Wer 14 Jahre als Rettungsassistentin gearbeitet hat, ist dem Tod in allen Schattierungen begegnet. Julia Döhla aus Ammerland sah Menschen sterben und musste aushalten, wie Angehörige daran verzweifeln. Wenn es selbst Kinder und sogar Babys traf, dürfte das am schwierigsten gewesen sein. „Ich habe ganz verschiedene Charaktere von Menschen in absoluten Ausnahmesituationen erlebt“, sagt die 39-jährige Mutter von zwei Kindern im Alter von neun und elf Jahren. Dabei habe sie gelernt, wie wichtig es sei, empathisch auf Betroffene zugehen zu können. Das sieht sie als entscheidende Basis für das auf Urnenbestattungen spezialisierte Handwerksunternehmen, dass sie derzeit in ihrem Haus am Ammerlander Kloiberweg einrichtet. Sie wolle einen „absoluten Garten Eden“ schaffen, sagt Döhla, und Angehörigen einen Raum geben, um würdevoll Abschied nehmen zu können.
Darauf deutet momentan nur die Zufahrt zum Haus am Ende eines T-Grundstücks hin, die an Rosenbüschen und grünen Hecken vorbeiführt. Die 70 Quadratmeter im Untergeschoss des Hauses für Showroom, Besprechungsraum, Büro und Lager sind derzeit noch Baustelle. Wo bald an Angehörige zum Gespräch bei schönem Wetter auf einer West-Terrasse bis auf den Starnberger See hinunter schauen sollen, klafft Anfang Juli noch ein großes Loch. Von 5. August an soll aber alles betriebsfertig sein, sagt Döhla.
Als erste reine Urnenbestatterin wirbt die mit dem Ammerlander Feuerwehrvereinsvorsitzenden Martin Döhla verheiratete Frau für sich – und betont, welche individuellen Möglichkeiten sich damit verbinden lassen. Wer wolle, könne sich sogar aus heimischem Holz ein Unikat anfertigen lassen. „Wenn der Opa etwa am liebsten immer unter dem Apfelbaum saß, können wir aus diesem Holz eine Urne machen“, sagt sie. Um diese herzustellen, arbeitet Döhla mit einem Schreiner aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zusammen. Ihm hat sie gerade Eichenholz aus Ammerland zum Verarbeiten gebracht. „Ich will den altehrwürdigen Beruf des Bestatters einfach etwas entstauben“, sagt Döhla.
„Die Leute sollen sagen: Das ist die Bestatterin mit dem Dirndl“
Das spiegelt etwa auch die Kleidung wider, mit der sie und ihre Mitarbeiter den Angehörigen künftig begegnen wollen. Für sich selbst hat Döhla sie einige Dirndl von einem Berchtesgadener Trachtenschneider – aus dem Heimatort ihres Vaters – maßanfertigen lassen. Die männlichen Mitarbeiter tragen Stresemann – die nach dem einstigen Außenminister der Weimarer Republik benannte Kombination aus schwarz-grauer Anzughose, schwarzem Jackett und Weste – und dazu Haferlschuhe und Trachtenhut. „Wir sind in Oberbayern“, sagt Julia Döhla. „Warum sollte ein Bestatter immer Anzug tragen.“ Gleichzeitig setzt sie auf den Wiedererkennungseffekt. „Die Leute sollen sagen: Das ist die Bestatterin mit dem Dirndl.“
Mit ihrer Spezialisierung auf Urnen geht Döhla mit dem Trend: Generell wird diese Beisetzungsform deutschlandweit immer beliebter, sie ist mittlerweile sogar zur meistgefragten geworden. Von 75 Prozent „mit Tendenz nach oben“ berichtet Elke Herrnberger, die Sprecherin für den Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB). Das Umkehrbild zu den 1960er-Jahren, als sich ihren Angaben nach noch 90 Prozent der Bevölkerung im Sarg in der Erde bestatten ließen. Die Feuerbestattung habe sich einerseits so verbreitet, weil heutige Generationen viel mobiler seien, sagt Herrnberger. Kinder wohnten etwa häufiger weit weg von ihren Eltern, hätten also gar nicht die Möglichkeit, sich persönlich um ein Familiengrab zu kümmern. Außerdem sei ein Urnengrab wesentlich pflegeleichter und damit kostengünstiger, so die BDB-Sprecherin.
Der Beruf des Bestatters hat sich immer mehr zum Eventmanagement gewandelt
Als Ausbildungsberuf ist die Bestattungsfachkraft noch jüngeren Datums. Laut Jörg Freudensprung, der die Geschäftsstelle des Bayerischen Bestatterverbands leitet, begann eine Testphase erst im Jahr 2003, zehn Jahre später war die Ausbildung etabliert. Das hängt damit zusammen, dass sich der Beruf hin zum Eventmanager gewandelt hat, der vom Trauerredner bis zum Seelsorger inzwischen viel mehr zu organisieren hat als früher.
Im Freistaat sind laut Freudensprung circa 250 Mitgliedsbetriebe im Landesverband organisiert. Gerade in den Städten liegt das Verhältnis von Feuer- zu Erdbestattungen seinen Angaben nach bei inzwischen 70 zu 30, teils sogar 80 zu 20 Prozent. Auf dem Land gebe es zum Teil aber noch ein ausgeglichenes 50-zu-50-Verhältnis. In Ammerland am Ostufer des Starnberger Sees spricht Julia Döhla von Urnen als der „Bestattungsform der Zukunft“.
Ein Anliegen ist es ihr auch, den Umgang mit dem Thema Tod zu enttabuisieren. „Wir sterben alle“, sagt sie. Kein Mensch sei für immer auf Erden. „Warum sollen wir dann nicht eine so schöne Atmosphäre wie möglich schaffen.“ Zu der sollen in ihrem Bestattungsunternehmen etwa der offene Kamin und der runde Tisch aus beigefarbenem Naturstein im Besprechungsraum beitragen. Als Trennwände zum Showroom mit den individuell ausgeleuchteten Urnen sollen drehbare Vertikalbeete dienen. Damit will Döhla die Natur in die Innenräume holen, was die freundliche Atmosphäre genauso verstärken soll wie das eigens entwickelte Duftkonzept. „Die Leute sollen gleich sehen, dass hier keine gruseligen Dinge geschehen“, sagt Döhla.
Auf Bestatterin umgesattelt hat die zweifache Mutter vor allem, weil das starre Schichtdienstsystem als Rettungsassistentin einfach nicht mit dem Alltag der Familie zu vereinbaren war. Nachdem sie gekündigt hatte, arbeitete sie zweieinhalb Jahre in der Bäckerei ihrer Eltern mit. Doch das sei keine Berufung gewesen. „Entweder mache ich etwas ganz oder gar nicht“, sagt Döhla. „Ich muss etwas aus ganzem Herzen gerne tun.“
Für die Angehörigen wolle sie ähnlich wie im Rettungsdienst der Fels in der Brandung sein. Damit verbindet sie auch, Erinnerungsmomente an die Gestorbenen zu ermöglichen. Auf Wunsch lässt sie etwa kleine Kissen aus Stoffen aus dem Hausrat anfertigen oder für Kinder Maulwürfe als Kuscheltiere, sogenannte „Trösterchen“. Ein Andenken sollen ebenso individuell angefertigte Schmuckstücke mit maßstabsgerecht verkleinerten Finger- oder Handabdrücken der gestorbenen Angehörigen sein.
In der lange männerdominierten Branche ist Döhla damit Teil einer deutschlandweiten weiblichen Trendumkehr. „Aktuell haben wir deutlich mehr als 50 Prozent Frauen in der Ausbildung“, sagt BDB-Sprecherin Herrnberger. Nachwuchs zu finden sei unproblematisch. Das liege womöglich am riesengroßen Aufgabenspektrum, das die Organisation des Gesamterlebnisses Bestattung mit sich bringe.