Mitten in Dietramszell:Offene Tür ins tiefe Blau

Will man das wirklich alles sehen - Krematorien, Hochbehälter ...?

Kolumne von Klaus Schieder

Der Tag der offenen Tür wurde einst erfunden, um Besuchern einen halben Blick hinter die Kulissen zu gönnen. In jene Zone also, wo sonst oftmals ein rechtes Tohuwabohu herrscht, das man nun jedoch um der Transparenz willen beseitigt hat. So darf sich der Gast beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin darauf einstellen, dass er kein Smartphone-Foto von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Büro im Wortgefecht mit Bundesinnenminister Horst Seehofer knipsen wird, vielleicht aber eines von ihrem aufgeräumten Schreibtisch. In Stade kam auch ein Bestattungsinstitut auf die Idee, das Publikum einen Tag lang durch seine Räume paradieren zu lassen. Da es außer Kerzen auf Kerzenhaltern dort in der Regel eher wenig Erhellendes zu besichtigen gibt, dürften sich die Gäste vor allem um die ausgestellten Särge gedrängt haben. Von wegen Probeliegen und so. Das führt gleich weiter nach Kiel, wo es einmal einen Tag der offenen Tür in einem Krematorium gab, wobei auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig war, welche Türen da für die Besucher offen standen und wie das mit den Vorführungen gemeint war. . . Okay, Schluss damit.

In Dietramszell gibt es am kommenden Samstag auch einen interessanten Tag der offenen Tür: Der Hochbehälter Jasberg wird von 9 Uhr an in stündlichen Führungen vorgestellt. Wer gleich in der Früh kommt, muss nicht behände zur Seite springen, sobald die Tür geöffnet wird: Das Trinkwasser für 1500 Haushalte befindet sich sicher in zwei je 400 Kubikmeter fassenden Speicherzylindern aus Edelstahl, die alleine schon eine Sehenswürdigkeit sind, wenngleich die ganze. Ein Wow-Erlebnis ist aber allemal garantiert. Zudem wird der Besuch gewiss noch angereichert mit allerlei technischen Fakten und Daten, die man schon immer mal wissen wollte, bislang allerdings nur rudimentär herbeigoogeln konnte. Anders als etwa die Berichte über Risse im alten Hochbehälter, Keime, gechlortes Trinkwasser und einen Kostensprung von 20 Prozent für den Neubau. Doch das sind olle Kamellen. Beim Tag der offenen Tür in Jasberg können die Besucher also einfach mal die tiefblaue und leere Unterwasserwelt genießen. Und das ist allemal aufmunternder als der Blick ins tanzende Feuer eines Krematoriums.

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