Neue Ausstellung in Penzberg:Fabelhaft lehrreich

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Die Stickvorlage „Frau mit Reh“ (oben) von Fifi Kreutzer hat hundert Jahre in der Schublade gelegen. So erklärt sich, dass die Leuchtkraft der Farben erhalten geblieben ist. (Foto: Privat)

Eine Schau im Museum Penzberg - Sammlung Campendonk beleuchtet die Wechselbeziehung von Kunsthandwerk und Malerei im Expressionismus. Eine Instagram-Künstlerin ist auch dabei

Von Stephanie Schwaderer, Penzberg

Dass sich der Blick mitunter erstaunlich weitet, wenn man ihn auf Marginales richtet, weiß Diana Oesterle, seit sie sich intensiv mit der Hinterglasmalerei beschäftigt. Ebendies unternimmt die Kunsthistorikerin nun auch mit der Ausstellung "Ringsum Schönheit" im Museum Penzberg - Sammlung Campendonk, indem sie eine bislang kaum beachtete Facette des Expressionismus beleuchtet, das Kunsthandwerk. Da ist zum Beispiel diese kleine Stickerei. Die Vorlage, vermutlich der Entwurf für ein Kissen, stammt von Heinrich Campendonk. Frisch angefertigt wurde sie von einer jungen Frau, die sich unter dem Namen annaliebst.de im Internet als "Stickkünstlerin" vermarktet und von Oesterle und ihrem Team auf Instagram entdeckt wurde. "Sie war sofort begeistert und wollte viel über Campendonk wissen", erzählt die Museumsleiterin. Tatsächlich lässt annaliebst den Meister nun etwas blass aussehen. Ihre Gams hat ein seidigglänzendes gelbes Fell, der Gockel ein prächtig aufgebauschtes grünes Schmuckgefieder; aus den Blumen quellen dicke Blütenstempel.

Bestechend ist aber nicht nur die Plastizität, die durch verschiedene Sticharten entsteht. Ein Geheimnis des Stickens erklärte Maria Franck-Marc in einem Brief an Franz Marc im Jahr 1915 damit, dass die "berauschenden Farben nie dreckig verrührt" würden. "Es ist schon fabelhaft lehrreich, diese unendlichen Möglichkeiten, die jede Farbe bietet, zu sehen", schreibt sie. "Und das ist so interessant beim Sticken. Jede Wirkung ist klar - und rein - und es gibt schließlich für jede Stelle nur eine Möglichkeit der farbigen Wirkung."

Dieses Zitat hat Oesterle in einem leuchtend gelben Kreis an die Wand schreiben lassen. Gut möglich, sagt sie, dass sich die Maler des Blauen Reiter von Stickarbeiten inspirieren ließen. "Sticken und Weben, Töpfern oder Schnitzen waren Techniken, die von den avantgardistischen Künstlerinnen und Künstlern als gleichrangige Ausdrucksform zeitgemäßen Kunstschaffens anerkannt wurden." Dass sie dann von der Kunstgeschichte missachtet, verdrängt und vergessen wurden - ebenso wie viele Frauen, die eben diese Techniken meisterhaft beherrschten - liege an tradierten Meinungen und Hierarchien, "aber nicht an der Qualität".

Ihre Schau lässt sie im zweiten Obergeschoss mit einer Rauminstallation beginnen, die den Gedanken vom Gesamtkunstwerk skizziert, wie er um die Jahrhundertwende an vielen Orten in der Welt populär wurde. Besucher, die das steile alte Treppenhaus hinaufgestiegen sind, sehen sich zwei Riemerschmid-Stühlen gegenüber, der eine rot, der andere schwarz, die wiederum auf zwei "Fliegende Fische" in einem ähnlichen Farbenspiel ausgerichtet sind. Das Aquarell auf Packpapier stammt von Johan Thorn Prikker, Campendonks Lehrer in Krefeld, der sich wie der Münchner Jugendstil-Künstler und Leiter der Münchner Kunstgewerbeschule Richard Riemerschmid für eine Symbiose von freier und angewandter Kunst einsetzte. "Prikker hat auch drei Jahre in München unterrichtet", weiß Oesterle.

Die Trennung aufheben

Die beiden Männer einte der Wunsch, die Trennung zwischen Kunst und Handwerk aufzuheben, die verstaubten Akademien hinter sich zu lassen und stattdessen alle Lebensbereiche mit einer neuen ästhetischen Kultur zu durchdringen. Umgekehrt sollte der private Raum so zum Spiegel der eigenen Persönlichkeit werden. Diese Maximen hatte der junge Campendonk wohl verinnerlicht, als er 1911 im Alter von 22 Jahren zum Blauen Reiter stieß.

Campendonk werde immer als "das jüngste Mitglied" der Künstlergemeinschaft genannt, sagt Oesterle. Dabei hatte er den anderen einiges voraus, nämlich eine vierjährige Ausbildung an der angesehenen Krefelder Kunstgewerbeschule. Er verfügte über solide handwerkliche Kenntnisse und war laut Oesterle somit vermutlichein Impulsgeber unter den Malerfreunden. "Er hatte keine Angst vor dem Material, er wusste, dass alles sich gestalten lässt."

Während sie im Obergeschoss einige Arbeiten aus Campendonks frühen Krefelder Jahren präsentiert, die den Einfluss Prikkers verdeutlichen, richtet sie den Fokus in den Stockwerken darunter auf die neuen Themen, Techniken und Materialien, denen sich Künstlerinnen und Künstler nun zuwandten: Holz, Ton, grobes Leinen. Blickfang im lila Raum ist ein imposanter Spiegel mit afrikanisch anmutenden Schnitzereien, den der Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner für sein Haus in Davos anfertigte. In ihm spiegelt sich ein Terrakottarelief von Heinrich Nauen, das einen sitzenden weiblichen Akt zeigt, genauer ein Weib, das sich aus allen Korsetten befreit hat - ein Auftragswerk, welches das Wohnzimmer eines Freundes schmücken sollte.

Als Entdeckung darf Fifi Kreutzer (1891-1977) gelten. Sie gehörte laut Oesterle zu den unzähligen talentierten Frauen, denen die Akademien verschlossen waren und die allenfalls Kunstgewerbeschulen besuchen durften. 1914 präsentierte sie bei der Werkbundausstellung in Köln Stickarbeiten, Webereien und Keramiken. Kurze Zeit später wurde ihr Netzwerk durch den Ersten Weltkrieg zerschlagen. Später stand sie im Schatten ihres Mannes, des Malers Franz Jansen.

In Penzberg ist eine Stickvorlage Fifi Kreutzers zu sehen, die in ihrem paradiesischen Motiv - eine nackte Frau zwischen Tieren und Pflanzen - und in ihrer Farbigkeit an Paul Gauguin erinnert. Zudem gibt es liebevoll gestaltete Vorlageblätter und eine Krippe aus Holz in leuchtenden Farben. Der Zufall wollte es, dass Oesterle sich auf die Suche nach einer Nachfahrin der Künstlerin begab - und sie in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in München ausfindig machte. "Diese Schätze lagerten unter ihrem Sofa."

Persönliche Geschichten, Handgemachtes und Freundschaftsgaben sind ein Markenzeichen dieser Ausstellung, die durch Leihgaben namhafter Museen und Sammlungen ermöglicht wurde. Da gibt es Holzpaneele von August Macke, die er für die Gastwirtschaft seiner Schwester im Schwarzwald bemalte. Oder eine Keramikschüssel seines Cousins Helmuth Macke - ein anrührend ungelenk glasiertes Schmuckstück mit springenden Pferden im Innern und rauchenden Schloten auf der Außenseite. Im Erdgeschoss, das dem Blauen Reiter vorbehalten ist, finden sich in Bronze gegossene Schlüsselloch-Beschläge, die Franz Marc seinem Freund August Macke 1910 als Weihnachtsgeschenk zukommen ließ.

Macke und Campendonk habe auch ein Traum verbunden, sagt Oesterle. Sie wollten 1912 zusammen eine Akademie auf Basis des Kunsthandwerks gründen. Ein Plan, der erst am Geld und dann am Krieg scheiterte. Das Konzept wurde sieben Jahre später von den Gründern des Bauhauses in Weimar umgesetzt und gilt bis heute als revolutionär. Oesterle, die zwei Jahre mit den Vorbereitungen der Ausstellung befasst war, gibt sich bisweilen einem Gedankenspiel hin: "Hätte es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben, wären unsere Wohnungen heute womöglich expressionistisch eingerichtet." Ein Gedanke, den man in Penzberg genüsslich weiterspinnen kann.

"Ringsum Schönheit" - Campendonk, die Expressionisten und das Kunsthandwerk, bis 1. November, Am Museum 1, Penzberg; die Ausstellung ist Teil der Reihe "Avantgarde in Farbe. Blauer Reiter, Brücke, Expressionismus" der Museenlandschaft Expressionismus; Informationen zum aktuellen Rahmenprogramm unter www.museum-penzberg.de

© SZ vom 12.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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