Mitten in Schäftlarn:Schutz für den Bücherschrank

Man könnte meinen, in Schäftlarn lebten Vandalen oder deren Nachfahren

Kolumne von INGRID HÜGENELL

Wenn man der Argumentation der Schäftlarner Verwaltung folgte, könnte man glauben, in dem 5600-Einwohner-Ort im Isartal lebten die Vandalen, oder jedenfalls zahlreiche ihrer modernen Nachfahren. Denn die Verwaltung hält es für nicht zielführend, "einen ungeschützten Bücherschrank in der Nähe des S-Bahnhofs Hohenschäftlarn" aufzustellen - zu groß sei das Risiko, dass er beschädigt werde. Hm. Warum berichtet dann der Leiter der Grünwalder Polizeiinspektion, die für Schäftlarn zuständig ist, jedes Jahr bei der Bürgerversammlung, der Ort sei geradezu eine Insel der Seligen, was die Kriminalitätsrate angeht?

Das scheint nicht recht zusammen zu passen, aber vielleicht muss man einfach anders denken. Wenn man keinen Bücherschrank aufstellt, kann den auch niemand beschmieren oder kaputt machen, die Polizeistatistik bleibt sauber und alles ist gut. Nun hatten aber die Grünen im Schäftlarner Gemeinderat einen solchen Schrank beantragt, in den jeder, der möchte, Bücher stellen kann, die er nicht mehr braucht. Im Gegenzug kann jeder, der Lesestoff sucht, sich aus dem Schrank bedienen, und das kostenlos. In vielen Städten und Gemeinden funktioniert das, in Icking und Wolfratshausen ebenso wie in München, wo die Polizei doch ein klein bisschen mehr zu tun hat als in Schäftlarn.

Die beinahe schon salomonische Lösung: Die Gemeinde baut ein Buswartehäuschen an den S-Bahnhof, direkt neben dem neuen Basistelefon, das die Telekom dort kürzlich installiert hat. Der Bücherschrank wird in das Wartehäuschen integriert. Nebendran steht auch noch eine gemeindliche Infotafel. Da entsteht also praktisch ein Hotspot des öffentlichen Lebens. Nur, wann das sein wird, ist ungewiss. "Mittelfristig", heißt es in dem Antrag, dem der Gemeinderat am Mittwoch einhellig zustimmte. Mittelfristig ist ein dehnbarer Begriff. Dabei an Projekte zu denken, die sich schon jahrelang hinziehen, wie bestimmte Umgehungsstraßen, ist aber ganz bestimmt falsch.

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