Rita Braun wird 86:Der ewige Trachtenladen von Tölz

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Dort wurden der achtjährige Edmund Stoiber und Fernsehstars eingekleidet. Die Inhaberin sucht seit Jahren einen Nachfolger - und macht doch immer weiter.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Oben unterm Dach des Trachtengeschäfts Kirner hängt ein rotes Plakat mit der Aufschrift "Total-Räumungsverkauf". Unten überm Schaufenster flattert eine kleine gelbe Markise im Maiwind, auf der "Preise wie zu Omas Zeiten" versprochen werden. Drinnen sitzt Rita Braun im hellen Dirndl hinter einem Schreibtisch mit Kasse, der von allerlei Papieren übersät ist. Ein wenig verloren wirkt die Ladeninhaberin so ganz alleine zwischen all den Regalen und Ständern mit Trachten. 86 Jahre wird sie an diesem Freitag, aber einen Nachfolger hat sie noch immer nicht gefunden. Das Geschäft, sagt sie, "ist mein Baby". Das gibt man nicht einfach auf.

Vor drei Jahren ging sie sogar in die BR-Sendung "Nachfolger gesucht" mit Thomas Ohrner, es fanden sich auch zwei Kandidaten, aber am Ende zerschlug sich alles. "Das wäre auf Abzahlung gegangen, und es gab keine Sicherheiten", sagt Braun. Nun steht sie abermals in Verhandlungen mit Interessenten - Ergebnis offen. Und die Plakate an ihrem Geschäft? "Das Warenlager wird etwas geringer, damit die Ablösesumme für die Ware nicht so groß ist."

Wer ihren Laden am Amortplatz betritt und nicht gerade durchs Fenster zu den SUVs, Jeeps und Sprintern auf der Isarbrücke schaut, kann sich leicht vorkommen, als reise er mit einem Schritt um 50 Jahre in der Zeit zurück. Die niedrigen Decken, der alte Holzboden, der ehrwürdige Bauernschrank aus dem 18. Jahrhundert, die handgeschnitzte Kommode, der Geruch nach Loden und anderen Stoffen, die verwinkelt-kleinen Zimmer im ersten Stock, die Türen, vor denen ein Mensch mit mehr als 1,80 Meter Größe den Kopf einziehen muss - all dies sieht so aus, wie es schon Ende der Sechzigerjahre ausgesehen haben muss. Mit Ausnahme der vielen Fotos und Zeitungsausschnitte, die erst im Laufe der Jahre hinzukamen. In Fensternischen, an Wänden, im Treppenaufgang lächeln all die Prominenten, die Rita Braun zu ihren Käufern, zu ihren Freunden zählte, respektive immer noch zählt.

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Da ist die Schauspielerin Ingrid Steeger, die in den Siebzigerjahren mit der Fernsehserie "Klimbim" bekannt wurde und seit fast vier Jahrzehnten zu den Stammkunden gehört. Da ist der BR-Sportmoderator Gerd Rubenbauer, der auf einigen Aufnahmen mit der Ladeninhaberin posiert. Da ist der verstorbene Schlagerstar Roy Black, der eine Autogrammkarte hinterließ.

"Trachten Kirner" - das ist ein Haus mit Geschichte und mit vielen Geschichten. Wenn Rita Braun von damals erzählt, kommen so manche Erinnerungen wieder hoch. Zum Beispiel an Edmund Stoiber, wie er als Bub von gerade acht Jahren die erste Lederhose in ihrem Laden anprobierte. Und an die TV-Moderatorin Petra Schürmann, die 2010 starb. Neun Jahre zuvor war ihre Tochter wegen eines Geisterfahrers bei einem Unfall gestorben. Daraufhin zog sich die Ansagerin, Schauspielerin und Autorin aus dem öffentlichen Leben zurück, sie litt an Sprachstörungen. Zu Rita Braun hielt sie in dieser schweren Zeit jedoch Kontakt. "Sie hat Telegramme geschickt - sie konnte ja nicht reden - und gebeten: Rita, ruf mich an", berichtet die 86-Jährige. Gefreut habe sie sich, mit Petra Schürmann sprechen zu können, "es war eine schicksalhafte Zeit".

Zu den Kunden gehören viele Prominente wie Ingrid Steeger. (Foto: Manfred Neubauer)

Begonnen hatte Rita Braun ganz im Kleinen: auf gut 20 Quadratmetern. Größer war ihr erster Laden nicht, den sie 1948 am Khanturm am oberen Ende der Marktstraße eröffnete. Autos gab es damals kaum, einige Kunden kamen mit dem Fahrrad, die meisten zu Fuß. Mit der Währungsreform erhielt jeder 40 Mark, eine Lederhose kostete allerdings um die 800 Mark. Mit ihrem Mann Joseph Kirner, einem Säcklermeister, hat sie dennoch geschäftlich überlebt. Anders als heutzutage war die Miete billig, "wir hatten kaum Kosten", erklärt sie. Außerdem gab es so kurz nach dem Krieg noch keine Konkurrenz.

20 Jahre später, als immer mehr Autos über die Straßen kurvten, musste sie ausziehen. Der Khanturm wurde umgebaut, damit die Fahrzeuge in die Marktstraße rollen konnten, und die Bayerische Vereinsbank, die diese Baumaßnahme finanzierte, wollte in die Räume des Trachtenladens. Zeitgleich zog der Tengelmann vom Amortplatz in die Marktstraße. Rita Braun sah dies, fuhr in die Zentrale des Supermarkt-Unternehmens nach München und bewarb sich um die leer stehenden Räume. "Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war", erinnert sich die 86-Jährige. Im Gespräch mit dem Konzern erfuhr sie, dass man sich als Nachfolger alles vorstellen konnte, nur kein Lebensmittelgeschäft. Und sie hatte Konkurrenten. Der schärfste Mitbewerber war das Schnellrestaurant "Wienerwald", das schlussendlich gegen Braun unterlag. Mit Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn verband Braun später dennoch eine enge Beziehung, beide waren per Du.

Rita Braun im Alter von 43 Jahren. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Wienerwald ist längst verschwunden, Jahn starb 1998. Nur am Verlust ihrer Freunde merkt Braun ihr eigenes Alter. Ansonsten ist sie geistig und körperlich erstaunlich fit, fühlt sich keineswegs wie 86. Auch wenn sich so vieles verändert hat in all den Jahren. Um 1950 gab es noch keine Fernseher und keine Waschmaschinen, von Computern gar nicht zu reden. Den Sprung ins Internet-Zeitalter hat sie mitgemacht, auf ihre eigene und etwas distanzierte Weise. Sie hat eine Homepage für ihr Geschäft, die sie sich erstellen ließ, weil sie darin "nicht versiert" sei: "Ich bin froh, dass ich so vieles noch machen kann und auf gewisse Art mit der Zeit mitgehen konnte, wenn auch nicht in allem."

Mehr als 20 000 Artikel - vom Trachtenanzug und Dirndl über Hemden, Schuhe bis zu Handtaschen und Strümpfen - hat sie in ihrem 500 Quadratmeter großen Geschäft, das zugleich auch Warenlager ist. Die teils handgearbeiteten Waren lässt sie von Werkstätten anfertigen. Ihre Kundenkartei umfasst Tausende Namen. Eine echte Tracht wie die Tegernseer, sagt die 86-Jährige, sei nie übertrieben, sondern immer auch praktisch gewesen "Edelweiß, Enzian, Almenrausch, das gehört auf die Wiese, nicht auf eine Tracht." Der zunehmende Online-Handel stellt sie nicht vor große Probleme. Ein Tracht könne man nun mal nicht per virtuellem Prospekt bestellen, dazu müsse man schon selbst herkommen, um anzuprobieren, abzumessen, abzuändern, sagt Braun.

Auf die Einladungen zu ihrem Geburtstag schrieb sie, "dass ich nach 68 Jahren mein Geschäft aufgeben werde". Aber sie wird wohl auch danach noch hinter dem Tisch mit der Kasse mit den Papierstößen sitzen, bis ein passender Nachfolger gefunden ist. Es ist ein Abschied auf vielen Raten. An ihrem Laden, sagt die 86-Jährige, "hängen wirklich viel Kleinarbeit, viele schlaflose Nächte, viele Erinnerungen und Begebenheiten". Eine davon erzählt sie noch schnell. Adi Stahuber lud sie mit seiner Isartaler Blasmusik einmal zur Oktoberfestzeit zum Oktoberfest nach Mallorca ein, damit sie dort ihre Trachten in einer Modenschau vorführen konnte. Am Tag vor dem Flug suchte Rita Braun ebenso verzweifelt wie erfolglos ihren Reisepass. Sie kam mit ihrem Führerschein zum Flughafen und durfte - mit einiger Überredungskunst und Hilfe der 60 Musiker - sogar mitfliegen. "Die Zeit war damals ein bisserl anders", sagt sie.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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