Musical in Geretsried:Sie sterben - und sehen verdammt gut dabei aus

Das Ensemble des Gymnasiums erhält donnernden Applaus für das Stück "Sternensurfer". Geschrieben hat es der Lehrer Bernhard Zink.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Es geht um den Kälteschlaf und das Klonen, um Cyborgs und eine schier endlose Zeitreise. Aber eigentlich geht es ums Loslassen in Bernhard Zinks neuem Musical mit dem Titel "Sternensurfer". Der Musiklehrer hat es für ein Ensemble am Gymnasium Geretsried geschrieben und komponiert. Sechs Abiturienten als Hauptdarsteller und der Kammerchor des Gymnasiums haben damit zwei Abende lang das Publikum in der jeweils gut besuchten Aula restlos begeistert. Die jungen Leute, die ihre Proben selbst organisiert und ihr Stück selbst inszeniert hatten, waren mit beeindruckender Ernsthaftigkeit und animierender Spielfreude bei der Sache und überzeugten musikalisch wie darstellerisch.

Das kompakte, etwa einstündige Science-Fiction-Musical erzählt von einer Frau ("Sie", Miria Samhammer), die ihren todkranken Mann ("Er", Benjamin Hartwig) nicht loslassen will. Sie hofft, dass er, in einen Kälteschlaf gelegt, geheilt werden kann, sobald nur das richtige Medikament erfunden sein wird. Um das selbst überhaupt erleben zu können, muss auch sie sich auf Eis legen lassen. Die Jahrhunderte vergehen, sie wird immer wieder zur Kontrolle, ob ihre Erinnerung noch funktioniert, aufgeweckt und wieder in Schlaf versetzt.

Musical in Geretsried: Teresa Keil ist eine echte "Rampensau", wie ihr Musiklehrer Bernhard Zink anerkennend sagte.

Teresa Keil ist eine echte "Rampensau", wie ihr Musiklehrer Bernhard Zink anerkennend sagte.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Derweil spielt die Erde verrückt, fällt zunächst in tiefe Dekadenz, niemand muss mehr altern, niemand mehr Armut leiden. Die Frage, ob sie alle, die in einer Art ewiger Cocktailparty leben, nicht sterben, wird beantwortet mit: "Oh, doch. Aber sie sehen verdammt gut dabei aus." Ein paar Jahrhunderte später ist die Welt "voller Krieg und Schlachten und Tod". Dem kranken Mann kann noch immer nicht geholfen werden, und Pianist Johnny (Hannes Wagner) ist inzwischen ein Cyborg, ein kläglicher Maschinenmensch. In einen solchen wird schließlich auch "sie" verwandelt.

Alle Hoffnung ist dahin, die Erde menschenleer. Sie singt ein eindringliches Lied: "Stille - monströse Stille . . ." Und selbst das "Kontrollprogramm", das als Geige spielende Figur (Lilli Fensterseifer) die Zeiten begleitet hat, beschließt, sich aufzugeben, nachdem es alles Wissen der Menschen hinaus ins All gesendet hat. Die Botschaft an die Protagonistin aber ist - bei allem bedrückenden Ernst des gesamten Stücks - eine frohe: "Du bist frei - schon immer." Und so strebt "sie" im letzten Bild symbolisch der Erlösung zu, indem sie sich reckt, die Hände nach oben streckt in ein helles Licht.

Musical in Geretsried: Miria Samhammer ist in jeder Minute des Stücks auf der Bühne und spielt.

Miria Samhammer ist in jeder Minute des Stücks auf der Bühne und spielt.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Zink hat sein Stück nicht komplett durchkomponiert, sondern einzelne Passagen musikalisch gestaltet. Es gibt sphärische Klänge; poetische Melodien (eine Art Leitmotiv: "Fliegen, weit dahin, weiter, als die Wolken zieh'n . . .); rhythmische Sprechgesänge und packende Auftritte von Solisten und Chor, die im Duktus stark an Bertolt Brecht/Kurt Weill erinnern. Die Sänger werden begleitet von Flügel und Keyboard (Hannes Wagner, Benjamin Hartwig), Geige (Lilli Fensterseifer). Die Bühne ist karg, schwarz, wichtigstes Requisit ist eine Krankenliege (laut Programm: "unsere 'siebte Hauptdarstellerin'"). Faszinierend ist, wie scheinbar mühelos die jungen Hauptdarsteller (neben den genannten sind dies noch Teresa Keil und Sophie Kolo) und die mitspielenden Choristen jeder Szene das rechte Gewicht geben, überhaupt nicht outrieren, aber dennoch ordentlichen Theateraplomb entfalten, als es nötig ist - weil die Welt im Bombenkrieg zugrunde geht.

Donnernd ist am Ende auch der Applaus. Und dann betritt Zink die Bühne, bedankt sich mit herzlichen, sehr individuellen Worten bei allen Schauspielern, würdigt die Leistung, in Abi-Vorbereitungszeiten nebenbei auch noch ein Stück einzustudieren, und umarmt jeden Hauptdarsteller. Miria Samhammer übernimmt es, den Dank zurückzugeben: "Weil Sie einfach, jugendlich gesagt, ein wahnsinnig krasser Musiklehrer sind." Einer, so könnte man ergänzen, der jetzt selbst üben muss, was er mit seinem Stück vermitteln wollte: loslassen. Denn in dieser Konstellation werden seine Schülerinnen und Schüler nie wieder auftreten. Ein einzigartiges Ensemble eben.

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