Süddeutsche Zeitung

Musikrezension:Virtuosität an allen Pulten

Lesezeit: 3 min

Dirigent Fuad Ibrahimov und die Neue Philharmonie München beeindrucken in der Loisachhalle

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Ein Sprung, dann stand er auf dem Podium: Fuad Ibrahimov, seit 2015 Chefdirigent der Neuen Philharmonie München, strahlte in der Wolfratshauser Loisachhalle von Anbeginn eine Begeisterung aus, die durch den ganzen Abend trug. Das aus 85 Musikstudentinnen und -studenten bestehende Projektorchester spielte am Freitagabend Tondichtungen von Richard Strauss sowie Konzerte von dessen Vater Franz und Johannes Brahms.

Als Richard Strauss begann, "Don Juan" zu komponieren, war er gerade einmal 24 Jahre alt, was in etwa dem Altersdurchschnitt der Neuen Philharmoniker entsprechen dürfte. Die Inspiration, die erotische Karriere des spanischen Edelmannes in Töne zu übersetzen, kam ihm pikanterweise im Hof des Klosters San Antonio zu Padua - durch Lenaus sehr deutschen Verse, die er auch über die Partitur schrieb: "Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, / So lang der Jugend Feuerpulse fliegen!" Mehr Aufbruchsstimmung geht nicht, und nicht ohne Grund gilt die geniale, vertrackt schwer zu spielende Anfangsgeste des Stücks als Startsignal der musikalischen Moderne. Was Strauss an neuen Klangmöglichkeiten schuf, ist eine Bewährungsprobe für jedes Orchester - und bei einer Probenzeit von knapp zehn Tagen ein Wagnis.

Die Neue Philharmonie hat sich wacker geschlagen. Mag sein, das Blech war anfangs zu dominant, mag auch sein, in den schwelgerischen Passagen kam der Held etwas dickleibig daher: Spätestens ab dem cis-Moll-Furor in der Mitte des Werks waren die Musiker eingespielt. Die Triolen kamen präziser, die Pizzicati waren meist zusammen und hin und wieder gelangen Stellen von außerordentlicher Schönheit, so das fein begleitete Glockenspielsolo, für den Strauss-Kritiker Eduard Hanslick "kindisches Geklingel" und Effekthascherei. Dem kann man kaum widersprechen, aber wenn es so wie hier musiziert wird, ist es das reine Vergnügen. Bis zum Schluss: Der Erotomane stirbt als verglühter Komet, was das Orchester in zuckenden Geigentremoli auskostete.

Nach diesem Tutti-Bravourstück, in dem Strauss jedem einzelnen Musiker Virtuosenkünste abverlangt, durfte sich nun einer alleine behaupten: César Nunes, 1992 im portugiesischen Oporto geboren, spielte das Solo in Franz Strauss' einsätzigem Hornkonzert. Als sich nach der obligatorischen Einleitung die Solo-Melodie über der durchweg diskret gehaltene Orchesterbegleitung hören ließ, war der Charakter sofort da. Nunes musste keine Stimmung entwickeln, mit dem ersten Ton war klar, wo er hin möchte. Das spricht für musikalische Reife, deretwegen man gerne verzeiht, dass der ein oder andere Ansatz nicht ganz sauber war. Während Strauss' Solokonzert Nunes die Möglichkeit gab, seine solistischen Fähigkeiten, seinen Sinn für Klangfarben ungehindert darzustellen, erfordert Brahms' Doppelkonzert a-Moll andere Qualitäten. Hier treffen ein höchst anspruchsvoller Violin- und ein ebenso anspruchsvoller Cello-Part aufeinander: Zwei Individuen, die auch miteinander können müssen - ein Lehrstück musikalischer Kommunikation. Elisabeth Kropfitsch (Violine) und Meehae Ryo (Cello) zeigten, wie es gelingen kann.

Nach der schroffen, viertaktigen Einleitung setzen die beiden Solo-Instrumente zu einer ausgedehnten gemeinsamen Kadenz an, die den Spannungsreichtum der kommenden halben Stunde ankündigte. Hier musizierten zwei höchst unterschiedliche Musikerinnen: Ryo entlockte ihrem Cello mit minimalem Aufwand schlichten, schönen Gesang; Kropfitsch brachte mit ungezügeltem Temperament und bemerkenswerten Tanzschritten die Luft zum Sirren. Das Ergebnis war ein lebendiger Dialog, der die drei Sätze nur allzu schnell vorbeigehen ließ. Die Neue Philharmonie zeigte wie schon beim vorangegangenen Hornkonzert, dass sie sich auch auf intelligente Begleitung versteht. Dass der breite erste Satz wie aus einem Guss wirkte, ist dem Dirigat Ibrahimovs zu verdanken. Die gezupften Begleitakkorde in der Durchführung etwa waren so nicht einfach Staccato-Klänge, sondern ermunterndes Anstupsen, das die Solistinnen in Bewegung hielt. Der zweite, in fließendem Tempo gehaltene Satz, war ganz auf die Streichergesanglichkeit ausgerichtet, ohne jemals zu schmachten. Ibrahimov machte durch feine Gestaltung in den Mittelstimmen wett, was Brahms hier an melodischer Originalität mangelte. Im Finale schließlich kam Brahms' Vorliebe für ungarisches Lokalkolorit zum Tragen, was sich in dieser Besetzung zum Tanz auf dem Vulkan entwickelte. Besonders schön: Kropfitschs Mut zum Kratzen in den furchterregenden Doppelgriffen, von Ryo lakonisch beantwortet.

Mit einer zweiten Tondichtung von Richard Strauss schloss der Abend: Und als der musikalisch glänzend zum Leben erweckte "Till Eulenspiegel" schließlich vom Schafott sprang, brach Beifall los, von dem man sich nur gewünscht hätte, dass er aus einem zahlreicher besetzten Saal gekommen wäre.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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