Süddeutsche Zeitung

Münsinger organisiert Hilfeprojekt:"In Kirgistan ist Brautraub üblich"

Hanns-Werner Hey sammelt seit acht Jahren Spenden für das zentralasiatische Land. Er beobachtet, dass die Gewalt gegenüber Frauen zunimmt, und versucht, einigen Schutz in seiner Einrichtung zu bieten - im einzigen Frauenhaus des Landes.

Interview: Isabel Meixner

"Nur" heißt das erste Frauenhaus in Kirgistan, das der Münsinger Hanns-Werner Hey vor zwei Jahren aufgebaut hat. "Nur" bedeutet Licht, und als solches wird der Ort von Frauen wahrgenommen, die dort Schutz vor häuslicher Gewalt finden. Die Adresse ist geheim, schon mehrmals hätten Männer gedroht, das Gebäude in Brand zu stecken, berichtet Hey.

SZ: Wie sind Sie auf Kirgistan aufmerksam geworden?

Hanns-Werner Hey: Durch die Bücher von Tschingis Aitmatow, einem kirgisischen Dichter, der in Europa sehr bekannt war. Er schrieb über die Probleme des Landes, alte nomadische Traditionen mit der Moderne zu verbinden. Er wies auch auf das Verdienst der Bolschewiken in dem Land hin: die allgemeine Schulpflicht und die gleichen Rechte für Mann und Frau. Das wird jetzt teilweise rückgängig gemacht.

Wie kam es dann vor acht Jahren zu den ersten Hilfsaktionen?

Nach meiner ersten Reise nach Kirgistan bin ich zu Reinhold Krämmel, dem Honorarkonsul für Kasachstan, gegangen und wollte ihn über Kirgistan ausfragen. Da meinte er: Das trifft sich gut, wir suchen einen Mediziner, der mit uns Hilfsaktionen durchführt. Kirgistan ist zwar die modernste Demokratie in Zentralasien, die wirtschaftliche Entwicklung aber ist katastrophal. Das Land aber bettelarm, hat keine Bodenschätze, nur ein paar Goldminen, die von ausländischen Firmen ausgebeutet werden. Obwohl es viele gut ausgebildete Leute gibt, fehlen Arbeitsplätze. Deswegen müssen viele Frauen putzen gehen und Männer Taxi fahren. Wer keine Arbeit findet, geht ins Ausland. 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden von Leuten erwirtschaftet, die im Ausland arbeiten.

Wie haben Sie versucht zu helfen?

Im Lauf der acht Jahre haben wir für eine halbe Million Euro medizinische Geräte gesammelt. Meine Frau und ich sind auf eigene Kosten nach Kirgistan geflogen, um zu schauen, dass die Geräte an der richtigen Stelle ankommen, Reinhold Krämmel hat den Transport organisiert. In Kirgistan haben wir viele arme Leute getroffen, die keine Schuhe hatten oder sich Medikamente nicht leisten konnten. Wir haben angefangen, für diese Menschen eine Minirente von zwanzig Dollar pro Monat zu organisieren. Dafür haben sich einige gemeldet.

Seit zwei Jahren unterhalten Sie ein Frauenschutzhaus, das einzige in ganz Kirgistan. Was erleben Sie dort für Schicksale?

Mit dem Aufkommen des Islam hat die Gewalt gegenüber Frauen zugenommen. Wenn ein Mann seine Frau loshaben will, schickt er sie einfach mitsamt den Kindern auf die Straße. Wenn sich eine Frau trennen will und ihr Mann das ablehnt, kann es sein, dass sie auf der Intensivstation landet. In Kirgistan ist auch der Brautraub vor allem auf dem Land üblich geworden. Da passiert es, dass ein Mann mit zwei Freunden die Auserwählte in ein Auto zerrt und sie vor die Wahl stellt: "Entweder du heiratest mich oder wir vergewaltigen dich zu dritt." In unserem Frauenschutzhaus "Nur" haben wir letztes Jahr sieben Frauen aufgenommen. Sechs haben mittlerweile eine Arbeit gefunden.

Wie viel kostet es, eine Einrichtung wie das Frauenhaus in Kirgistan zu betreiben?

Wir zahlen 8000 Euro pro Jahr für Miete und eine Sozialarbeiterin, die sich um die Frauen kümmert. Momentan haben wir das Geld noch nicht. Aber wir hoffen, dass wir noch genügend Spenden erhalten, damit wir das Haus erhalten können.

Spenden werden auf dem Konto der Bayerischen Ostgesellschaft gesammelt, Stichwort Kirgistan-Hilfe. Kontonummer: 908-230220, BLZ: 701 500 00, Stadtsparkasse München. Weitere Informationen unter www.kirgistan-hilfe.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1808772
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.11.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.