Erst sollte er bleiben, doch jetzt wird deutlich: Der Kreißsaal in Neuperlach wird voraussichtlich geschlossen – und zwar schon kommendes Jahr im Sommer. Die Koalition im Stadtrat hatte beschlossen, den Kreißsaal bis mindestens 2028 zu erhalten. Doch jetzt heißt es von der München-Klinik (Mük), dem kommunalen Krankenhausunternehmen, zu dem auch das Klinikum Neuperlach gehört: Ein Erhalt der Geburtshilfe in Neuperlach sei gar nicht mehr möglich.
Grund ist der Klinikneubau in Harlaching, wo eine große Geburtshilfe und Gynäkologie geplant ist. Sobald der Neubau bezugsfertig sei, könne es keine Geburten mehr in Neuperlach geben, sagte der Geschäftsführer der Mük, als er kürzlich das neue Medizinkonzept für das gesamte Unternehmen vorstellte. Dieses sieht unter anderem die Umsiedlung des Kreißsaals aus Neuperlach nach Harlaching vor.
Die Mük will den Neubau Mitte 2025 eröffnen – und verweist auf den rechtlichen Rahmen: „Mit Inbetriebnahme des Neubaus in Harlaching erlischt im bayerischen Krankenhausplan die Zulassung des Betriebs der Geburtshilfe in Neuperlach.“
Die betroffenen Hebammen aus Neuperlach besänftigt das nicht. „Wir sind noch wütender als vorher“, sagt Leonie Lieb, eine der Neuperlacher Hebammen, die für den Erhalt des Kreißsaals kämpfen. Plötzlich sei das Argument mit der Zulassung aufgetaucht, vorher sei ihnen das in dieser Klarheit nie transportiert worden, kritisiert die Hebamme.
Im Kreis der Kolleginnen fühle man sich von den regierenden Parteien im Stich gelassen. „Wie kann es sein, dass sie uns was zusagen und dann zurückrudern?“ Tatsächlich haben sowohl die Fraktion der Grünen/Rosa Liste als auch der SPD/Volt, die im Stadtrat die Mehrheit bilden, bereits Anfang vergangenen Jahres reagiert – nachdem die Hebammen in einer Petition rund 23 500 Unterschriften für den Erhalt gesammelt hatten. Es folgten Zusagen und Beschlüsse der Parteien, die Geburtshilfe in Neuperlach zu erhalten, mindestens bis zum Jahr 2028. Doch offenbar hat die Rathaus-Koalition die Rechnung ohne den Krankenhausplan gemacht.
Für die Betriebsratsvorsitzende der Mük, Ingrid Greif, ist der Fall der Neuperlacher Hebammen eine „ganz große Bauchwehgeschichte“. Da habe die Politik zu viel versprochen, sagt sie. Nun gehe es darum, den Prozess des Umzugs nach Harlaching möglichst gut zu gestalten.
Die Hebammen wollen jedoch nicht aufgeben und fordern weiterhin den Erhalt ihres Standorts. In einem offenen Brief adressierten sie jüngst, wie wichtig der Kreißsaal im Bezirk sei. Die Frauen und Familien im Münchner Osten müssten mit einer „deutlich spürbaren gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgungslücke“ rechnen, heißt es da, sollte ihre Abteilung schließen. Zudem sei durch die geplante Zusammenlegung das Angestelltenverhältnis im Kreißsaal von 25 Hebammen bedroht. Man will sich nicht in die Selbständigkeit drängen lassen.
In Harlaching arbeiten die Hebammen freiberuflich im sogenannten Belegsystem, das heißt, sie sind selbständig und rechnen ihre Arbeit direkt mit den gesetzlichen Krankenkassen ab. In Neuperlach dagegen sind die Hebammen reguläre Angestellte der Mük – dadurch verdienen sie zwar etwas weniger als Freiberuflerinnen, profitieren aber von Arbeitnehmerrechten wie bezahlten Krankheitstagen oder Arbeitszeitregelungen.
„Für die Organisation eines Krankenhauses sehr herausfordernd“
Nun steht also ein neues Versprechen im Raum: Dieses Mal sichert die Politik und die München Klinik den Neuperlacher Hebammen zu, einen Weg zu finden, wie beide Gruppen – Freiberuflerinnen und Angestellte – in einem hybriden Modell zusammen in dem Neubau in Harlaching arbeiten könnten. Wie das funktionieren soll, ist jedoch noch unklar. Dem deutschen Hebammenverband zufolge gibt es noch keinen Kreißsaal in Deutschland, wo beide Arbeitsmodelle erfolgreich dauerhaft zusammen existieren würden.
„Ich kenne Versuche, die jedoch nach kurzer Zeit im Alltag gescheitert sind“, sagt Andrea Köbke, Beirätin für den Angestelltenbereich beim Hebammenverband. Die Schwierigkeit bestehe darin, dass man die Leistungen der freiberuflichen und der angestellten Hebammen nicht gemeinsam abrechnen könne – das heißt, zwei Hebammen aus den zwei verschiedenen Systemen könnten beispielsweise nicht dieselbe Geburt betreuen. In der Konsequenz müsste man zwei völlig voneinander getrennt agierende Teams schaffen, sagt Köbke. „Das ist für die Organisation eines Krankenhauses sehr herausfordernd.“
In München zeigt man sich optimistisch: „Selbstverständlich muss eine gute Lösung für die Hebammen in Neuperlach gefunden werden“, sagt zum Beispiel die Gesundheitsreferentin der Stadt München, Beatrix Zurek (SPD). Man wolle gemeinsam an dem neuen Standort ein hybrides System entwickeln. „Ich sehe dem sehr positiv entgegen.“
Es müsse jetzt „mit Nachdruck an einem hybriden System für Harlaching gearbeitet“ werden, sagt auch Angelika Pilz-Strasser, Grünen-Stadträtin und Ärztin sowie Mitglied im Aufsichtsrat der Mük. „Hier hat die Klinikleitung eine aktive Rolle einzunehmen und sollte alles dafür tun, dass die Hebammen aus Neuperlach in Harlaching für sie gute Arbeitsbedingungen vorfinden.“ Die Klinikleitung teilt mit, dass eine Festanstellung für die Neuperlacher Hebammen garantiert werde, je nach individuellem Wunsch. Man stehe dazu mit den Hebammen im Austausch, sagt ein Sprecher.
Eine Analyse des Gesundheitsreferats soll den Umzug rechtfertigen
Ist der Umzug also schon besiegelt? Die SPD/Volt-Fraktion, die mit dem Oberbürgermeister Dieter Reiter auch den Chef des Aufsichtsrats der Mük stellt, hält sich mit endgültigen Aussagen zurück. Die Fraktionsvorsitzende Anne Hübner spricht auch noch nach Beschluss des Medizinkonzepts im Aufsichtsrat immer noch von einem bloß „möglichen Umzug“ nach Harlaching. Man eruiere derzeit alle offenen Fragen. „Bis zur Beschlussfassung im Stadtrat sind noch sechs Wochen Zeit. Überstürzte Festlegungen vor einem Abschluss aller laufenden Gespräche sind deshalb nicht notwendig“, so Hübner.
Doch offenbar gibt es eine Bedarfsanalyse des Gesundheitsreferats, die belegen soll, dass der Umzug der Geburtshilfe aus Neuperlach nach Harlaching keine große Lücke reiße. Die Konzentration auf Harlaching erfolge im Einklang mit dieser Analyse, heißt es von der Mük. Auf dieselbe Analyse bezieht sich auch die Gesundheitsreferentin Zurek, wenn sie sagt, dass „einer endgültigen Verlagerung nach Harlaching nichts entgegenzusetzen“ sei.
Allerdings ist die Bedarfsanalyse noch nicht veröffentlicht. Sie befinde sich gerade in der stadtweiten Abstimmung, heißt es auf Nachfrage beim Gesundheitsreferat (GSR). Dem Gesundheitsausschuss soll sie am 18. Juli zur Abstimmung vorgelegt wird. Den Fraktionen ist sie noch nicht bekannt – sowohl Angelika Pilz-Strasser von den Grünen als auch Stefan Jagel, Vize der Fraktion Die Linke/Die Partei, fordern Einsicht in das Dokument. Es brauche „endlich Klarheit“ über die geburtshilflichen Kapazitäten in der Stadt, so Jagel.