Süddeutsche Zeitung

Musik und Literatur auf Gut Karpfsee:Geheime Zwiegespräche

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700 Gäste feiern das dritte Moosbrand-Festival der Stiftung Nantesbuch. Kuratorin Brigitte Labs-Ehlert verabschiedet sich mit erlesenen "Streifzügen in die Zeit"

Von Stephanie Schwaderer, Bad Heilbrunn

Ein Moment, in dem gerne die Zeit stehen bleiben dürfte: Axel Milberg lauscht den letzten flirrenden Tönen, die das Klenke-Quartett in den Raum gezaubert hat (eine Komposition der Französin Germaine Tailleferre aus dem Jahr 1919), holt Atem und liest Nabokov. Wobei lesen das falsche Wort ist. Er bricht los, lässt den Text strotzen und pulsieren und nimmt die 200 Gäste im Langen Haus mühelos mit auf russische Landgüter zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In "Erinnerung, sprich" beschwört Vladimir Nabokov die traumverlorenen Tage seiner Kindheit herauf. Eine Welt voller Schmetterlinge, in der das Paradies greifbar nahe liegt: "Alles ist, wie es sein sollte, nichts wird sich je ändern, niemand wird jemals sterben."

Nabokovs Kindheit fand mit der Oktober-Revolution ihr Ende. Und auch im Langen Haus der Stiftung Nantesbuch drehen sich die Uhren weiter. Mit der heiter-melancholischen Lesung, die dank der vier Streicherinnen des Klenke-Quartetts auch zu einem musikalischen Ereignis wird, endet am frühen Sonntagnachmittag das dritte Moosbrand-Festival. 700 Frauen und Männer waren der Einladung gefolgt und hatten sich mit hochkarätigen Schriftstellern, Schauspielern und Musikern auf "Streifzüge in die Zeit" begeben. "Mehr geht fast nicht", sagt Programmleiterin Annette Kinitz, "alle Veranstaltungen waren ausverkauft."

60 Literaturliebhaber haben diesmal das ganze Paket gebucht. Sie starten am Freitag mit einer fünfstündigen "Langen Nacht der Geheimnisse" in ein prall gefülltes Wochenende, für das zum dritten und letzten Mal Kuratorin Brigitte Labs-Ehlert verantwortlich zeichnet. Auch zwei Künstler - der Schauspieler Hanns Zischler und Autor Christoph Ransmayr - nehmen das Angebot an, sich drei Tage am Stück auf den besonderen Ort und Begegnungen im Langen Haus einzulassen. Zu den Höhepunkten zählt eine Freiluftlesung auf der Wiese mit Marica Bodrožic. Unter einem blauen Spätsommerhimmel und in Gesellschaft einer Herde von Exmoor-Ponys stellt sie ihr Buch "Der Windsammler" vor.

Für Lyrikfans hat Labs-Ehlert am Sonntagmorgen noch eine kleine Sensation parat: Aus Schottland ist John Burnside angereist, um aus seinem Zyklus "In the Name of the Bee" zu lesen. Ihm zur Seite sein einfühlsamer Übersetzer Ian Galbraith, der die Gäste in der vollbesetzten Eingangshalle in das Denken und Schreiben des wortgewaltigen Humanisten einführt.

Großen Applaus gibt es zum Abschluss nicht nur für die Künstler, sondern auch für die scheidende Kuratorin, die von Geschäftsführerin Andrea Firmenich noch einmal auf die Bühne geholt wird. Labs-Ehlert habe die Stiftung vom ersten Tag an beraten, wie Kunst und Natur in hoher Qualität "an diesem magischen Fleck" zusammengebracht werden könnten, so Firmenich. "Sie hat ganz wichtige Pionierarbeit geleistet." Ihre Nachfolge wird der Historiker, Schriftsteller und Journalist Hans von Trotha antreten, der das Moosbrand-Festival zum zweiten Mal als Gast verfolgt hat.

Labs-Ehlert wiederum lobt das Publikum, das "begeisterungsfähig und hoch konzentriert" bei der Sache gewesen sei. "Die Energie des Zuhörens, die sich auf alle Mitwirkenden überträgt, dieses geheime Zwiegespräch, das sich entfaltet - das ist das Schönste, was sich ein Programmleiter vorstellen kann", sagt sie.

Die Gäste gehen derweil vom geheimen ins offene Gespräch über, stehen mit den Künstlern vor der schwarzen Küche zusammen oder setzen sich noch ein bisschen in die Sonne. Ans Heimgehen denkt so schnell keiner. Lieber noch für ein Glas Wein die Zeit anhalten.

Mit einem bunten Herbstfest unter dem Motto "Farbrausch" startet die Stiftung Nantesbuch am Donnerstag, 3. Oktober, in die Herbst- und Wintersaison. Die Organisatoren versprechen einen "fröhlichen, bunten Auftakt zum Sehen, Hören, Staunen und Selbermachen, der alle Sinne leuchten lässt". Infos unter https://stiftung-nantesbuch.de

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Quelle:
SZ vom 24.09.2019
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