Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Wer raufkommt, kommt auch runter

Stricke und Leitern zeugen von einer Baumbesetzung - allerdings anders als man denkt...

Glosse von Patrizia Steipe

An der großen Buche hängt eine Strickleiter, an anderen Bäumen stehen Leitern. Man könnte glatt meinen, dass sich Aktivisten für eine Baumbesetzung vorbereiten. Um eine mögliche Baumbesetzung handelt es sich bei diesen Vorsichtsmaßnahmen im Garten tatsächlich - allerdings anders als man denkt. Der Grund ist die neue Hauskatze der Nachbarn. Im Winter war sie eingezogen und wurde seitdem in der Wohnung an die neue Familie gewöhnt. Jetzt ist die Zeit gekommen, um aus dem Stubentiger einen Freigänger zu machen. Doch nicht nur Eltern fällt der Abnabelungsprozess von ihren heranwachsenden Kindern schwer. Auch bei den zweibeinigen "Dosenöffnern" muss erst das Vertrauen wachsen, dass Mieze die Gefahren vor der Haustür auch meistern wird.

Also wird die Katze anfangs noch mit einer Leine ausgeführt. Doch die wird angesichts überbordenden Temperaments schnell zu kurz. Das nächste Mal darf sie schon ohne Leine raus. Keine zehn Sekunden, und schon klettert sie schnurstracks auf einen Baum. Sofort wird eine Rettungsaktion gestartet, eine lange Leiter angelegt und das Tier gepflückt. Und so geht es die nächsten Tage weiter: Kaum vor der Tür, springt die Katze auf den Baum und die Familienmitglieder auf die Leitern - unbeirrt und immun gegen schlaue Sprüche aus der Nachbarschaft, die in der Aussage gipfeln: "Es ist noch keine Katze im Baum verhungert" oder "wer raufkommt, kommt auch wieder runter". Tatsächlich aber fällt es Katzen wegen ihrer Krallen viel leichter, auf einen Baum hinauf als herunter zu klettern. Erfahrene Katzen klettern oft einfach rückwärts oder springen, wenn es nicht zu hoch ist. Unerfahrene Tiere kennen diesen Trick nicht.

Das Internet ist voll von Geschichten über Katzen, die tage- und nächtelang elendiglich miauend in Bäumen feststecken. Zur Rettung wird in solchen Fällen zumeist die Feuerwehr gerufen. Ein Kater etwa wurde schon mit Wasserwerfern zum Umkehren gezwungen, für eine Katze ein Ast abgesägt. Oder die Besitzer wurden per Drehleiter in den Baum gefahren, um dort ein fauchendes und kratzendes Etwas einzusammeln. Beim nächsten Ausflug der Katze in den Garten nimmt man sich jedenfalls vor, eine weitere Leiter zu reichen - ganz ohne Häme.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2021
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