Sonne durchflutet das Arbeitszimmer der Familie Orthey im Osten der Ortschaft Sachsenkam. „Wollen Sie einen Kaffee?“, fragt die Hausherrin. Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Seit zehn Jahren wohnen die Ortheys in dem 1300-Einwohner-Ort. „Das ist unser Paradies“, sagt Frank Orthey und man spürt, dass ihnen viel daran gelegen ist, von ihrem Glück etwas abzugeben.
Auf ihrer Website bietet das Paar ein ganzes Füllhorn von Diensten an - von Führung und Leadership über Coaching bis hin zur Projektentwicklung. Astrid Orthey ist seit drei Jahren im Vorstand der Tölzer Tafel aktiv. Als Altkanzlerin Angela Merkel 2015 die Grenzen für Menschen aus den syrischen Kriegsgebieten öffnete, wurden auf Sachsenkamer Grund in der Nähe des ehemaligen Bundeswehr-Schießplatzes erstmals Geflüchtete untergebracht - schon damals halfen die Ortheys bei der Betreuung. Zu Pfingsten 2024 hat das Ehepaar dann in Kooperation mit Alexandra März vom Pfarrgemeinderat St. Andreas und anderen Gemeindevertretern ein weiteres Projekt angepackt - die Nachbarschaftsinitiative „Mitanand leben“. Der Dienst am Nächsten gehört für die Familie Orthey einfach dazu.
„Es gibt zwar einiges hier in Sachsenkam, doch wir haben uns überlegt, was es noch geben müsste, welche Bedarfe noch bestehen“, sagt Frank Orthey. „Außerdem haben wir darüber nachgedacht, was sich aus dem alten Helferkreis heraus ergeben könnte”. Tatsächlich hat das 1300 Einwohner-Dorf vieles, auf das vergleichbare Kommunen neidisch sein können: einen Bäcker, einen Dorfladen, der älteren Mitbürgern den Einkauf auch nach Hause liefert, einen Bankomat, nicht zu vergessen das Kloster Reutberg mit Brauerei und Gastwirtschaft - aber vieles eben auch nicht, zum Beispiel einen Zahn- und Hausarzt oder eine Apotheke.
Darüber hinaus lässt auch die Busanbindung zu wünschen übrig. Wer kein Auto hat und nicht im Familienverbund lebt, hat es in Sachsenkam mitunter schwer mit der Versorgung. Genau hier springt die Initiative „Mitanand leben“, die sich als Kooperationsprojekt des Netzwerks Mitanand mit dem Pfarrgemeinderat versteht, ein - auch als Ersatz für Dienstleistungen, die vorher oft in der Großfamilie übernommen wurden.
„Manchmal geht es nur um einen schnellen Ratsch, um ein kurzes Gespräch“, sagt Astrid Orthey und erzählt, wie sie vor Kurzem eine Seniorin mit nach Bad Tölz nahm, die die Fahrtzeit zum regen Austausch nutzte. Fahrdienste sind nur eine Facette der Dienste, die das Netzwerk anbietet, Hilfestellungen bei handwerklichen Arbeiten oder technischen Problemen eine andere. „Wobei wir nur bis zu einem bestimmten Grad helfen können“, betont Frank Orthey. „Wenn wir nicht mehr weiter wissen, haben wir meistens jemanden an der Hand, der einen Handwerker kennt“, fügt Alexandra März an. Pflegeleistungen, die über ein zumutbares Maß hinausgehen, kann das Netzwerk indes nicht übernehmen.
März berichtet von einer Familie, deren Kinder auf der Suche nach einer Ersatz-Oma waren - und einer älteren Dame, die wiederum gerne Umgang mit Kindern gehabt hätte. Über das Netzwerk fanden sie zusammen: „Das war eine Win-Win-Situation“, freut sich März. Auch „wenn sich einer den Fuß gebrochen hat und jemanden zum Gassi gehen sucht“, kann das Netzwerk einspringen. Eines ist ihr noch wichtig: „Wir sind nicht nur für ältere Leute, sondern für alle Mitbürger da“. Als Beispiel nennt sie kurze Babysitting-Dienste: „Ein bis zwei Stunden sind kein Problem“.
Altbürgermeister Hans Schneil, der die Geschicke der Gemeinde ein halbes Jahrhundert lenkte, unterstütze die Arbeit des Netzwerks ebenso eifrig wie der jetzige Bürgermeister, betonen die Netzwerker: „Andreas Rammler war von Beginn an dabei“.
Man habe die Initiative ganz bewusst nicht als Verein, sondern als Netzwerk aufgezogen, betont Frank Orthey. „Es geht uns um schnelle, informelle Hilfe, wir sparen uns den bürokratischen Überbau“. Ein wichtiges Vehikel zur Kommunikation sei die WhatsApp-Gruppe des Netzwerks. „Die hat fast 100 Mitglieder“, berichtet Alexandra März. Da speziell ältere Menschen nicht immer ein Smartphone besitzen, gibt es auch eine Telefonnummer. „Allerdings kam es schon vor, dass Leute noch um elf angerufen haben“, berichtet sie, „einige verwechseln das mit einem Notruf“. Bisher seien die Anrufe zu nachtschlafender Zeit jedoch nicht ausgeartet.
„Wir sind blauäugig an die Sache rangegangen“, gibt Frank Orthey rückblickend zu. Genau diese Spontanität ist es aber auch, was die Initiative auszeichnet und wachsen lässt, und vielleicht auch andernorts Nachahmer finden wird.