Mitten in Wolfratshausen:Von Künstlern und Nutzern

Eine poetische Installation auf dem Sebastianisteg und ein ziemlich unnötiges Amtsschreiben

Von Konstantin Kaip

Mit der Kunst ist es so eine Sache. Sie kann viel Arbeit machen, aber was ihr Zweck ist, hat viel mit Geschmack zu tun. Der Philosoph Immanuel Kant, der sich in seiner "Kritik der Urteilskraft" mit der Ästhetik befasst hat, führt ein "Geschmacksurteil" auf ein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand zurück, das nicht von Nutzungserwägungen bestimmt ist. Der Kunst gesteht er eine "Zweckmäßigkeit ohne Zweck" zu. Solche Erwägungen bestimmen indes nicht die Urteilspraxis der Wolfratshauser Stadtverwaltung, wie der Kulturreferent und CSU-Stadtrat Alfred Fraas kürzlich erfahren musste.

Fraas hat der Stadt in Zusammenarbeit mit Marianne Wirth-Grabow ein temporäres Kunstwerk geschenkt: eine Installation auf dem Sebastianisteg, die Passanten seit Beginn der Kunstmeile staunen und ihre Handys zücken lässt. Unter dem Dach der Loisachbrücke hängen von Schülern bunt bemalte Vogelhäuschen und Geäst, dazu zwitschert es aus Lautsprechern, wenn Leute vorbeigehen. Das Ganze hat Fraas kunstvoll so beleuchtet, dass in einer Minute ein symbolischer Tag vergeht: Erst strahlt es rot von Osten, dann wechselt das Licht von blau zu grün und wandert nach Westen. Den Wolfratshausern gefällt das sehr gut. So gut, dass Kunstmeilen-Chef Hans-Werner Kuhlmann auf Bitten der Bürger beantragen ließ, die Installation auch nach der Vernissage noch hängen zu lassen - wie schon vor zwei Jahren, als Fraas auf der Fußgängerbrücke von Schülern gestaltete Eiskristalle einen Winter lang erleuchtet hat. Daraufhin hat die Stadt dem Lichtkünstler einen Nutzungsvertrag zukommen lassen.

Das Papier hat Fraas, der nach eigenen Angaben inklusive Vorbereitung 14 Tage an dem Projekt gearbeitet und Technik im Wert von 12 000 Euro verbaut hat, "ziemlich konsterniert", wie er sagt. Der Kulturreferent hält es nämlich eher mit Kant, er sieht sich keineswegs als Nutzer des Sebastianistegs. Deshalb hat er sich geweigert zu unterzeichnen. "Ich mach' das ganze Zeug hier, und dann soll ich einen Mietvertrag unterschreiben", sagt er. Dass die Stadt das in "unsäglichem Amtsdeutsch" verfasste Schreiben, wie es sein Fraktionskollege Peter Plößl am Donnerstag im Kulturausschuss nannte, mit Versicherungsgründen rechtfertigte, wollte Fraas nicht gelten lassen. Er hafte ohnehin und habe eine Berufshaftpflichtversicherung. Die Stadt habe die Installation schließlich nicht beauftragt.

Die Sache konnte dann in einem Gespräch am Loisachufer relativ schnell geklärt werden. Auf dem Sebastianisteg darf es zunächst bis Mitte November weiter leuchten und zwitschern, auch ohne Nutzungsvertrag. Stadtmanager Stefan Werner, dem die Schlichtung laut Plößl zu verdanken ist, möchte sich zur Sache nicht äußern. Und auch der Zweite Bürgermeister Fritz Schnaller, der derzeit die Geschäfte im Rathaus führt, zieht es vor, über "zwischenmenschliche Interna" zu schweigen. Das Ganze habe eine "emotionale Ebene", sagt er nur. Mit der Kunst ist es eben so eine Sache: Sie hat nicht nur viel mit Geschmack, sondern auch mit Gefühl zu tun.

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