Mitten in Wolfratshausen:Erde, wem Erde gebührt

Die Qual der Wahl hat man mittlerweile nicht nur beim Besuch von Kaffeeketten

Von Claudia Koestler

Da hätte man fast geglaubt, in der Loisachstadt sei man noch weitgehend verschont von den ach so kreativen und epidemischen Neuschöpfungen des Alltags: Hier gibt es schließlich in inhabergeführten Cafés statt in Kettenläden noch ganz normalen Filterkaffee zu bestellen, keine Begriffslabyrinthe wie einen "Grande Latte Frappuchino single shot Kürbisgeschmack mit Sojamilch" oder Ähnliches. Nein, hier ist das höchste der Gefühle noch immer verlässlich der gute alte Kaffee, Cappuchino und der schon fast verwegen moderne Latte Macchiato, und draußen gibt's sowieso nur Kännchen.

Allerdings bezieht sich die Sortimentsbeschränkung in Wolfratshausen tatsächlich nurmehr auf Kaffeespezialitäten, wie sich herausstellt. Die Sonne scheint, die Eisheiligen sind durch, höchste Zeit also, mit den fleißigen Nachbarn gleichzuziehen und den Balkon zu begrünen. Also nichts wie ab in den Fachmarkt, für einen Sack Erde. Doch ganz so einfach ist das in diesen modernen Zeiten nicht mehr. In der entsprechenden Abteilung standen ratlose Menschen herum. Die Mehrzahl studierte das Kleingedruckte der Verpackungen, andere ließen sich beraten. Das Problem war nicht zu wenig Auswahl, sondern genau das Gegenteil.

Auf den Paletten stapelten sich nämlich die Plastikgebinde mit den schönsten Eigenschaften: Erde gab es da in "bio", in "vital" und sogar als "standorttolerant". Und überhaupt die unterschiedlichen Gattungen: Sollte es Rasenerde, Anzuchterde, Kräutererde, Tomatenerde oder doch Premiumerde sein? Die Verwirrung war komplett. Denn welch botanischer Balkonlaie weiß schon, ob "torffrei" etwas Gutes ist, oder doch eher ablehnen sollte? Und was ist eigentlich "leichte Erde"? Man will schließlich seinen Pflänzchen nicht das Falsche mitbringen, aus Versehen. Und dann welken sie dahin, so wie das Gesicht des Gatten, wenn man ihm Krawatte und Socken mitbringt, obwohl man es doch nur gut meinte.

Am Ende die Lösung: "Universalerde". Das dürfte so ziemlich der Filterkaffee unter den Erden sein, denkt der Laie frohgemut. Und wenn die Pflänzchen doch protestieren, dann bleibt eines übrig, was man mit dieser Erde sicher problemlos machen kann: vergraben.

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