Neue Mitte:Der Turmbau zu Geretsried spaltet die Stadt

Neue Mitte: Der geplante siebengeschossige Turm soll auf dem Karl-Lederer-Platz in Geretsried einen Akzent setzen. Simulation: Kehrbaum Architekten

Der geplante siebengeschossige Turm soll auf dem Karl-Lederer-Platz in Geretsried einen Akzent setzen. Simulation: Kehrbaum Architekten

Das Zentrum entsteht neu - mit Wohnungen, Geschäften und einem 28-Meter-Haus am Karl-Lederer-Platz. Anwohner fürchten sich vor einem "Monster".

Von Felicitas Amler

Für den Bürgermeister ist es eine bayernweit "einzigartige Chance", viele Anwohner sprechen dagegen von einem "Monsterbau": Die Pläne zur urbanen Entwicklung des Karl-Lederer-Platzes in Geretsried werden seit Monaten kontrovers diskutiert. Bürger fühlen sich nicht ernst genommen. Stadtpolitiker und Investoren betonen, das Verfahren gehe seinen geordneten Gang. In stundenlangen Sitzungen werden Einwendungen besprochen - nie zur Zufriedenheit der Zuhörer, die dann schon mal mit Klage drohen oder wütend den Saal verlassen.

Der Bürgermeister schwärmt

Michael Müller (CSU) spricht von einer einmaligen Situation: Geretsried, das keine Altstadt zu bewahren habe, könne am Karl-Lederer-Platz und der Egerlandstraße ("T-Zone") ein "attraktives und lebendiges Stadtzentrum" entwickeln. "Ich bin überzeugt von diesem Konzept." Geretsried gehe einen in Bayern für eine Stadt dieser Größenordnung einzigartigen Weg. Die Stadt profitiere vom Einsatz privatwirtschaftlicher Unternehmen - Krämmel Familien GbR und Baugenossenschaft -, die Investitionen in Höhe von zusammen rund 70 Millionen Euro leisteten. Es würden Ladenflächen geschaffen, die anderswo nur auf der grünen Wiese entstünden: Ein Vollsortimenter und ein Discounter könnten wie Magneten wirken. Zur Belebung des Handels sei "in einem stetigen Anpassungsprozess an Bedürfnisse und Anforderungen" das Gebäude entwickelt worden, das von Kritikern als "Klotz" bezeichnet wird. "Wir wollen bewusst eine Markante setzen", sagt Müller, er könne verstehen, dass es nicht jedermann gefalle, für die gewünschte Einzelhandelsbelebung sei es aber nötig. An der Egerlandstraße seien Flächen für viele "Shops" vorgesehen. Unterm Strich sollen mehr Passanten angezogen werden, die sich dank der Umgestaltung im Zentrum wohler fühlen als bislang.

Die Karl-Lederer-Platz Story !!

Bürgermeister Michael Müller und Wirtschaftsförderin Annette Hilpert begutachten die Planung.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Angst der Anwohner

Eva Eberhardt lebt mit ihrem Mann seit 24 Jahren am Karl-Lederer-Platz, in einer Eigentumswohnung in Haus Nummer 22. In die Politik der Stadt hat sie wegen der Pläne für den Platz "das Vertrauen verloren". Gemeinsam mit Nachbarn hat sie sich einen Anwalt genommen, der ihre Einwände im Verfahren vorbringt. Die betreffen viele Aspekte, von Höhe und Länge des Gebäudes über die Angst vor Grundwasserproblemen, Verkehrschaos und Verschattung bis zum eigenen Besitz: "Unsere Wohnungen sind nichts mehr wert." Eberhardt sagt, sie sei nicht grundsätzlich gegen das Vorhaben, der Platz müsse verschönert werden, "nur gegen die Überdimensionierung" wehre sie sich. Am Anfang habe Krämmel "nur hoch" bauen wollen: "Da hätten wir nichts dagegen gehabt." Dass er nun annähernd 500 Quadratmeter des Platzes von der Stadt erworben habe, um darauf zu bauen, kritisiert sie. Der Platz werde dadurch zu klein. Der Stadt wirft sie vor, dass sie keinen Architektenwettbewerb vorgeschrieben habe; den Stadträten, dass sie nicht gut über alles im Bilde seien. Die Resonanz auf ihre Einwände gegen das Projekt freut sie: Es riefen sogar Leute aus Wolfratshausen und aus Geretsried-Stein an, um zu sagen: Macht weiter.

Die nüchternen Investoren

Senior Reinhold und Junior Korbinian Krämmel als Sprecher der Krämmel Familien GbR bestreiten den von vielen beklagte Schattenwurf des "Turms" nicht: "Aber dafür gibt es viele andere städtebauliche Pluspunkte." Es sei "ein ganz ordentlicher und engagierter Schritt" zu dem, was die Stadt sich wünsche - eine deutliche Urbanisierung des Platzes, mehr moderne Stadt, weniger Gartenstadt. Ihr Unternehmen sei den Vorstellungen der Stadt so weit wie möglich gefolgt, und dabei sei die unterirdische Zentralgarage ein wesentlicher Punkt. "Aber wenn wir die Stadt davon entlasten, selbst eine Tiefgarage zu bauen, brauchen wir eine bestimmte Baumasse." Die sei im Übrigen auch erforderlich, um gegenüber Projekten an der Peripherie "konkurrenzfähige Verkaufsflächen" zu schaffen. Wie das Gebäude aussehen soll, sei in einem langen Abstimmungsprozess mit der Stadt und dem Gestaltungsbeirat entwickelt worden. Beide Krämmels betonen, die Architektur liege ihnen am Herzen: "Wir wollen ja keine Bausünde produzieren, sondern etwas, worauf wir stolz sein können. Für die Fassadengestaltung geben wir richtig Geld aus." Die Investoren betonen, dass mögliche Probleme - Stichwort: Grundwasser - gelöst würden.

Die Läden bangen

Inhabergeführte Buchhandlungen haben es auf dem heutigen Markt nicht leicht. Die Buchhandlung Ulbrich besteht seit 44 Jahren als Familienbetrieb, seit 21 Jahren am Karl-Lederer-Platz. Sarah Ulbrich und ihre Mutter Silvia Ulbrich sind sich einig: "Dass etwas gemacht werden muss am Karl-Lederer-Platz, ist klar, aber in dem Maß finden wir es eine Nummer zu groß." Der sogenannte "Turm" sei zu groß, zu hoch und rage zu weit in den Platz hinein, der dadurch viel zu klein werde. "Wir haben den Eindruck, dass es scheibchenweise immer mehr wurde; auch das Ausmaß der Baustelle wurde immer größer und die Bauzeit immer länger." Sarah Ulbrich sagt, sie habe am ersten Workshop zur Umgestaltung des Platzes teilgenommen: "Aber letztlich ist die Planung jetzt so, wie der Bauherr es will." Es werde dadurch auch nur ein großes neues Geschäft - der Vollsortimenter - geschaffen und nicht, wie es immer heiße, viele tolle kleine Läden. Die Ulbrichs kommen mit ihrem Buchhandel trotz der massiven Konkurrenz des Internets gut über die Runden: "Wenn es so bliebe, könnten wir entspannt in die Zukunft sehen." Doch sie fürchten die jahrelange Baustelle. "Wenn die Straße ein Jahr lang gesperrt wäre - dann kommt keiner mehr." Stadträten und dem Bürgermeister hätten sie ihre Ängste schon geschildert. Ob das Baustellenmanagement ihnen helfen kann? "Keine Ahnung." Parkplätze seien jedenfalls ein wichtiges Thema: "Es kommen hier viele Wolfratshauser her, weil sie hier parken können." Ob sie glauben, dass an dem Vorhaben noch etwas zu ändern ist? "Nein, uns bleibt nur, auszuharren und abzuwarten."

Die Managerin der Baustelle

Um die Belastungen der Anwohner und des Handels so gering wie möglich zu halten, wenn im Mai die Arbeiten beginnen, haben Stadt und Investoren ein Baustellenmanagement eingerichtet: Zwölf Beteiligte und Fachleute vom Bauamt bis zur Polizei - auch Anwohner- und Handelsvertreter sind dabei - treffen sich alle 14 Tage, um sich abzustimmen. Sprecherin Annette Hilpert, Wirtschaftsförderin der Stadt, erklärt, Baustellenmanagement sei ein wichtiges, andernorts erprobtes Instrument. Es gehe um die zeitliche Koordination der Baumaßnahmen, um die Verkehrs- und Wegeführung, Ersatz-Parkplätze, öffentliche Informationen, aber auch um Aktionen, die den Handel während der vermutlich dreijährigen Phase der "richtig aktiven Baustelle" unterstützen. Hilpert, die auch fürs Stadtmarketing verantwortlich ist, nennt dazu einige Möglichkeiten: Tage der offenen Baustelle, Rabattaktionen, verkaufsoffene Sonntage. "Es ist ein großes Anliegen der Stadt, dass die Geschäfte erreichbar bleiben", sagt sie. Auch da gebe es "nette, kreative Ideen", etwa rote Teppiche, die zu den Läden gelegt werden, oder Baustege. Über das ganze Vorhaben am und um den Karl-Lederer-Platz sagt Hilpert: "Das ist schon eine große Nummer."

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