Für die Gemeinde Kochel am See ist die Kesselbergstraße eine wichtige Verbindungsroute zum Walchensee. Auf ihr war Friedl Krönauer früher viel unterwegs. Warum der aus der Kommune stammende Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz (BN) die Passstraße heutzutage am Wochenende lieber meidet, wie er die Klagen über zu viel Verkehr und Lärm am Berg bewertet und die künftige Entwicklung sieht, verrät er im Gespräch.
SZ: Herr Krönauer, einfach mal frei herausgesagt: Ist die Kesselbergstraße heutzutage für Kochel mehr Segen oder Fluch?
Friedl Krönauer: Erst einmal ist es eine wichtige Verbindungsstraße zwischen den Ortschaften Kochel und Walchensee. Es ist die schnellste Verbindung von München Richtung Innsbruck. Traurig ist, das Wort mag zwar etwas übertrieben sein, dass der Kesselberg hauptsächlich als Rennstrecke bekannt ist. Das liegt natürlich an den Kesselbergrennen der 1920er- und 1930er-Jahre. Dass ein Motorradfahrer die kurvenreiche Strecke liebt, verstehe ich sogar.
Aber über lärmende und rasende Motor- und Sportwagenfahrer regen sich doch viele Einheimische zunehmend auf.
Für mich ist die ganze Sache problematisch, wenn dadurch so viele in ihrem Ruhebedürfnis beeinträchtigt werden. Das Fahrverbot für Motorräder am Wochenende und an Feiertagen beeinträchtigt natürlich auch die, die keine Rennen fahren. Es gibt ja auch Einheimische, die mit dem Motorrad unterwegs sind. Was wirklich etwas bringen würde, wäre an Stellen im Kurvenbereich einfach Kopfsteinpflaster zu machen. Die Attraktivität, schnell um die Kurve zu fahren, muss genommen werden.
Sind für Sie die Sonn- und Feiertagsfahrverbote am Kesselberg dann gar nicht so sinnvoll?
Man müsste einfach einmal probeweise ein Wochenende freigeben und schauen, wie sich das entwickelt. Als BN-Kreisvorsitzender sage ich aber, je weniger Autos und Motorräder rauf und runter unterwegs sind, desto besser. Wir dürfen nicht vergessen, dass zwar untertags viele Motorradfahrer unterwegs sind, nachts aber ganz intensiv die Sportwagen. Das ist genau dasselbe. Die meinen dann, die Straße gehört ihnen. Das ist mindestens genauso problematisch.
Bis jetzt scheint es aber noch keinen wirklich idealen Lösungsansatz zu geben.
Der Druck aus der Gesellschaft müsste eben größer werden. Es ist schnell so dahin gesagt, dass dies und das nicht geht. Ich nehme der Gemeinde Kochel ab, dass sie das Problem ernst nimmt. Aber das letzte Quantum Entschlossenheit fehlt mir. Schließlich wirbt Kochel mit Plakaten wie "Naturschutz beginnt bei Dir" und inszeniert sich als ruhigen und beschaulichen Tourismusort. Gerade abends haben die Einwohner 200 bis 300 Meter rechts und links der B11 aber ein Recht auf Ruhe. Das fängt ja schon damit an, dass die Motorradfahrer ab 16, 17 Uhr durch Benediktbeuern und Schlehdorf anfahren. Der Lärm ist eine Beeinträchtigung - und das nur für den Spaß und Sport ein paar weniger. Der Schall wird über den Kochelsee auch weit getragen.
Sollte man das Motorradfahren am Kesselberg dann lieber gleich ganz verbieten?
Das Sankt-Florians-Prinzip bringt nichts. Dann sind die Motorradfahrer eben anderswo unterwegs. Ich bin nicht derjenige, der sagt, wir müssen das jetzt ganz verbieten. Wenn die Motorradfahrer vorschriftsmäßig am Kesselberg unterwegs sind, habe ich auch gar kein Problem damit. Nur das Kurvenfahren darf nicht mehr so attraktiv sein. Dann ist die ganze Geschichte perdu.
Wäre ein Infrastrukturprojekt wie der Bau der Kesselbergstraße vor 125 Jahren heute noch ohne große Proteste vorstellbar?
Fragen Sie doch meinen BN-Kollegen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Der Tunnel Oberau ist gerade eröffnet, der Kramertunnel im Bau und der Wanktunnel steht schon in den Startlöchern. Es sind schon sensible Eingriffe in die Natur passiert. Solche Infrastrukturprojekte sind die Heilige Kuh der Politik. Klagen des BN sind nahezu erfolglos.
Protest ist also sinnlos?
Momentan ist das Bewusstsein in der Gesellschaft noch sehr auf die individuelle Mobilität fokussiert. Von heute auf morgen wird es dafür auch keine Lösungen geben. Gerade auf dem Land ist die Bevölkerung noch sehr stark auf das Auto angewiesen. Im BN-Arbeitskreis Alpen haben wir uns schon für autofreie Bergstraßen ausgesprochen so wie von Rottach-Egern rauf zur Moni-Alm im Suttengebiet. Straßen wie am Kesselberg würden sich aber nicht problemlos sperren lassen. Da sind ja auch viele Pendler und Urlauber unterwegs.
Damit sind wir beim ganz normalen Alltags- und Ausflugsverkehr angekommen. An schönen Wochenenden staut sich sowieso schon alles am Kesselberg.
Es wird sich nichts tun, wenn nicht die öffentlichen Verkehrsverbindungen besser werden. Als erstes müssen Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die Leute ohne großen Zeitverlust und nicht zu teuer rauf zum Walchensee kommen. Alle 20 Minuten müsste ein Bus kommen. Wenn der Verkehr weniger wird, könnte man vielleicht auch einen Bereich auf der Kesselbergstraße für Fahrrad- und E-Bikefahrer abtrennen. Für die wäre es interessanter, nicht mehr in einer Abgaswolke unterwegs zu sein.
Den öffentlichen Nahverkehr so auszubauen, kostet aber viel Geld.
Wenn ich sehe, wofür wir alles Geld ausgeben, ist das für die Zukunft wesentlich besser investiert. Von der Individualmobilität müssen wir uns ein Stück weit verabschieden.
Was sagen Sie denjenigen, die sich ihr eigenes Elektroauto auch künftig leisten und damit unterwegs sein wollen?
Als BN-Kreisvorsitzender habe ich natürlich ein anderes Verständnis von Mobilität. Trotz der verheerenden Wetterkapriolen und dem Wassermangel etwa in Südeuropa haben manche offensichtlich immer noch nicht verstanden, welche Auswirkungen das Verbrennen von Kraftstoffen auf unsere Zukunft hat. Die Zusammenhänge sind ja auch komplex. Wenn wir alle elektrisch fahren, interessiert das das globale Wettergeschehen einen feuchten Kehricht. Wir müssen uns umstellen. Das wird so nicht weitergehen.
Dass jemand trotzdem mit dem Auto zum Walchensee fährt, wird sich aber doch gar nicht verhindern lassen.
Das darf nicht der Geldbeutel entscheiden. Für eine Familie muss es möglich sein, mit Zug und Bus kostengünstig zum Walchensee zu kommen. Dafür muss das Angebot möglichst niedrigschwellig sein. Und für alle anderen müssen wir eben die Parkplätze am Walchensee reduzieren. Die Gebühren dafür könnten auch ruhig höher sein. Der Naturraum dort oben verkraftet nur eine begrenzte Kapazität an Automobilen. Ich frage mich, was der Gast haben möchte: eine einmalige Naturlandschaft oder eine Autoshow. Die Frage sollte sich eigentlich von selbst beantworten.
Wie nutzen Sie selbst eigentlich die Kesselbergstraße?
Bis vor ein paar Jahren bin ich selbst noch relativ regelmäßig die Kesselbergstraße raufgefahren, um eine Skitour am Herzogstand zu machen oder auf den Jochberg zu gehen. Am Wochenende meiden die meisten Einheimischen den Walchensee. Ich bin dann auch so gut wie nicht mehr oben. Wenn sich da Autos an Autos reihen, ist der Spaß auch nicht mehr so groß. Sich umzustellen, ist nicht ganz einfach, aber es geht nicht anders. Wenn wir eine enkeltaugliche Zukunft wollen, müssen wir uns dieser Erkenntnis stellen.
Ihr Mobilitätsverhalten haben Sie also schon umgestellt?
Ich habe selbst ein Elektroauto, bin aber trotzdem nicht mit dem reinsten Gewissen unterwegs. Ich selbst fahre viel mit dem Rad, größere Strecken mit dem Zug. Auf Skitour am Herzogstand war ich sicher schon drei Jahre nicht mehr. Ich habe einiges grundlegend geändert. Das war ein gewisser Reifeprozess. Die Skitour am Wochenende findet direkt vor der Haustür statt. Dafür radle ich jetzt eben Richtung Heimgarten. Wenn wir mit dem Auto für eine Skitour wo hinfahren, dann zu sechst oder siebt in einem Fahrzeug und das für längere Zeit, also so vier, fünf Tage. Am Kesselberg bin ich meistens sowieso nur dienstlich, bergwachtmäßig, unterwegs. Ich mag aber nicht ausschließen, dass ich nicht auch einmal abends mit der Familie und der Enkelin zu viert im Auto zum Walchensee fahre. Ehrlicherweise muss ich auch sagen, dass sich die Anzahl der Wochenenden, an denen der Verkehr am Walchensee so heftig ist, wieder etwas verringert hat.
Ist die Aufregung also übertrieben?
Da muss man unterscheiden. Die Walchenseekonferenz zum Verkehr gab es ja schon vor Pandemiebeginn. Problematisch finde ich vor allem dieses Feindselige gegen die Nicht-Einheimischen aus der Stadt. An den Walchensee kommen nicht nur die Münchner, sondern Leute aus der ganzen Umgebung von Penzberg bis Murnau und auch aus Tirol. Man muss sich ja nur die Autonummernschilder anschauen.
Müssten Sie als BN-Kreisvorsitzender aber nicht viel lauter für eine echte Mobilitätswende werben?
Ein paar Sachen sind in jüngster Zeit gereift, konkret ist das aber noch nicht. Wir müssen versuchen, Mitstreiter zu gewinnen. Der BN allein kann das nicht erreichen. Wir brauchen eine Strategie, wen wir uns ins Boot holen. Zum Kesselberg wird sich der BN in naher Zukunft zu Wort melden. Dafür ist vielleicht der Arbeitskreis Alpen geeignet. Wir werden etwas machen. Es braucht aber eine starke Zivilgesellschaft. Wir müssen lauter werden, um über die Lebensqualität grundlegend zu diskutieren.