Münsing:Dahoam is Rimini

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Das Erholungsgelände in Ambach am Ostufer des Starnberger Sees ist für manche im Sommer das zweite Zuhause. Morgens sind die ersten Besucher allein mit den Wildgänsen. Mittags herrscht Gedränge. Und nachts vertreiben Regen und Gewitter die letzten Griller.

Von Isabel Meixner, Birgit Lotze, Benjamin Engel und Marina Oberloher

An heißen Tagen suchen zahlreiche Badegäste Erfrischung im Starnberger See. (Foto: Hartmut Pöstges)

Tausende Menschen zieht es an heißen Tagen ins Erholungsgelände Ambach - tags wie nachts. Ein Rund-um-die-Uhr-Streifzug durch den für manche schönsten Fleck im Voralpenland:

6.25 Uhr:Wenn frühmorgens noch keine Gäste auf den Wiesen liegen, dreht Rupert Geiger auf seinem Traktor mitsamt Kehrmaschine seine Runden. Seine Mission: das Erholungsgelände von Gänsekot und Müll zu befreien. Mittlerweile sind nur noch wenige der 90 kanadischen Wildgänse am See. "Die sammeln sich zwischen 5. und 15. August und fliegen weg", sagt Geiger.

Rupert Geiger säubert mit seiner Kehrmaschine jeden Morgen das Erholungsgelände von Müll und Gänsekot (Foto: Isabel Meixner)

6.50 Uhr:Jan, Philipp und Bernie sehen müde aus. Sie haben die Nacht über im Erholungsgelände gefeiert und hier geschlafen. Kürzlich haben die Drei ihr Abitur bestanden, nun wollen Jan und Philipp für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Peru und Nicaragua gehen. Neben Isomatten und Schlafsäcken liegen Bier- und Colaflaschen, ein Müllsack steht da und ein Pappkarton.

7.30 Uhr:Peter Dröscher und Annemarie Spies aus Gelting sind mit die ersten Gäste. Sie gehen seit Pfingsten fast täglich vor der Arbeit im See schwimmen. "Das ist viel besser wie auf d'Nacht", sagt Annemarie Spies, und Peter Dröscher ergänzt: "Das musst du mögen, wenn's draußen kälter ist als im Wasser." Die Abiturienten sind verschwunden. Ihr Müll auch.

8.25 Uhr:Immer mehr Familien strömen, ausgerüstet mit Luftmatratzen, Decken, Schwimmreifen, Volleybällen, Sonnenschirmen und Körben voller Essen, ins Erholungsgelände. Rupert Geiger ist rechtzeitig fertig geworden mit Aufräumen: Er sitzt mit seiner Familie am See und macht ein Picknick.

9 Uhr:Robert Glanzer ist seit 7 Uhr auf dem Erholungsgelände unterwegs. Jetzt ist er mit Toilettensäubern fertig und macht sich an die nächste Aufgabe: Parkgebühren kassieren. An heißen Tagen stauen sich die Autos schon mal vor Glanzers Kasse, oft muss er dann den Parkplatz, der Platz für 2000 Autos bietet, wegen Überfüllung schließen. So viele Gäste erwartet Glanzer an diesem Tag nicht, er rechnet mit 1000 Autos.

Robert Glanzer kassiert die Parkgebühr. (Foto: Hartmut Pöstges)

9.35 Uhr:In knapp einer halben Stunde öffnet der Kiosk am See. Christoph Ibron und seine Kollegin tragen Getränke und Essen in das Gebäude und breiten Decken auf den Tischen im Freien aus. Wie lang sie arbeiten müssen, wissen sie jetzt noch nicht. "Das hängt von den Leuten und dem Wetter ab."

11.35 Uhr: Parkwächter Robert Glanzer sitzt an der Einfahrt zum Erholungsgelände im Halbschatten. Obwohl er seit fast drei Stunden Parkgebühren kassiert, wirkt er entspannt und zufrieden. Nur eins ärgert ihn: "Da, schauen Sie sich das an. Das machen die immer so." Ein Autofahrer wendet rund 50 Meter vor Glanzer und fährt wieder auf die Seestraße. Die Badegäste stellten dann ihr Auto in der Parkbucht an der Seestraße wenige Meter weiter ab - ohne zu bezahlen. Das findet Glanzer nicht richtig. Schließlich müssten auf dem Erholungsgelände die Toiletten gereinigt oder der Rasen gemäht werden. Das Thermometer zeigt inzwischen mehr als 30 Grad. Maria Huber aus Oberhausen hat sich in den kühlen Schatten unter einen Baum zurückgezogen. Sie isst mit ihrem dreijährigen Sohn Niklas Nudelsalat. Dabei will Niklas nur noch ein Eis haben.

13.50 Uhr:Wenige Meter von Konrad Vollmeier entfernt toben die Kinder im Wasser. Der 82-Jährige beachtet das wilde Treiben nicht. Er steht in der prallen Sonne. Schweiß läuft ihm von der Stirn. Im Augenblick denkt er nur an seine Tomaten, die muss er unbedingt gießen. Vollmeier hat sich auf dem Campingplatz Hirth ein kleines Idyll eingerichtet. Die Tomatenstauden wirken auch als Sichtschutz für seine grüne Freifläche. Seit 50 Jahren hat der Taufkirchner auf dem Gelände einen Platz für seinen Wohnwagen. Die warme Jahreszeit verbringt er mit seiner Frau von Mai bis November fast nur hier. "Woanders wollen wir gar nicht sein. Das ist wie daheim."

Konrad Vollmeier (82J.) und seine Frau Rosa (78J.) sind seit 1962 Dauercamper. Von Mai bis Oktober verbringen sie die meiste Zeit am See. (Foto: Hartmut Pöstges)

14.25 Uhr:Auf der Liegewiese vor dem Buchscharner Seewirt spielen Jungen Fußball. Im Wasser sind die Badegäste auf Luftmatratzen oder in Gummibooten unterwegs. "Vor allem am Wochenende ist es da wie in Rimini", sagt eine älteres, tief gebräuntes Ehepaar. Die Münchner haben sich in eine kleine Bucht am Rand des Geländes zurückgezogen. Sie kommen schon seit 30 Jahren hierher. Einen schöneren Fleck als den Starnberger See können sie sich nicht vorstellen.

14.55 Uhr: Schwitzend schiebt der 17-jährige Christopher Eberl seinen mobilen Verkaufsstand mit Kühltruhe den Weg entlang bis zur Wasserwachtstation am Schwaiblbach. "Der Wagen ist doch gar nicht so schwer", sagt er. Und schließlich verdiene er mit dem Ferienjob Geld.

Christopher Eberl verkauft Eis am See. (Foto: Hartmut Pöstges)

15.35 Uhr:Parkwächter Glanzer hat bis jetzt 800 Parkscheine ausgegeben. Dass der Münchner seinen Urlaub damit verbringt, seiner Mutter Käthe Glanzer auszuhelfen, macht ihm nichts aus: "Den ganzen Tag in der Sonne zu liegen würde ich gar nicht schaffen. Hier kann ich auch immer mit den Leuten ratschen." Wenn die Arbeit der Parkwächter gegen 20 Uhr getan sei, freue er sich aber auch aufs Schwimmen.

16.35 Uhr:Ein Münchner packt seine Surfutensilien zusammen. Seit 50 Jahren kommt er zum Segeln und Surfen an den Starnberger See, weil es "eine gute Alternative" zum Stadtleben sei. Fast jedes der Kinder hat irgendwann ein Eis in der Hand. Für den Eisverkäufer bedeutet der Ansturm puren Stress, der Schweiß perlt von seiner Stirn. Trotzdem bleibt er guter Laune. Erdbeer-Eis ist dieses Jahr der "absolute Renner".

18.23 Uhr: Glanzer lag mit seiner Schätzung richtig: Tausend Autofahrer haben heute die Parkgebühr von drei Euro bei ihm bezahlt, das macht rund 3000 Badegäste. "Jetzt kommt der nächste Schwung: die Griller", sagt er. Er blickt kurz zum Himmel, wo sich seit einer halben Stunde graue Wolken sammeln. "Hoffentlich verregnet's nicht alles." Die ersten schleppen in Wäschekörben ihre Grillutensilien an den Strand. Sie müssen sich gedulden. Grillen ist nicht vor 20 Uhr und nur an den Feuerstellen erlaubt. Viele Strandbesucher haben sich ihr Abendessen mitgebracht, meist Kartoffelsalat und Fleischpflanzerl. Eine Gruppe junger Erwachsene setzt auf Flüssignahrung: Die jungen Männer stehen entspannt diskutierend mit Bierflaschen in der Hand im Wasser.

19.17 Uhr:Wind kommt auf und macht aus dem Feuerchen, das Annika und Charlotte aus Nördlingen mit ihrem Opa an der Grillstelle angezündet haben, in wenigen Sekunden eine halbmeterhoch lodernde Flammenkugel. Die beiden haben hinten im Wald trockenes Reisig gesammelt und zu Hause Stockbrot vorbereitet. "Wir halten durch", sagt Eugen Schaich. Auch bei Gewitter. Schon wegen der Abenteuerlust. 30 Meter weiter löscht Miguel Dräger mit dem Rest in seiner Bierflasche das kleine Feuer im Grill. "Zeit zu fahren", sagt seine Freundin Verena Reisch und zeigt in den Himmel. Die Seeoberfläche kräuselt sich. Im Norden blitzt es im Abendrot. Die meisten Schwimmer verlassen das Wasser. Geiger auf seinem Traktor düst recht flott vorbei, inzwischen zieht er keine Kehrmaschine mehr, sondern transportiert zwei Mülltonnen ab - eine vorne, eine hinten. Der Sturm setzt ein. Bald ist Schluss.

19.28 Uhr:Regen prasselt auf den Strand. Ein Vater rennt den aufgeblasenen Schwimmhilfen seines Sohnes hinterher, die kleine Schwester juchzt vor Freude über die Sturmböen. Menschen stopfen ihre Badetücher eilig in die Tasche, eine Mutter drängt ihr Kind zu Tempo beim Shortsanziehen. In Scharen strömen die Badegäste zu den Parkplätzen.

19.38 Uhr:Es ist einsam am Strand. Eine blaugrüne Schwimmflosse ist liegen geblieben. Im Baum hängt ein T-Shirt, am Boden wurde ein schwarzer BH vergessen und gestreifte Shorts. Die zwei Mädchen am Stockbrot halten durch. Rund 300 Meter nördlich von ihnen lodert noch ein zweites Feuer. Drei Vietnamesen mühen sich ab, die Holzkohle in Sturm und Regen am Glühen zu halten. Mai Thi Thanh Thuy kommt mit Mann und Schwester öfter hierher. Aber die zeitliche Begrenzung für das Grillen ab 20 Uhr findet sie schlichtweg zu spät, "besonders für Familien".

20.14 Uhr:Am anderen Ufer blinkt es: Sturmwarnung. Barbara und Verena Rief, Mutter und Tochter aus Saulgrub, versuchen, ein kleines Zelt aufzubauen, doch die Böen machen es ihnen nicht einfach. Sie wollen die Nacht hier verbringen. Angst vor dem Sicherheitsdienst, der hier nächtlich patrouilliert, haben sie nicht. Nur, dass der Blitz einschlagen könnte.

20.32 Uhr: Zwei weitere Strandgäste gucken noch vorbei. Sie stellen ihre Rucksäcke erst gar nicht mehr ab. Sie schauen dem tosenden See zu, spüren die dicken Tropfen, es blitzt auf der anderen Seeseite wie auf einer Fotowand, hinter den Bergen leuchtet noch ein heller Streifen. Die Wildgänse freuen sich und lassen sich von den Böen über das Ufer treiben. Eine halbe Stunde später wird es dann bereits wie aus Kübeln schütten. Das Stockbrot und das Fleisch auf dem zweiten Grill werden dann fertig sein. Und Barbara und Verena Rief rufen Hilfe per Handy: Sie lassen sich abholen.

© SZ vom 08.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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