Münsing:Kaum Zeit zum Verschnaufen

300 Gäste mit 1000 Wünschen: Am Campingplatz "Beim Fischer" in St. Heinrich gibt es so viel zu tun, dass Lisi und Josi im Sommer gar nicht auf die Idee kommen, irgendwohin zu verreisen.

Von Benjamin Engel

Serie: Hiergeblieben

Lisi Huber (rechts ) arbeitet mit ihrer Cousine Josi Siebert den Sommer über auf dem Campingplatz.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Nach dem Schulabschluss erwacht das Fernweh. Viele wollen dann erstmal möglichst weit weg von der Familie. Verreisen und die neu gewonnenen Freiheiten genießen, heißt die Devise. Für Lisi Huber und ihre Cousine Josi Siebert hat Familie dagegen einen ganz besonderen Stellenwert. Sie arbeiten im Familienbetrieb im Münsinger Ortsteil St. Heinrich den ganzen Sommer über. "Was die Familie sich hier aufgebaut hat, ist so viel wert. Das kann man doch nicht einfach so wegwerfen", sagt die 19-jährige Lisi.

Zur Familie gehören ihre Mutter Susanne Huber, ihr Vater sowie ihr Großvater Rudolf Müller. Beide sind Fischermeister. Sie betreiben den Campingplatz "Beim Fischer", ein Gästehaus mit sieben Zimmern und vermieten vier Ferienwohnungen. Auch die Eltern von Josi - die Schwester von Susanne Huber und ihr Mann - wohnen auf dem Hofgelände. Beide Mädchen haben jeweils noch einen Bruder.

Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt den beiden Mädchen nicht, gibt es doch sieben Tage in der Woche immer etwas zu tun. Vormittags verpacken Lisi und ihre 18-jährige Cousine Josi schon einmal 500 bis 600 Semmeln für die Gäste. Gegen Mittag kochen beide mitunter für fünf bis zehn Personen, Familienmitglieder, Freunde und Bekannte. Dazwischen schauen immer wieder Gäste an der Rezeption vorbei, um die sich die beiden kümmern müssen. Zwischendrin, wie kürzlich mal an einem Nachmittag, nach Garmisch-Partenkirchen zu fahren, um einzukaufen, das bleibt die Ausnahme. Oft endet der Arbeitstag erst gegen 22 Uhr. "Dann sind wir froh, im Bett zu liegen", sagt Josi. Partys, zu denen sie eingeladen worden seien, hätten sie vor lauter Stress gelegentlich einfach vergessen.

Auch wenn gerade 300 Campinggäste auf dem Platz sind: Hier zu arbeiten, das empfinden Lisi und Josi nicht als Belastung. Sie sind es auch nicht anders gewohnt. Seit sie 14, 15 Jahre alt sind, helfen sie vor allem in den besonders nachgefragten Sommermonaten von Juni bis August immer mit. Ihre Freunde seien es schon gewohnt, dass sie in dieser Zeit häufig Verabredungen absagen müssten, sagen beide.

Lisi und Josi fangen in aller Regel morgens um 8 Uhr an zu arbeiten. Von da an sind sie häufig in der Rezeption beschäftigt. Hier klingelt unablässig das Telefon, wenn Gäste einen Aufenthalt auf dem Campingplatz reservieren wollen. Andere kommen zum Abrechnen nach Urlaubsende in die Rezeption, wollen Semmeln abholen, kaufen den selbstgebackenen Kuchen oder brauchen irgendwelche Hilfe. "Oft stehen zehn Leute vor der Tür", sagt Lisi. Holländer, Schweizer, Italiener, Franzosen, Engländer oder auch Israelis habe man schon als Gäste gehabt. Da verständige man sich meistens auf Englisch. Manchmal müssten aber Hände und Füße herhalten, um sich zu verständigen, sagt Josi. Regelmäßig gehen die beiden Mädchen über den Campingplatz, um sicherzustellen, dass die Gäste die Nachtruhe von 22 Uhr an einhalten. Die ein oder andere Jugendgruppe hätten sie schon vom Platz verwiesen, weil sie einfach zu laut war. Schließlich übernachteten auf dem Campingplatz viele Familien mit kleinen Kindern und Älteren. Auf deren Bedürfnisse müsse man eben Rücksicht nehmen.

Normal verlaufe eigentlich kein einziger Tag, sagt Lisi. Vor wenigen Wochen etwa war ihre Mutter in Urlaub. Ihr Großvater eines Tages mit 350 Fischen vom See gekommen. Da habe er ihr schnell zeigen müssen, wie man einen Fisch überhaupt schuppt. Und schon hieß es mithelfen. Der Großvater, sagt Josi, sei ohnehin derjenige, der die ganze Familie zusammenhalte. Ihm zuliebe verzichten sie auch auf Computer bei den Gästelisten. Alle Anmeldungen tragen sie mit der Hand in ein großes Buch ein. Die Reservierungen für den Campingplatz deponieren sie in Marmeladengläsern auf dem Campingplatz. Lisi möchte den Familienbetrieb irgendwann einmal gerne übernehmen. Im Winter zieht es sie allerdings für drei Monate nach Panama in Mittelamerika. Hier arbeitet sie drei Monate lang als Praktikantin in einem Hotel. Außerdem könne sie so gleich noch ihr Spanisch aufbessern, sagt sie. Im Februar 2014 möchte sie mit einer Hotelfachausbildung beginnen.

Sie hat vergangenes Jahr ihr Abitur gemacht. Eigentlich wollte sie Tourismus- und Reisemanagement an einer privaten Hochschule in München studieren. Die Einrichtung hat ihr jedoch eine Woche vor Studienbeginn abgesagt. Es waren nicht genügend Interessenten zusammengekommen. Inzwischen hat sie ein Praktikum für Tourismusmarketing am Tegernsee gemacht. Josi dagegen möchte ab Herbst Medizin studieren. Ihr Vater ist Arzt in Seeshaupt. Bis dahin hilft sie nicht nur im Familienbetrieb mit. Sie arbeitet auch noch schichtweise in einem Restaurant in Seeshaupt als Servicekraft.

Bei so viel Arbeit müsse man alles mit Humor sehen, betonen Josi und Lisi übereinstimmend. Da schrecken sie auch vor kleinen Albereien wie einer Wasserschlacht mitten in der Küche nicht zurück. "Bei uns wird es jedenfalls nie langweilig." Und trotz aller Arbeit gibt es auch ein festes Ritual: das gemeinsame Mittagessen der Familie. Das gehört einfach dazu, findet Lisi.

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