Süddeutsche Zeitung

Münsinger Handarbeit:Wunder aus nichts

Anna Bellmann aus Holzhausen stellt in stundenlanger Handarbeit fragile Kunstwerke her. Ihr einziges Werkzeug ist ein Skalpell. Mit ihm ritzt sie Muster in Papier, die von der Natur inspiriert sind - und eine starke Sogkraft entwickeln

Von Laura Geigenberger, Münsing

Es fing damit an, dass Anna Huber "aus nichts etwas machen" wollte. Sie griff also zu einem Teppichmesser, legte ein weißes Blatt Papier auf eine Unterlage und begann, vorsichtig Formen hineinzuritzen. Zehn Jahre ist dieser erste Schnitt nun her, viel hat sich seitdem getan: Hubers Nachname lautet jetzt Bellmann, sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern und hat gerade mit ihrer Familie ein neues Haus in Holzhausen bezogen. Mit Papier arbeitet sie aber nach wie vor. "Wenn einem etwas Spaß macht, macht man immer weiter", sagt Bellmann.

Sobald die 34-jährige gelernte Bankkauffrau von der Arbeit an ihren Werken erzählt, beginnen ihre braunen Augen vor Begeisterung zu leuchten. "Man muss es ganz bewusst machen", sagt sie, "das mag ich daran besonders." Wie eine Art Meditation empfinde sie es, frei Hand feinste Strukturen aus dem hochwertigen Künstlerpapier herauszuarbeiten und dabei zu beobachten, wie sich ein Werk entwickle.

Die kreativen Ideen für ihre Muster bekomme sie aus der Natur, deren "natürliche Perfektion" sie "über alles liebe", sagt sie. In ihrem Garten sowie auf Spaziergängen, Wanderungen und Reisen schaue sie immer genau hin, um sich Verläufe, Strukturen und Formen einzuprägen und diese schließlich "ins Papier zu bringen".

Mit ihren fragilen Schöpfungen gelingt es Bellmann auf faszinierende Weise, ein Stück Natur auf Leinwand zu bannen. Ihre Werke haben beinahe schon eine hypnotische Wirkung: Der Betrachter "versinkt" in den Formen, wird gleichsam entführt - auf Streifzüge durch Blumenwiesen, entlang plätschernder Bachläufe, unter rauschenden Silberpappeln oder durch herbstliche Wälder, in denen der Wind gerade das Laub aufwirbelt.

"Blättchen" haben es Bellmann gerade besonders angetan, sie seien ihr "Mantra". "Es ist unglaublich schön, sich Blättchen für Blättchen voranzuarbeiten und zu sehen, wie sie sich nach und nach in ein Muster fügen", erklärt sie. Ihre Vorlieben wechselten allerdings auch immer wieder im Einklang mit ihren Ansichten und den Veränderungen, die ihr Leben mit sich bringe. "Neu erfinden kann man sich nicht", sagt Bellmann, "aber jeder Mensch wächst durch die Erfahrungen, die er macht." Für sie habe die Geburt ihrer Kinder eine "Explosion von Ideen" bedeutet, ihre Bilder strahlten für sie nun "von innen heraus", hätten somit einen ganz neuen Sinn bekommen.

Die Motive, an denen sich Bellmann über die Jahre hinweg versucht hat, sind ganz verschieden - von kleinen Laternen mit dreidimensionalen Schnittmustern, die sie "Hoffnungslichter" nennt, über Stadt- und Landkarten bis hin zu ihren Naturbildern. Ihre Arbeitsweise ist stets die Gleiche geblieben. Die Ideen habe sie im Kopf, erklärt sie, deshalb brauche sie meistens nichts vorzuzeichnen. Sie nehme einfach ein Papier und ihr Skalpell und beginne, die Formen zu ritzen - das sei für sie wie Malen. Jedes ihrer Werke ist ein Original, jede Blüte, jedes Blatt handgeschnitten. Das braucht auch seine Zeit.

"Je nach Größe arbeite ich zwischen zehn und vierzig Stunden an einem Motiv", sagt die Holzhauserin. Dabei sei sie am liebsten ganz frei in ihrer Kreativität. Seit sie ihre Bilder ausstellt und verkauft, bekommt sie allerdings auch manchmal Auftragsarbeiten, bei denen sie gebeten wird, sich an gewisse Vorgaben zu halten. Unter Druck setzen lasse sie sich jedoch nie. "Ein Bild muss mit Liebe entstehen", ist ihre Überzeugung. Für sie ist die Freude daran das Wichtigste. Der Betrachter solle sich im Motiv versenken, es gerne anschauen. Bilder zu vermarkten, widerstrebe ihr. Verkaufe sie ein Werk, trenne sie sich von ihm nur "schweren Herzens". Den Kaufpreis bezeichnet sie als "Schmerzensgeld" - wenngleich augenzwinkernd - denn sie freut sich natürlich über die positive Resonanz, die sie besonders auf Ausstellungen erfährt. "Sonst würde ich es ja nicht machen."

Derzeit ist ihr Atelier fast leer. Die meisten Arbeiten hängen noch bis Ende des Monats im Kreuzgang des Klosters Benediktbeuern. "Gerade richtig!" Bellmann lacht. Sie brauche nämlich den Platz, um ihre Weihnachtsgeschenke zu verstecken.

"Licht und Schatten", bis 30. Dezember, Kloster Benediktbeuern, täglich 9 bis 17 Uhr, Eintritt frei

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Quelle:
SZ vom 13.12.2018
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