Münsing:Die wortreichen Vier

Beim Festwochenende zum Jubiläum 1250 Jahre Ambach gelingt mit Ray Müller, Anatol Regnier, Tilmann Spengler und Josef Bierbichler ein literarischer Abend im Bierzelt

Von Benjamin Engel, Münsing

Und das soll nun die "Ambacher Klassik" sein? Vier reifere Künstler und Literaten - alle Jahrgang 1945 bis 1948 - stehen zum Schlussapplaus im Ambacher Festzelt gemeinsam auf der Bühne: Ray Müller, Anatol Regnier, Tilmann Spengler und Josef Bierbichler. Letzterer hat sich über das lockere, schwarze Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln eine graue, zerknitterte Jacke geworfen. Eine Kombination, die auffällt. "Der hat sich doch den Stallmantel übergeworfen", raunt eine Frau im Publikum. Immerhin stammt der Schauspieler und Buchautor aus einer Ambacher Fischer- und Bauernfamilie, der schon seit Jahrhunderten der Gasthof "Zum Fischmeister" nur wenige hundert Meter südlich gehört.

Münsing: Viele zogen bei der Hitze freilich das Seeufer vor.

Viele zogen bei der Hitze freilich das Seeufer vor.

(Foto: Hartmut Pöstges)

So ist der Auftakt der Festtage zu 1250 Jahre Ambach am Freitag im Festzelt beim Landhotel Huber auch ein Wechselspiel der Charaktere: Hier der etwas bärbeißig-grantige Bierbichler, der kurz vor der Lesung auf eine Frage nur antwortet "Naa, jetzt net, i muss mi konzentriern." Dort der munter drauflos plaudernde Spengler, der die Schriftsteller als "verschwätzte Zeitgenossen" bezeichnet und von dem auch die Formulierung von der "Ambacher Klassik" stammt. So werde man sich angewöhnen müssen, von ihnen Vieren zu sprechen, sagt er. Denn seit den Treffen der Gruppe 47 seien noch nie so viele Schriftsteller in Ambach an einem Platz konzentriert gewesen. Er liest einen Text von Patrick Süskind über einen Jungen und seine verschämte erste Jugendliebe. Süskind, der in Ambach geboren wurde, verweigert sich seit Jahren gänzlich der Öffentlichkeit. In der Szene "Die fünfbeinige Kuh" lässt Spengler schließlich seiner eigenen Fabulierlust über Ambach freien Lauf.

Münsing: Nach dem Festumzug klang das Jubiläum im Zelt aus.

Nach dem Festumzug klang das Jubiläum im Zelt aus.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Was alle der vorgetragenen Texte an diesem Abend durchzieht, ist das Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden, Urlaubern, Intellektuellen und Künstlern, die das kleine Dorf am Ostufer des Starnberger Sees seit jeher angezogen hat. So zitiert Bierbichler aus den Texten von Herbert Achternbusch, der von den Zuwanderern schreibt, die aus Ambach nicht mehr weg könnten und dort hängen blieben wie an einem Krankenbett. Die Fremden sind bei Achternbusch "hässliche alte Menschen", an denen, wären sie jünger, das Frischzellensanatorium weniger verdiente. Eine Anspielung auf das frühere Ambacher Kursanatorium Wiedemann, das seit Jahren geschlossen ist. In "Mittelreich", seinem eigenen Buch, aus dem Bierbichler ebenfalls liest, wird dagegen die Welt der Bauern und Fischer am Starnberger See erleb- und erfahrbar. Etwa die Streuwiesen am Ufer, auf denen die Bauern im Herbst ihre schönste Zeit erlebten. Sie wurden enteignet und so entstand das Erholungsgelände Ambach.

Münsing: Josef Bierbichler las zum Auftakt des Jubiläums aus seinem großartigen Roman "Mittelreich".

Josef Bierbichler las zum Auftakt des Jubiläums aus seinem großartigen Roman "Mittelreich".

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Und während Anatol Regnier, Enkel von Frank Wedekind, das "schmerzhaft schöne Ambach" seiner Kindheit beschwört und von seinem Schriftstellerkollegen Wolfgang Hildesheimer liest, wird es bei Ray Müller ganz gegenwärtig. Er schildert eine Szene aus seinem Kriminalroman "Tote Hose". Hier wird der Münchner Kommissar Biersack zu einem Todesfall an den Starnberger See zwischen Ambach und Ammerland gerufen. Dort, wo am privilegierten Ufer an der Ostseite des Sees alte Villen aus der Gründerzeit neben den immer zahlreicheren, aber selten geschmackvollen Prachtbauten der Neureichen stehen.

Am Ende ist auch Christoph Bühring-Uhle, Gemeinderat und Mitorganisator des Ambacher Festwochenendes, froh. Denn vier Schriftsteller in einem Zelt mit rund 300 Gästen auftreten zu lassen, das war schon ein gewisses Wagnis. Doch der Versuch ist geglückt, weil die Zuschauer erstaunlich konzentriert zuhören und leise sind, wenn gelesen wird. Und auch der Bolzwanger Dreigesang und die Bolzwanger Geigenmusik haben mit ihrem feinen Spiel einen wichtigen Anteil daran, dass der Abend ein äußerst stimmungsvoller wird. An dieser Stelle dürfen auch die Fischerfamilien nicht unerwähnt bleiben, die Ambach gegründet haben und über Jahrhunderte "alle Stürme" überwunden haben, wie Münsings Bürgermeister Michael Grasl zur Begrüßung sagt. Darauf reagiert das Festzeltpublikum mit donnerndem Applaus.

Nebenan im alten Holzstadl erinnern Zeichentrickfilme von "Biene Maja" und "Nick Knatterton" an den Schriftsteller Waldemar Bonsels und den Zeichner Manfred Schmidt, beide ehemals in Ambach ansässig. Eine Multimediaschau zeigt alte Postkarten und Bilder aus dem Dorf. Beides ist auch an den beiden Folgetagen zu sehen.

Am Samstag organisiert der Yachtclub Ambach Rundfahrten mit dem Dieselmotorschiff "Alt München" aus den 1930-er Jahren. Abends lesen Kinder und Jugendliche historische Texte zu Ambach und die Holzhauser Band Tromposaund spielt. Am Sonntagvormittag kann der Feldgottesdienst dank des warmen, trockenen Wetters wie geplant im Freien hinter der Ambacher Kirche stattfinden. Unter einem strahlend blauen Himmel formieren sich anschließend die Vereine zum Zug Richtung Festzelt, in dem die Feierlichkeiten ausklingen.

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