Ausgerechnet mit einem Lied von der - nicht dem - See bringt Luise Kinseher ihr Publikum in Münsing gleich in der ersten Nummer zum Mitsingen: "Seemann, lass das träumen", stimmt sie an, und von den voll besetzten 430 Plätzen tönt es erst zaghaft, dann entschlossener "über Rio und Shanghai, über Bali und Hawaii". Es passt zwar nicht zur weiß-blauen Fahne, die vor dem Haus flattert. Aber das Publikum ist so gut aufgelegt, freudig erregt und in schönster Mitmachlaune. Schließlich wird an diesem Samstagabend eine Errungenschaft gefeiert: Der Pallaufsaal im neuen Bürgerhaus wird erstmals mit einer großen öffentlichen Kulturveranstaltung bespielt.
Pralle zwei Stunden lang unterhält die Kabarettistin Luise Kinseher ihr Publikum - mal absurd und grotesk, mal bayerisch-derb oder einfach saukomisch. Da nisten wilde Kanarienvögel im Lampenschirm, durchs Wohnzimmer schwirrt eine sibirische Azurjungfer-Libelle, und der Thermomix zaubert auf Knopfdruck Salzburger Nockerl. Saugroboter werden anstelle ihrer Besitzer in die Oper geschickt, weil die Menschen die neumodischen Inszenierungen nicht mehr aushalten. Die zynische verwitwete Dauer-Kreuzfahrerin auf der Aida - eine der Paraderollen Kinsehers - schwadroniert über ihren Immobilienbesitz, während aus dem Off ihr verstorbener Mann Heinz als Möwe kreischt. Dann wieder erzählt die "famous Mary from Bavary" - Paraderolle Nummer zwei - in ihrem einzigartigen Nuschelsingsang, bei dem man ständig auf ein beschwipstes "Hicks" wartet, von ihren "Top charts number one top titles" in den USA.
Ein beachtlicher Schatz an Wissen
All diese schrägen Szenerien sind freilich nur die Kulisse, vor der Kinseher einen beachtlichen Schatz an Wissen über die Natur und den Klimawandel, über die reale Politik und die Forschung aufblitzen lässt. Man weiß nicht immer, ob man glauben soll, was sie sagt. Hat die Wissenschaft tatsächlich ermittelt, dass es 40 Milliarden Milliarden ("Das ist eine Vier mit 19 Nullen") Schwarze Löcher inmitten unserer Galaxie gibt? Da wird mancher nach der Vorstellung Google bemühen.
In der Pause tauschen sich die Besucherinnen und Besucher übers Programm und den Neubau aus. Hochstimmung und Schwärmerei herrschen vor. Wiggerl Gollwitzer, Vorsitzender des Historischen Vereins Wolfratshausen und Laienschauspieler, bringt nur ein Wort heraus: "Scheee" - mit einem sehr lang gezogenen "e". Andere genießen es, in der Pause vom seitlichen Balkon aus in den Nachthimmel zu blicken oder auf den Sitzstufen vor dem Haus einen Plausch zu halten.
Natürlich gibt es auch die ein oder andere Kritik. Eine Frau, die im Saal weit hinten sitzt, sagt, von dort sehe man nicht gut auf die Bühne. Grünen-Kreisrätin Mechthild Felsch, deren Partei sich in der Planungsphase gegen Kosten und Größe des Bürgerhauses stemmte, findet den Saal "immer noch zu groß". Ein anderer sagt, der große holzverkleidete Bau habe äußerlich den Charme einer Scheune. Tatsächlich aber entfaltet das Haus in den Abendstunden, wenn zwischen den Lamellen die Lichter von innen durchblinken und auf den Balkonen die Menschen plaudernd beieinanderstehen, eine animierend festliche Atmosphäre.
Auftritt dank Habdank
Der Holzhauser Schauspieler Wowo Habdank hat dem SV Münsing-Ammerland, in dem er aktiv ist, Kinsehers Auftritt vermittelt. Eigentlich schon zum 100. Jubiläum des Vereins im Jahr 2021, wie er erzählt. Das aber hatte Corona verhindert. Nun freut er sich, dass gleich zwei "Geburtstagsfeiern" begangen werden können: die nachgeholte seines Vereins und "die Geburtsstunde des neuen Pallaufsaals". Nach der Pause läutet Habdank das Publikum mit einer Kuhschelle zurück in den Saal, denn einen Theatergong gibt es hier nicht. Aber die Kuhglocke passe doch gut, sagt er augenzwinkernd.
Ein gutes Stichwort. Luise Kinseher sähe die Kuh lieber denn den Löwen als bayerisches Wappentier. Der Löwe kenne doch nur drei Zustände, sagt sie: "Fressen, Brüllen, Schlafen". Wenn dies das Leittier der bayerischen Politik sei, brauche man sich nicht zu wundern. Für die CSU findet die Kabarettistin ohnehin sehr deutliche Worte, sie nennt sie "die oide bayerische Männerpartei mit dem fränkischen Testosterongeschwür an der Spitze". Allerdings gebe es ja nun den Aiwanger, der dem Söder alles versaue. Kinseher entwirft wort- und gestenreich die Vision des Raumschiffs "Bavaria One". Wenn das in drei Jahren fertig sei ("zehn Jahre früher als die zweite Stammstrecke in München"), dann werde Söder in einem Armani-Raumanzug strahlend heroisch das weiß-blau gerautete Spaceshuttle besteigen. Nur dass sich dann plötzlich Aiwanger dazwischenschiebt: "Holt! Ich will auch noch mit in die Rokete."
Mit Zugaben lässt sich die Kabarettistin schließlich nicht lumpen ("Ham Sie noch Zeit?"). Und am Ende mag der Seemann das Träumen lassen, die Münsinger aber werden nach diesem fulminanten Auftakt von vielen weiteren fantastischen Kulturereignissen auf der neuen Bühne träumen.