Musikkritik:Organissimo

Musikkritik: Multitalent auf der Empore: Zuzana Ferjenčíková ist begnadete Organistin und Pianistin - und überzeugt auch mit eigenen Kompositionen.

Multitalent auf der Empore: Zuzana Ferjenčíková ist begnadete Organistin und Pianistin - und überzeugt auch mit eigenen Kompositionen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die slowakische Organistin Zuzana Ferjenčíková gibt bei den Tölzer Orgelfesttagen ein Konzert der Superlative

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Die Füße sausen über das Pedal, hinauf und hinunter, und treffen mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Tasten, so dass Melodien und Läufe entstehen. Dabei spielt selbstverständlich jeder Fuß für sich, unabhängig vom anderen. Wenn man dem Pedalspiel von Zuzana Ferjenčíková zuschaut - und zuschauen konnte man am Freitag in Bad Tölz bei den Orgelfesttagen dank Videotechnik -, wird einem fast schwindelig. Die Pedaltechnik der slowakischen Organistin sucht ihresgleichen. Doch auch das Manualspiel ist von höchster Vollendung, schließlich tritt die Künstlerin auch als Pianistin auf.

Der Auftritt von Ferjenčíková in der Stadtpfarrkirche war leider nur schwach besucht. Dennoch ließ sich Sepp van Hüllen, der Leiter der Konzertreihe, nicht entmutigen, stellte die Künstlerin vor und kündigte eine Programmänderung an. Statt des angekündigten "Tasso" von Franz Liszt werde es zwei Legenden des gleichen Komponisten geben. Die Künstlerin verzichtete auf einen Helfer beim Noten-Umblättern und beim Registrieren, wollte selbst die Herrin all dessen sein, was an der Orgel passiert. Und es passierte so einiges: Sie schaffte jeden Registerwechsel, jeden Seitenwechsel genau an der richtigen Stelle, schaltete quasi im Takt der Musik die Register und blätterte auch im Takt um. Und wenn sie sich mal verblätterte, also zwei Seiten auf einmal erwischte, dann blätterte sie ebenso flüssig im Takt wieder zurück.

Das Programm begann mit "Slavimo slavo slaveni" von Liszt, einem kurzen, choralartigen Stück. Es folgte ein Werk des 2004 verstorbenen slowakischen Komponisten Juraj Beneš, welches er Zuzana Ferjenčíková gewidmet hat. Elegant schwebten die Hände der Organistin über die Manuale und erzeugten wirbelnde, fast schwerelose Klänge. Erst allmählich trat das Pedal hinzu für den vollen Orgelton. Der Komponist macht von den phänomenalen Fähigkeiten seiner Widmungsträgerin im Pedalspiel nur stellenweise Gebrauch. Das Stück ist nicht frei von Längen und bewegt sich überwiegend im leisen Klangspektrum; erst kurz vor Schluss gibt es eine Steigerung zum Fortissimo, bevor der schwerelose Beginn wiederkehrt und zum leisen Abschluss führt.

Dann die beiden angekündigten Legenden von Liszt, im Original Klavierwerke. Die erste, "Die Vogelpredigt des Franz von Assisi", enthält reichlich "Vogelgezwitscher" in der hohen Lage, dem im Bass die ruhige, ernste Predigt des Heiligen entgegentritt. Hier schaffte es Ferjenčíková, die Orgel wirklich zwitschern und Vogeltöne durch den heiligen Raum der Kirche schweben zu lassen. Orgelgezwitscher, so etwas hört man nicht alle Tage. Besonders hübsch gelang die Stelle, wo die Vögel, zutiefst beeindruckt von der Predigt, einen vierstimmigen Choral singen. Schade, dass gerade dieses so klangschöne Werk mit seinen leisen, zarten Stellen durch ausgiebiges Glockengeläut gestört wurde. Die zweite Liszt-Legende, "Franz von Paula über die Wogen schreitend", ist insgesamt ruhiger im Duktus, beinhaltet aber einige sehr unangenehme Pedalpassagen, mit Tonrepetitionen im hohen Tempo und ähnlichen kniffligen Dingen. Kein Problem natürlich für Ferjenčíková, die sich dieses Klavierwerk selbst für die Orgel zurechtgelegt hatte.

Dann folgte als Schluss- und Höhepunkt eine Eigenkomposition von Zuzana Ferjenčíková: die viersätzige "Berg-Symphonie", inspiriert von einem Orchesterwerk von Liszt. In der Kirche lagen Blätter aus mit Erläuterungen zum Werk und Literaturzitaten. Neben dem zeitgenössischen Schweizer Franz Hohler waren da vor allem Namen wie Hugo und Senancour zu finden, die auch für Franz Liszt wichtige Inspirationsquellen gewesen waren. In ihrer eigenen Komposition zog Ferjenčíková natürlich alle Register ihres phänomenalen Könnens. Ruhig und sanft begann das Werk, steigerte sich aber rasch, die Hände und Füße der Künstlerin flogen über die Tasten des Instruments. Zuletzt scheinbar die totale Zerstörung, der vollständige Zusammenbruch, doch die gregorianische Antifon "Tu es Petrus", die Ferjenčíková darauf setzte, gab neue Hoffnung.

Am Ende waren die Zuhörer wie erschlagen, so dass es einige Zeit brauchte, bis der Beifall losbrach. Die wenigen Besucher klatschten, was das Zeug hielt, und konnten die Künstlerin schließlich zu einer Zugabe bewegen: einer "Consolation" von Liszt, auswendig gespielt mit Noblesse und ruhiger Eleganz. Fazit: ein Orgelkonzert der Superlative, nicht unbedingt die angekündigten "Bilder aus der Slowakei", aber dennoch ein begeisternder Abend, der ein volles Haus verdient gehabt hätte.

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