalklang-Pionier Nikolaus Harnoncourt. Der österreichische Dirigent verpflichtete die Sänger häufig für die Zusammenarbeit mit seinem Concentus Musicus, etwa für Johann Sebastian Bachs Kantatenwerk, zumal das Weihnachtsoratorium. Das Interesse an historischer Aufführungspraxis war in den Fünfzigerjahren keine Selbstverständlichkeit. In diesem Bereich leisteten die Tölzer Grundlagenarbeit. In Michael Hofstetters Worten: "Hier wurde Musikgeschichte geschrieben."

Wenn Hofstetter also sagt, zu seinen ersten Projekten gehöre eben jenes Weihnachtsoratorium (in Verbindung mit Concerto Köln), so ist das auch als Anknüpfung an die Tradition zu verstehen. Schließlich könne man es nicht besser machen. "Es geht darum, den Chor im Geiste des Erfinders weiterzuführen." Die Pandemie hat das erschwert, über ein Jahr war es kaum möglich, Gesangsunterricht und Proben aufrechtzuerhalten. Zudem fiel die Auswahl des Nachwuchses fast weg, konnte doch kein Probesingen an den Schulen im Umkreis stattfinden. Der aktuelle Jahrgang umfasst daher weniger als ein Fünftel der übrigen.

Was die Proben-Defizite angeht, ist Hofstetter allerdings optimistisch: "Nach Pfingsten hatten wir die erste Probe und da haben die Knaben mit solchem Enthusiasmus gesungen, dass ich dachte, man kann die verpasste Ausbildung auch durch diese Freude wieder aufholen."

Mitverantwortlich dafür ist Christian Fliegner als Ausbildungsleiter. Auch von ihm spricht der neue künstlerische Leiter nur lobend. Dabei hat er selbst früh Erfahrungen als Chordirigent gesammelt. Seinetwegen wurde Zankenhausen, ein Ortsteil der Gemeinde Türkenfeld im Landkreis Fürstenfeldbruck, um einen Kirchchor reicher, da war er vierzehn Jahre alt. Eine prägende Erfahrung: "Man hat mich ernst genommen. Das hat mir eine Selbstsicherheit gegeben, die wir auch den Knaben vermitteln möchten."

Dazu gehört auch die gezielte Herausforderung, die Hofstetter durch neue Akzente im Repertoire setzen möchte. Etwa mit einer Knabenrolle in Christoph Willibald Glucks "Orpheus und Eurydike" bei den Nürnberger Gluck-Festspielen, die Hofstetter als Intendant leitet. Doch auch Giovanni Gabrielis Vokalwerke der venezianischen Mehrchörigkeit reizen den Dirigenten, weil hier mit dem improvisierten Verzieren der Stimmen experimentiert werden könnte.

Und so lässt sich vielleicht ein diskretes Motto der neuen künstlerischen Leitung formulieren: Den Glanz von 65 Jahren erhalten, aber auch Licht auf manche neuen Stellen werfen, Traditionen bewahren, dabei Neues wagen.

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