Johannes Tien hat gerade wieder Besuch. Zwei Mitarbeiter des Landratsamtes sind auf der Großbaustelle des neuen Naturhotels auf der Wackersberger Höhe aufgetaucht, weil sich die Nachbarn des Wohnhauses im Osten beschwert hatten, dass die mächtige Betonpumpe seit den frühen Morgenstunden zu viel Krach produziere und auch Erschütterungen auslöse. Der Investor und Betreiber des künftigen Hotels "Bergeblick" nimmt die Stippvisite gelassen. Er führt die beiden Behördenvertreter herum und lobt hernach, dass das Landratsamt und die Stadt Bad Tölz "vernünftig unterwegs" seien und die schon angespannte Situation mit den Anliegern "nicht eskalieren" ließen. Eine gute Nachbarschaft wäre ihm lieber gewesen, sagt Tien. Aber das ist nun vorbei.
Ein Investor hat es in Bad Tölz nicht eben leicht. Viele Bauprojekte ziehen gleich Klagen von Anliegern nach sich, da geht es Tien nicht anders. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eben jenes Ehepaar, das mit einem Eilantrag vor das Verwaltungsgericht München gezogen war, um einen Baustopp des Hotels wegen Lärm und Feinstaubbelastung zu erwirken. Dies schmetterten die Richter ab, die Klage gegen die Baugenehmigung durch das Landratsamt wurde zurückgezogen. Tien wundert sich. "Man hätte ja vorher mal mit mir reden können", sagt er. Stattdessen habe man gleich "schwere Geschütze" aufgefahren. Immerhin ist dieser Kampf für ihn nun ausgefochten. Und so langsam, sagt er, fange nach all der juristischen Unbill auch "die Freude an dem Projekt an zu obsiegen."

Vor einem Jahr noch waren auf dem Areal auf der Wackersberger Höhe nur eine Wiese und eine kleiner Parkplatz für Wanderer zu sehen. Inzwischen ist eine große Grube ausgehoben, zwei Kräne, ein Lastwagen mit Betonpumpe, Bagger und Betonmischer stehen durcheinander auf der oktoberfeuchten Erde. Zwischen den etwa 20 Bauarbeitern ist auch Tien zugange, nicht jeden Tag, aber fast jeden. Vieles an dem Bauherrn, der das Naturhotel mit knapp 100 Betten in 36 Doppelzimmern, acht Suiten und drei Lodges erdacht hat, ist ungewöhnlich: ein Norddeutscher, der einer ehemaligen Kurstadt im tiefen Bayern mit einem Hotel genau das gibt, wofür diese seit mehr als einer Dekade erfolglos gekämpft hat; ein Investor, der nicht bloß ein Gebäude hinstellt, damit Geld verdient und sich zurückzieht, sondern auch gleich der Betreiber ist; und einer, der sich von Widerständen rundherum nicht aus dem Tritt bringen lässt. Bei einem solchen Projekt müsse man schon Rückgrat und Durchhaltevermögen zeigen, meint er, und sich nicht gleich kirre machen lassen. Auf Deutsch gesagt: "Da muss man einen A ... in der Hose haben."
Auf dem Gang über die Baustelle kommt Tien rhetorisch vor allem dann in Schwung, wenn er über all die Freizeitmöglichkeiten berichtet, die er seinen Gästen künftig anbieten möchte. "Bei allem denke ich nicht nur als Investor, ich denke immer als Betreiber", sagt er. Deshalb hat er nicht gezögert, als er das alte Forsthaus im Westen samt Grundstück dazukaufen konnte. Vor allem dieser Schritt hat seine Gesamtinvestition zwar auf rund 20 Millionen Euro nahezu verdoppelt - die reinen Baukosten fürs Hotel liegen aktuell bei zehn bis zwölf Millionen. Aber umso dynamischer stapft er nun über Schläuche und Kabel aufs Nachbarareal, weist mit der Hand über die Wiese und erzählt, wie er sich dort einen kleinen Biergarten oder auch ein kleines Café für seine Hotelbesucher vorstellt. "Es ist ein Glücksfall, dass wir das kaufen konnten", sagt er. "Wir wollen alles klein, aber fein machen."
Am westlichen Rand des Hotelgrundstücks entsteht an der Stelle des alten Wanderparkplatzes gerade das Hackschnitzel-Heizhaus. Dagegen habe ein weiterer Nachbar ins Feld geführt, dass ein möglicher Funkenflug die nahen Bäume in Brand setzen, und das Feuer sodann ringsum über den Stadtwald bis auf das Wohnhaus im Osten umgreifen könne, erzählt Tien. Kommentieren will er dieses Argument nicht weiter, er macht nur einen Atemzug lang Pause. Dann sagt er, ihm komme es darauf an, dass seine Gäste durch die Heizanlage nicht belästigt werden, auch nicht durch den Anlieferverkehr für die Hackschnitzel und die Wartung.

Die Zufahrt führt an der Anlage, einem Fahrrad-Stadel und zwei Carports mit je neun Stellplätzen über sechs Prozent Gefälle hinab in die Tiefgarage, auf der die Bauarbeiter an diesem Vormittag das Dach betonieren. Von dort sollen die Besucher in eine Welcome-Lounge kommen, wo sie ihre Wanderschuhe, Skistiefel oder andere Gegenstände lagern können - "weg von ihrem Zimmer", wie Tien sagt. Über der Tiefgarage entsteht dann der Trakt mit den Gästezimmern, mit Balkonen oder Terrassen, allesamt in Holzbauweise. Mit Ausnahme der Decken, die aus akustischen Gründen in Fertigbeton gezogen werden.

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Das Foyer im Parterre mit der Küche und der kleinen Gastronomie nach Osten hin, wo die Gäste beim Frühstücken auf die Berge oder den Stadtwald schauen können, ist als Skelett schon erkennbar. Die Rezeption plant Tien dort nicht als "Front Desk", sondern als langen Tisch, an dem die Kunden auch die von ihnen gebuchten Angebote in digitaler Form erhalten, sei es als Schlüsselkarte, sei es als Magnetband. Im Souterrain befinden sich ein Gym-Bereich mit Sportgeräten, zwei Indoor-Saunen, Umkleiden und Personalräume. Diese Zone öffnet sich zum Stadtwald hin in ein Spa mit überdachter Cenote - einer Art Grotte, wo das Wasser vom Dach in ein Tauchbecken plätschert. Bei dem Baustellen-Rundgang sind zwei Arbeiter gerade dabei, die Wanne dafür auszumessen. Geplant ist außerdem ein Meditationsraum für all jene, die gerne mal alleine sein möchten.
Im ersten Stock über dem Foyer sind Räume für Tagungen und Seminare vorgesehen, dazu kubusförmig gestaltete Zonen für jene, die sich mit einem Buch oder dem Laptop zurückziehen möchten. Ob es dafür genügend Kunden geben wird? Gerade erst habe eine Event-Agentur aus Stuttgart im Auftrag eines großen Autobauers wegen seines Naturhotels angefragt, berichtet Tien. "Sie sind immer auf der Suche nach neuen Hotels." Und in München gebe es ja auch gut 1000 Firmen mit mehr als jeweils zehn Beschäftigten. "Da fährt man eine Stunde raus und ist in einer völlig anderen Welt." Im Dachgeschoss soll eine Roof-Top-Bar entstehen, nur noch für Gäste, nicht mehr für jedermann. Von einer allgemeinen Öffnung sieht Tien nach der Klage der Anwohner ab.

Auf dem östlichen Teil des Grundstücks entsteht ein Saunahaus, wodurch das Naturhotel insgesamt sechs Saunen bekommt. Der Investor und Betreiber will den schmalen Flachbau aus Holz allerdings flexibel nutzen können, auch mal mit ein paar Handgriffen für ein Mentalcoaching oder für Yoga-Kurse umfunktionieren. Ziel sei es, dort "das zu machen, was gefragt ist", sagt er. Neben dem Saunahaus liegt nach Süden hin ein Pool, weiter zur Straße hin folgen drei Lodges. Von der Wackersberger Straße führt ein geschwungener Fußweg zum Haupteingang, links und rechts sind eine Sumpfeiche, Büsche oder auch ein kleiner Fischteich vorgesehen. Das sei doch ein "Gewinn für die Natur", meint der Investor. Denn früher habe es da eben eine Wiese gegeben, "auf der man nicht spazieren gehen konnte, die vier, fünf Mal im Jahr gemäht und manchmal geodelt wurde."
Der Erdwall zur Wackersberger Straße, der durch die Bauarbeiten aufgeschüttet wurde, soll als Schutz vor dem Verkehr bleiben. Tien kann sich darauf eine Photovoltaikanlage vorstellen, die allerdings 480 000 Euro kosten würde. Damit hätte man dann "eine 65-prozentige Autarkie", sagt er. "Da ist viel Idealismus, auch viel Geldbeutel dabei." Dennoch sei dies die richtige Lösung, die sich in zehn, 20 Jahren auszahle. "20 000 Euro Heizkosten fürs ganze Jahr für ein Hotel, das wäre extrem vorteilhaft."
Aber zunächst muss das Naturhotel mit der Holzpergola als Außenhülle erst einmal stehen. Die Eröffnung ist für Mai 2023 geplant, ein ehrgeiziges Ziel. Aber der Investor ist guten Mutes nach den Vergabegesprächen mit den Handwerkern. Anfangs hätten Vertreter einiger Gewerke gesagt, er solle ruhig mal mit ein bis zwei Monaten Verzögerung rechnen. Aber solche "Angstpuffer" lasse er nicht gelten, so Tien. Redeten alle so, müsste er ja 25 Monate länger einplanen - und das sei nicht akzeptabel. Deshalb legte er ihnen seinen Bauzeitenplan vor, der nach Tagen, nicht nach Wochen skaliert ist. Bis Dezember soll der Hotelbau winterfest sein, damit drinnen die Elektriker, Estrichleger und Heizungsbauer ans Werk gehen können. Angstpuffer? "Es ist wichtig, etwas zu wagen, den Mut zu haben, etwas zu riskieren." Der hilft allerdings wenig, wenn wegen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise die Preise für Baumaterialien in die Höhe schießen und Lieferketten unterbrochen sind. Bislang, so Tien, habe alles funktioniert, "toi, toi, toi". Aber sollten die Materialkosten tatsächlich um 20 Prozent steigen, "dann müssen wir reden". Ihm komme es im Umgang mit den Handwerkern darauf an, "dass wir fair miteinander sind".
Die Klage der Nachbarn und die Unwägbarkeiten eines solchen Bauprojekts sind indes nicht die Hauptsorgen des künftigen Hoteliers, der selbst eine Wohnung im Dachgeschoss seines Neubaus beziehen will. Andreas Wüstefeld, Leiter des Tölzer Land Tourismus, und die Tölzer Kurdirektorin Brita Hohenreiter hätten ihm aufmunternd versichert, dass das Naturhotel auf jeden Fall laufen werde, sagt er. Aber so sicher scheint er sich selbst nicht zu sein. Etwa 30 000 Übernachtungen pro Jahr peilt Tien in seinem Haus an, "das würde schon helfen, eine neue Klientel nach Tölz zu bekommen". Aber ob es so kommt, weiß er erst nächstes Jahr. Einstweilen macht auch er seine Hausaufgaben. Zunächst muss er etwa 20 Mitarbeitende finden, die "ein homogenes Team" bilden, das mit Eigeninitiative und in einer flachen Hierarchie "richtig was reißen kann". Und dann soll bis Jahresende eine neue Homepage her, auf der Gäste auch schon buchen können. Mit dieser Webseite, sagt Tien in seiner freimütigen Art, "müssen wir die Hose runterlassen - dann darf nichts mehr schiefgehen".