Wie lassen sich unsere Klima-und Artenschutzziele bis 2030 erreichen? Weil Ernährung eine wichtige Antwort auf diese Frage ist, hat der Klimaschutz-Verein Bürgerkraft Isartal eine solidarische Landwirtschaft gegründet. Mit ökologischem Anbau und kurzen Transportwegen will die "Solawi Isartal" dem Klimawandel entgegentreten. Ihre Ziele haben die Mitglieder hoch gesteckt: 500 Haushalte von Wolfratshausen bis Pullach wollen sie in den kommenden Jahren mit Biogemüse versorgen. Für ihre Landwirte soll ein alternatives System zur kapitalistischen Marktwirtschaft entstehen.
Ella von der Haide, Marcel Tonnar und Peter Tilmann sitzen vor einer Garage in Hohenschäftlarn. Auf dem Klapptisch vor ihnen liegt ein Brettchen mit Scheibchen süßer Roter Beete, hinter ihnen stapeln sich grüne Kisten, jede einzelne gefüllt mit Tomaten und Salaten, mit Gurken, Zucchini, Peperoni, Kohlrabi, Roter Beete und Lauch, mit Koriander, Petersilie und Basilikum. "Das zu packen, das ist ein Genuss", sagt Tonnar. Sie alle seien schon lange und vielseitig ehrenamtlich aktiv, sagt Ella von der Haide, "aber es hat sich noch nie so richtig angefühlt."
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Vor knapp einem Jahr haben sich von der Haide, Tonnar und Tilmann mit ihrer Idee einer solidarischen Landwirtschaft zusammengeschlossen. Nun sind schon 32 Haushalte Teil ihrer Gemeinschaft. Eine Gärtnerin, die ihre Ausbildung bei der Demeter-Gemüse-Gärtnerei Weidenkam bei Bad Heilbrunn machte, bewirtet mit Unterstützung der Gärtnerei einen drei Hektar großen Acker für sie. Jeweils zwei Mitglieder der solidarischen Landwirtschaft Isartal holen das Gemüse einmal die Woche ab, verteilen es auf die Kisten und bringen diese an die Abholstationen in Icking, Pullach, Baierbrunn und Schäftlarn. Die Mitglieder des Vereins holen sich ihre Gemüsekisten dann dort ab, so wie an diesem Mittwoch an der Garage von Schäftlarns Zweitem Bürgermeister Marcel Tonnar.
Es fühle sich so gut an, sagt von der Haide, "weil es ist fürs Klima gut, für die Arten gut, für die Menschen gut." Tilmann scherzt: "Wir wollen artgerechte Menschenhaltung." Die zukünftigen Gärtnerinnen und Gärtner der Solawi Isartal sollen fair bezahlt werden, ganz gleich, wie ihre Ernte ausfällt. Ihr monatliches Einkommen soll durch die Genossenschaft gesichert sein. "Wir wollen die Unterscheidung zwischen ,die Landwirte da draußen' und 'wir Verbraucher da drinnen' aufheben", sagt von der Haide. Heutzutage ärgerten sich Landwirtinnen und Landwirte "über die Städter, die mit ihren SUVs aufs Land fahren und alles platt trampeln", während Städter Landwirte fürs Artensterben verantwortlich machten. "Das ist ein jahrhundertealtes Ständedenken, das sich bei uns noch fortsetzt", sagt von der Haide, die sich als Wissenschaftlerin in der Städtebauplanung und als Dokumentarfilmerin mit dem Thema befasst hat. "Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen."
Wer an diesem Austausch interessiert ist, kann deshalb bald einen Anteil an der gerade entstehenden Genossenschaft kaufen. 150 Euro kostet dieser. Monatlich kommen 75 Euro für vier Gemüsekisten hinzu, die für zwei bis drei Personen ausgelegt sind. Während heuer bereits 32 Haushalte Gemüsekisten bekommen, sollen es im kommenden Jahr schon 100 bis 200 sein. Im Laufe der darauffolgenden Jahre soll die Gemeinschaft auf 500 Haushalte wachsen. Jedes Mitglied soll ein gleichberechtigtes Mitspracherecht haben, der Ernteertrag für alle gleich groß ausfallen, egal, wie viele Anteile sie erworben haben. Der soziale Gedanke dahinter sei, sagt Tonnar, "dass nicht nur jeder eine Kiste kriegt, der gutes Geld verdient." Tilmann sagt: "Das Besondere ist, dass das Gemüse nicht gekauft, sondern geteilt wird." Das gelte für gute wie für schlechte Ernten.
Tilmann, Tonnar und von der Haide hoffen, dass viele Menschen in den kommenden Monaten einen oder mehrere Solawi-Anteile auch dann kaufen werden, wenn sie 2022 noch keine Gemüsekiste bekommen können. Viele würden Genossenschaftsanteile erwerben, vermutet von der Haide, "weil sie in ihrem Spaziergebiet Biolandwirtschaft wollen". Sie selbst fühle sich unwohl, wenn sie durch die Maisfelder für Biogasanlagen in der Nähe ihres Wohngebietes laufe. Denn für diese gelten weniger strenge Regularien als für den Nahrungsmittelanbau.
Auch an einer anderen Richtlinie stören sich die Umweltschützer: Ein Großteil des Gemüses jeder Ernte kann auf dem freien Markt nicht verkauft werden, weil er bestimmten Normen nicht entspricht. Die Zucchini der Solawi-Kiste hingegen sind unterschiedlich groß, manche haben Dellen vom Hagel, der in den vergangenen Wochen über den Landkreis niederging.
Ebensolchen klimabedingten Wetterereignissen will die Solawi entgegentreten: Der Boden soll besonders humushaltig werden und so das Wasser bei Starkregen besser aufnehmen. Brachflächen sollen entstehen, um ihn dauerhaft fruchtbar zu halten. Sträucher und Wildwiesen sollen dafür sorgen, dass der Boden bei Starkregen nicht weggeschwemmt wird.
Einen Ort für diesen guten Boden sucht die Gemeinschaft gerade noch. Langfristig will sie sich von der Gärtnerei Weidenkam lösen. Mindestens drei Hektar soll das künftige Ackerland groß sein und am besten in unmittelbarer Nähe der Gemeinden von Wolfratshausen bis Pullach liegen. Das neue Land darf nicht mit Bauschutt, Chemikalien oder Altöl belastet sein. Bio-Kriterien muss es aber noch nicht haben. "Es ist ja genau unser Ziel, Nicht-Bioland in Bioland umzuwandeln", sagt von der Haide.
Ideal wäre für den Verein etwa ein Bauernhof. "An Ideen, was wir da machen könnten, fehlt es uns nicht", sagt von der Haide. Es müssten Geräte angeschafft werden, Lagerräume entstehen, und vor allem müsse Wissen gesammelt werden. Bislang gebe es im Isartal für derartigen Gemüseanbau kaum Infrastruktur. Die Solawi Isartal wolle das ändern. Auch andere Projekte sollten von ihrem Wissen und ihren Investitionen profitieren können. "Wir werden viele Strukturen schaffen, die den Gemüseanbau für andere wieder lukrativer machen", sagt von der Haide. Corona habe gezeigt, was passieren könne, wenn Grenzen schließen, sagt Tilmann. "Mit der Ernährung darf uns das nicht passieren."