Das gewaltige Tafelbild steht gut auf der Bühne der Lothhof-Tenne. Es ist diesem Auftritt gewachsen und es hat etwas zu erzählen. So wie die alte Frau im Zentrum der Tuschezeichnungen offensichtlich ihrer Enkelin Wichtiges mitzuteilen hat. Umgeben sind die beiden von Momentaufnahmen des Krieges: Mord und Vergewaltigung, zerfetzten Körpern und prahlenden Generälen, Flucht, Hunger, Krähen auf Gräbern. Elisabeth Biron von Curland, bekannt als Meisterin des feinen Pinselstrichs, hat die Szenen aufs Papier geschleudert. „Die Geschichten-Erzählerin“ hat sie ihr monumentales Werk genannt, das den Geist der Ausstellung „80 Jahre Kriegsende“ trefflich einfängt.
Auf den Weg gebracht hat die Schau ihre Tochter Christiana Biron. Vor einem Jahr hat sie mit Gleichgesinnten die Initiative „Land-Art Münsing“ ins Leben gerufen, ein Bündnis von rund 20 Kreativen, die sich zu gemeinsamen Projekten zusammentun. „Eigentlich wollten wir das alle zwei Jahre machen“, sagt Biron. „Aber dann war mir klar, wir können den Krieg nicht auslassen.“ Zum Jahreswechsel habe sie zu einem ersten Austausch eingeladen. „Und fast alle waren sofort dabei: Alte, die den Krieg selbst erlebt haben, aber auch Junge, die andere Perspektiven auf das Thema haben.“ Zu erzählen haben sie alle etwas.

Iring de Brauw gehört zu den Älteren. Der 86-jährige Kulturpreisträger des Landkreises hatte für die Ausstellung zunächst nur einige Bilder aus seinem Fundus auswählen wollen. Aber dann tauchte er noch einmal in das Meer seiner Kindheitserinnerungen in Rotterdam ein und geriet offenkundig in einen Schaffensrausch. Nun pflügen sich Auswanderer-Schiffe mit mächtigen Schornsteinen Richtung Amerika durch die Tenne. Bilder, die de Brauw seit seiner Kindheit nicht losgelassen haben.
Auch Maria Neumann hat sich ihren Erinnerungen gestellt und „Wolfskinder“ gemalt - Mädchen und Buben, die im Chaos der Flucht verloren gingen und in der Wildnis ums Überleben kämpften. Zu ihren Acryl-Bildern hat sie auch ein persönliches Erinnerungsstück gestellt. Eine kleine Gitarre. Das fragile Instrument in der abgewetzten Hülle hat ihrem Vater gehört. Er hat es neben seinem Gewehr durch den Krieg getragen.
Kurios ist der Beitrag von Gerhild Reid. Sie wurde am 29. Januar 1945 auf einem U-Boot in der Ost-See geboren. In ihrer Geburtsurkunde sind statt eines Ortes Längen- und Breitengrade eingetragen. Nun hat sie aus Muschelbändern ihre „Maritime Nabelschnur“ geknüpft.

„Die Alten sind unglaublich“, sagt Biron, „so voller Elan, kaum zu bremsen.“ Durch die gemeinsame Arbeit - wer ausstellt, übernimmt auch andere Jobs, vom Putzen bis zum Getränkeausschank - seien sie einander nähergekommen. „Jeder fühlt sich wohl, jeder öffnet sich. Wir sind sehr berührt voneinander.“ Davon zeugen die persönlichen Texte, die alle zu ihren Arbeiten verfasst haben und die in den kommenden Tagen auch unter den Gästen interessante Gespräche in Gang bringen dürften. Denn darum gehe es ihr, sagt Biron: „Die Kunst mit einer sinnhaften Thematik und sozialem Engagement zu verbinden.“
Christiana Biron ist dem Krieg in Sarajevo nahegekommen, wo sie nach dem Balkankrieg sechs Jahre lang gelebt hat. Was Gleichaltrige dort durchlitten hätten, habe sie aufgerüttelt. „Der Krieg war lange mein Thema.“ In der Ausstellung greift sie die Kinderlandverschickung unter den Nationalsozialisten auf. Auch in Ammerland und Ambach habe es solche Lager gegeben, sagt sie. Die Collagen, die sie dazu komponiert hat, zeigen eine aus den Fugen geratene Welt aus Kinderaugen. Wenn ein Vöglein zum Fliegerangriff ansetzt, liegen Poesie und Albtraum eng beisammen.

Die Papierkünstlerin Anna Bellmann, die wie Biron einer jüngeren Generation angehört, zeigt drei neue Werke. In zweien arbeitet sie mit der grau-braunen Asche verbrannten Papiers, die dritte, eine grafische Komposition in Schwarz-Weiß, ist von Daniel Libeskinds „Voids“ im Jüdischen Museum in Berlin inspiriert. Mit diesen Betonschächten hat der Stararchitekt Räume der Leere und des Gedenkens geschaffen. In einem von ihnen, erzählt Bellmann, habe sie allein mit ihrem Sohn gestanden. Und er habe so intensiv geflüstert, dass der Raum von diesem einen Satz erfüllt gewesen sei: „Wir haben keine Zeit.“ Was ihr in diesem Moment klar geworden sei: „Dass man etwas wie den Krieg nur gemeinsam verstehen kann.“


Wer seine Gedanken ordnen will, kann sich zwischen Bildern, Keramiken und Skulpturen, Fundstücken und Fotografien in eine „Schutzhütte“ zurückziehen. In der Jurte aus Filz liegen Stifte und Papier bereit.
Zum Ende des Rundgangs empfiehlt es sich, noch einmal auf die Bühne zu steigen. Links neben der Geschichten-Erzählerin und den Todes-Szenen breitet eine Friedenstaube ihre Flügel aus. Danda Hesselmann hat sie gemalt und dazu die Worte geschrieben: „Ich bin unendlich dankbar, dass ich mein ganzes Leben in Frieden leben durfte.“
„80 Jahre Kriegsende“, Lothhoftenne Münsing, Vernissage am Donnerstag, 8. Mai, 18 Uhr, mit dem Sommer-Sound Chor, geöffnet Freitag, 9. Mai, 16 bis 19 Uhr, Samstag, 10. Mai, 12 bis 19 Uhr, und Sonntag, 11. Mai, 12 bis 19 Uhr.