Unter den Betroffenen des S 7-Ausbaus formiert sich breiter Widerstand gegen die S-Bahnverlängerung nach Geretsried. Vergangenen Sonntag gab es ein erstes Treffen der Ausbaukritiker. Dort fanden sich viele Landwirte und andere Grundstückseigentümer zusammen, die für die geplante Gleistrasse Flächen abtreten müssen. Sie alle wollen im derzeit laufenden Planfeststellungsverfahren Einspruch gegen die bestehende Planung einlegen. Zwar seien sie nicht grundsätzlich gegen die S-Bahn, hieß es bei dem Treffen unisono. Aber die persönlichen Opfer in Wolfratshausen und Geretsried seien eben schon sehr massiv.
Um nicht als Blockierer und Verhinderer dazustehen, wollen die Ausbaukritiker ihre jeweilige Betroffenheit in der Öffentlich bekannter machen. So ist bereits lose eine Tour entlang des künftigen Trassenverlaufs geplant, an der auch alle interessierten Bürger teilnehmen können. Da könne man dann auch einmal anschaulich darstellen, wer wegen der neuen S-Bahnstrecke in Zukunft Einschränkungen hinnehmen müsse, hieß es bei der Versammlung.
Diese Tour würde dann auch sicher über die Felder von Robert Mayr führen. Mayr hat an der Tattenkofener Straße in Geretsried einen Hof mit 25 Kühen und 3000 Hühnern. Auf den 35 Hektar, die er bewirtschaftet, baut er vor allem Futter für seine Tiere an. Die Gleistrasse zerschneidet seine Felder aber so, dass er nicht mehr vernünftig rankommt. Zudem muss er für die S-Bahnverlängerung circa vier Hektar Land abtreten. Ersatz sei dafür so gut wie nicht zu bekommen, sagt Mayr. Die anderen Bauern bräuchten ihre Felder schließlich selbst. Für Mayr ist das ein echtes Problem. Zwar bekommt er den Wert der Flächen erstattet. "Aber Geld fressen meine Tiere leider nicht."
Karin Wogurek hat ein anderes Problem. Die Lage der Ferienwohnung, die sie vermietet, hat sich bisher als günstig erwiesen. Von der Straße Am Forst im nördlichen Geretsried aus sind die Gäste ganz schnell auf der B 11 und können sowohl Richtung Gelting und Wolfratshausen fahren als auch in die Mitte der Stadt. "Ich habe viele Feriengäste, die Verwandte hier haben", erklärt die 74-Jährige, die in Geretsried aufgewachsen ist. Vom Ausbau der S-Bahn - den sie im Grunde begrüßt - befürchtet sie nun das Schlimmste: "Ich komme von meinem Grundstück nicht mehr raus", sagt Wogurek, "die nehmen mir meine Existenz." Denn während des Baus vor ihrer Haustür sei der Weg zur B 11 abgeschnitten.
Die Bahn hat Wogurek gesagt, es gebe dann nur eine sogenannte Baustraße - und die nur in Richtung Gelting. Was danach sein wird, wisse sie nicht, denn die Bahn habe erklärt, dies sei Sache der Stadt. Ein Versuch, den Bürgermeister darauf anzusprechen, sei gescheitert, sagt Wogurek. Und auch eine Nachfrage der SZ im Rathaus ist bisher unbeantwortet geblieben. Das Bauamt warte seinerseits auf Antwort der Bahn, hieß es dort. Nun will Wogurek in die nächste offizielle Sprechstunde von Bürgermeister Michael Müller (CSU) gehen. "Eine Stadt wie Geretsried braucht eine S-Bahn", sagt sie, aber das dürfe nicht zu ihren Lasten gehen.
Am anderen Ende der Stadt, im Süden, bangt die Familie van den Berg zusammen mit einigen Nachbarn, wie sie mit der neuen Straßenführung klarkommen sollen. Sie wohnen an der Richard-Wagner-Straße auf Höhe der Abzweigung Jeschkenstraße - und dort ist im Zuge des S 7-Ausbaus ein Kreisverkehr vorgesehen: "Direkt bei uns vor der Haustür", sagt Peter van den Berg. "Wir kommen gar nicht mehr raus." Anders gesagt: Die sehr kurze Einfahrt vom Haus zur Straße mündet künftig unmittelbar in den Kreisel.
Die van den Bergs haben wie Karin Wogurek schon bei der vergangenen Planung im Jahr 2013 über einen Rechtsanwalt ihre Einwendungen geltend gemacht. Ohne irgendeine Resonanz, sieht man von einer Eingangsbestätigung ab. Beide wollen sich nun wieder mit juristischem Beistand wehren. Dabei sagt auch van den Berg: "Die S-Bahn für Geretsried ist grundsätzlich ein tolles Projekt." Aber die Verkehrsführung vor der eigenen Haustür "kann so nicht sein", betont er. Gemeinsam mit Nachbarn wollen Janet und Peter van den Berg deshalb den Termin der Bahn im Geretsrieder Rathaus am 19. März nutzen. Die Frage, ob sie jemals von einer der planenden Stellen gefragt oder angeschrieben wurden, verneinen alle Nachbarn. "Es wird einfach über die Köpfe hinweg etwas gemacht", klagt Janet van den Berg.
Roberta Quien-Egold und ihr Mann Josef bekommen zwar keinen Kreisel vor die Hauseinfahrt gesetzt, sie trifft der S-Bahnbau jedoch gleich doppelt. Dem Ehepaar gehört zwischen Geretsried und Königsdorf ein Waldgrundstück. Dort sollen sie 4000 Quadratmeter für die geplante Endhaltestelle abtreten. An ihrem Wohnhaus in der Geltinger Straße in Wolfratshausen soll zudem eine Stichstraße für die Baustellenfahrzeuge entstehen - direkt hinterm Gartenzaun. Fünf staubige Jahre stehen ihnen deshalb bevor. Doch alleine deshalb seien sie gar nicht gegen die Gleisverlängerung. Es wäre sinnvoll, über das alte Industriegleis eine S-Bahn bis zum Schulzentrum in Geretsried fahren zu lassen, findet Quien-Egold. Aber die jetzt geplante Trasse: "Das ist pure Landschaftszerschneidung", sagt sie. "Von uns bekommen die deshalb keinen Quadratmeter."
Einige hundert Meter entfernt vom Anwesen von Roberta Quien-Egold sorgen sich Georg Goldhofer und seine Nachbarn um ihre berufliche Existenz. Goldhofer betreibt an der Geltinger Straße in Wolfratshausen einen Hausmeister-Service. Im geräumigen Hinterhof hat er derzeit seinen Fuhrpark platziert - Hebebühne, Radlader, Wohnwagen. Gerade weil das hier alles hinpasst, haben er und seine Frau vor elf Jahren das Grundstück auch gekauft. Wie er mit seinen Gerätschaften in Zukunft aber noch ums Haus herumkommen soll, weiß er nicht. Die ehemalige Trasse der Isartalbahn, auf der künftig auch die S-Bahn rollen soll, führt direkt hinter seinem Haus entlang. Für den nötigen Lärmschutzwall will die Bahn bei Goldhofer aber gerne 400 Quadratmeter abzwacken. "Wie soll ich denn da noch mit der Hebebühne rangieren?", fragt Goldhofer verzweifelt.
Seine Nachbarn haben ähnliche Probleme. Hans Herold ist Motorradhändler. In der Tiefgarage unter seinem Laden hat er 80 Maschinen stehen, vor allem Suzukis und italienische Enduros. Die Zufahrt zur Garage ist allerdings hinten im Hof. Auch dort soll ein breiter Streifen wegfallen. Ob er dann noch vernünftig in die Tiefgarage kommt, weiß Herold nicht. Er hat sich intensiv mit den Bahn-Plänen befasst. Was dort herauszulesen ist, sei für einen Laien aber nicht so leicht verständlich. Er findet: "Die Stadt müsste jemanden abstellen, der einem das erklärt." Schließlich zahle er in Wolfratshausen seit fast 30 Jahren Gewerbesteuer. Da müsse so eine Hilfestellung schon mal drin sein.
Ein paar Meter weiter, auf der anderen Seite, hat noch ein anderer Goldhofer seinen Betrieb. Walter Goldhofer hat eine Verputzfirma. Normalerweise stehen hinten im Hof sieben bis acht Bauwagen und mehrere Schuttcontainer. Doch die Lagerfläche soll für den Lärmschutzwall wegfallen. "Keine Ahnung, wo wir die Sachen dann hintun sollen", sagt Goldhofer. Momentan tröstet er sich noch mit der langen Geschichte der S 7-Verlängerung. Er sei in Gelting aufgewachsen, erzählt er. Da habe er schon als fünfjähriger Bub gehört, jetzt komme dann bald die S-Bahn. Heute sei er 57 - und die S-Bahn fährt immer noch nicht. Wer weiß, sagt Goldhofer, vielleicht komme es ja gar nicht so schlimm.