Süddeutsche Zeitung

Nachhaltigkeit:Innovation mit Tradition

Energiewende? Im Kloster Benediktbeuern läuft die schon seit fast 70 Jahren. Die Salesianer haben damals angefangen, auf Biogas und Wasserkraft umzustellen

Von Konstantin Fahrner

Der Klimawandel - man braucht gar keine wissenschaftlichen Studien, um zu wissen, dass er da ist. Es reicht, mal den Kopf aus dem Fenster zu strecken. Temperaturen um den Gefrierpunkt, und das Mitte Mai. Eigentlich spricht man ja immer von Klimaerwärmrung. Aber dieses frühlingshafte Frösteln und Schlottern: Das gehört wohl leider auch dazu.

Um die Folgen des Klimawandels abzumildern, wird viel getan - vor allem auf dem Bau. Da werden Kälteschutzdämmungen angebracht, Wärmepumpen installiert, das Dach mit Solaranlagen zugepflastert. Alles, um den berühmten CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Eine Immobilie im Landkreis allerdings - zugegeben keine ganz normale - ist schon seit über 60 Jahren komplett klimaneutral: das Kloster Benediktbeuern.

In Sachen Energiewende ist das Kloster mit seinen zahlreichen Innovationen schon seit Beginn der 1950er Jahre ein absoluter Vorreiter in der Region. Kein Wunder, denn die Gewinnung alternativer Energien ist eng mit der Klostergeschichte verknüpft.

Als im Jahr 1930 der Orden der Salesianer Don Boscos das Kloster übernimmt, errichten die Ordensbrüder ein "Zentrum religiöser Bildung, Wissenschaft und Erziehung im Dienst an jungen Menschen". Sie bauen eine Hochschule für Theologie, ein Gymnasium für den Ordensnachwuchs und treiben den Ausbau von Wohnanlagen und Gästeunterkünften voran. In den Fünfzigerjahren ist die Zahl der Bewohner bereits auf circa 240 angewachsen.

"Damit ist natürlich ein bestimmter Energieverbrauch an Wärme und Strom verbunden", erklärt Martin Blösl, Diplombiologe und Bildungsreferent des Zentrums für Umwelt und Kultur. Doch das Benediktbeurer Stromnetz sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend ausgebaut gewesen. Aufgrund von Energieknappheit und wiederholten Stromausfällen gibt es seitens der Klosterbewohner bald schon Bestrebungen, eine autarke Energieversorgung herzustellen. Die beiden großen Inspirationsquellen hierfür sind einerseits die hohe Niederschlagsmenge in der Region und andererseits die Viehwirtschaft im Maierhof des Klosters.

So vollzieht sich bald schon die erste kleine Energiewende in der Geschichte des Klosters: Es wird eine Wasserkraftanlage zur Stromgewinnung gebaut. Im Jahr 1950 heben die Laienbrüder 900 Meter östlich des Klosters am Mühlbach einen Stauweiher aus, der durch eine Druckrohrleitung unterirdisch mit der Ostseite des Klosters verbunden ist. Die dort installierte sogenannte Francis-Spiralturbine mitsamt Stromgenerator erzeugt 31 Kilowatt Strom. Die Apparatur wird 1961 in den alten Mühlentrakt auf der Westseite verlegt und um eine weitere Turbine mit 57 Kilowatt Leistung ergänzt. So kann das Kloster bis 1980 seinen gesamten hauseigenen Strombedarf selbst decken.

Die überschüssige Energie aus dem Kraftwerk wird tagsüber in Batterien eingespeist, um auch nachts die nötige Versorgung garantieren zu können. Denn um nächtliche Lärmbelästigung der nahegelegenen Gästezimmer zu vermeiden, gilt auch für die beiden Turbinen: Bettruhe von 22 bis 7 Uhr. Der dann noch überschüssige Nachtstrom wird an die Isar-Amper-Werke verkauft. Des Weiteren installieren die Laienbrüder einen Dieselmotor als Notstromaggregat.

Kurz darauf, im Jahr 1956, die zweite Innovation: eine Biogasanlage zur Gewinnung von Strom und Wärme. Genauer gesagt: eine sogenannte "BiHugasanlage". Sie funktioniert nach dem Vorbild des sogenannten Schmidt-Eggersglüss-Verfahrens. Der anfallende Stallmist von 200 Rindern aus dem Maierhof des Klosters dient als Rohstoff für die Erzeugung von sowohl Biogas (Bi) als auch biologischem Humus (Hu).

Die Anlage selbst besteht aus zwei Faultürmen, einem Düngersilo, einem Gasspeicher und einem Pumpenhaus samt Gasturbine. In den Faultürmen befinden sich Bakterien, die sogenannte Methanogenese betreiben. Sie vergären den Stallmist unter Freisetzung von Kohlenstoffdioxid und Methangas. Letzteres wird in den Gasspeicher geleitet. Dieses gespeicherte Gas wird dann in einen nachgeschalteten Gasmotor eingespeist, der bei durchschnittlich sechs Stunden Betrieb am Tag 50 Kilowatt Strom erzeugt. Zusammen mit der Wasserkraftanlage kann so der wachsende Energiebedarf des Klosters gestillt werden. Der Humus bildende, vergorene Stallmist dagegen wird in das Düngersilo geleitet und als wertvoller Dünger auf die umliegenden Wiesen ausgebracht.

Zudem werden bei der bakteriellen Verwertung des Stallmists nicht nur Gas sondern auch Wärme erzeugt. Gut zwei Jahrzehnte wird diese Wärme zum Kochen und zur weiteren Beheizung der Küche des Klosters eingesetzt. In Kooperation mit zwei Angestellten der deutschen BiHugas-Gesellschaft "Ferdinand Schmidt" errichtet, gilt die BiHugasanlage schon bald als internationales Vorzeigeprojekt des Klosters. Bis sie im Jahr 1979 abgeschaltet werden muss.

Wie auch damalige Experten vermutet auch Blösl, dass eine der Hauptursachen hierfür der Rückgang der Landwirtschaft gegen Ende der Siebzigerjahre gewesen sei. Denn die klösterliche Viehwirtschaft sieht sich zu dieser Zeit teuren Modernisierungszwängen gegenüber, die sie nicht erfüllen kann. Der landwirtschaftliche Betrieb erweist sich als nicht mehr rentabel. Stationäre Messungen ergeben außerdem: Nach 23 Jahren Laufzeit fließen etwa 95 Prozent der Energieerzeugung in die Selbsterhaltung der Anlage. "Das war natürlich nicht mehr wirtschaftlich", erklärt Blösl. Mit dem Rückgang der Viehwirtschaft fehlt somit der nötige Rohstoff für eine BiHugasanlage, die bei zurückgehender Leistung noch dazu nicht vollständig ausgelastet ist. Sie ist ebenfalls nicht mehr rentabel. Zusätzlich hält in den Sechzigerjahren mit dem Bau einer Heizölkesselanlage ein billigerer Rohstoff Einzug in die örtliche Energiewirtschaft und verdrängt letztendlich das Konzept BiHugas.

Ende der 1990er Jahre wiederum ist diese Heizölkesselanlage veraltet und die Klosterbewohner sind in Zeiten des Klimawandels und der Verknappung fossiler Brennstoffe auf der Suche nach einem neuen Energiekonzept. Es folgt die dritte Innovation: die Energiezentrale.

Das Projekt ist eine Initiative des Zentrums für Umwelt und Kultur. Die Einrichtung ist seit 1988 im restaurierten Maierhof beheimatet, wo auch Blösls Arbeitsplatz liegt, und will die klösterliche Tradition alternativer Energien wieder aufleben lassen. Die grundlegenden Ziele: Klima- und Ressourcenschutz, Förderung der regionalen Wertschöpfung und Nutzung von regionalen, erneuerbaren Energieträgern.

2001 wird dann schließlich westlich des Klosters die neue Energiezentrale eingeweiht. Seither gewährleistet sie Strom und Wärme für den gesamten Klosterkomplex. Die Wärme wird von einer Holzhackschnitzel-Kesselanlage, einem Pflanzenöl-Blockheizkraftwerk, einer solaren Brauchwasseranlage und zwei Luft- und Wasserwärmepumpen erzeugt.

Das Wasserkraftwerk - in den Sechzigern generalüberholt - und eine Photovoltaikanlage liefern den Strom. Die Energiezentrale ist ein Anschauungsprojekt, dass der Bevölkerung Funktionsweise und Nutzen nachhaltiger Energieversorgung nahebringen soll. Sie ist frei zugänglich für alle Klosterbesucher, die gerne Genaueres über das Energiekonzept erfahren möchten. "Praktizierte Schöpfungsverantwortung" nennt Blösl das. Tatsächlich zieht die Anlage seit ihrer Errichtung reges regionales wie internationales Interesse auf sich. Sie sei ein Projekt auf dem Weg einer beständigen Optimierung, wie Blösl betont.

Diese stete Optimierung geschieht vor dem Hintergrund dessen, was sich bei der Energieversorgung in der Geschichte des Klosters bewährt hat. In den 1950er Jahren hat man aus der Not heraus nachhaltig gewirtschaftet, um selbst Energie zu erzeugen - gleichzeitig ökologisch und modern. Das Kloster Benediktbeuern beweist nicht erst seit Kurzem, dass das auch heute noch möglich ist. Innovation führt also in diesem Fall letztendlich zurück zur Tradition.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2019
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