Mitten in der Region:Herbstdepression umgekehrt

In normalen Jahren darf man sich im November mit einer Tasse Tee auf die Couch verdrücken. Nicht so 2018

Kolumne von Katharina Schmid

Regen, Nebel, Kälte. So sah der November aus, anno dazumal. Es war die schönste Zeit im Jahr, um sich an einer heißen Tasse Tee festzuhalten, sich die Decke bis hoch unters Kinn zu ziehen und tief in der Couch zu versinken. Am besten mit einem möglichst dicken Buch auf dem Schoß oder guter Musik im Ohr. Der elfte Monat des Jahres war ein Garant für Ruhe und Erholung, dafür, ohne schlechtes Gewissen zu Hause bleiben und nichts tun zu dürfen. Manchmal, wenn sich die nebeligen, lichtlosen Tage besonders lang hinzogen, wuchs sich dieses Nichtstun zu Langeweile und Lustlosigkeit oder gar zu einer handfesten Herbstdepression aus.

2018 ist anders. 2018 ist auch der November anders. Er grinst einen mit seiner immerwährend guten Laune an und setzt alles daran, einen vom Granteln und Grummeln abzuhalten. Am Morgen beim Blick aus dem Fenster: Sonnenschein. Mittags: Sonne im Gesicht beim Essen auf dem Balkon, die Ärmel hochgekrempelt. Abends: auf dem Rad zum Treffpunkt mit Freunden, ohne Mütze und Schal, nicht nötig an einem lauen Novemberabend wie diesem. Und am Wochenende? Noch mal in die Berge, vielleicht ja das letzte Mal in diesem Jahr! Am Gipfel: kein Lüftchen, angenehme Temperatur und ja, natürlich, Sonne.

Schön ist das alles zwar schon irgendwie. Doch mal ehrlich, wer sehnt sich nicht auch nach ein bisschen mehr Nebel und Regen und damit der Legitimation zum Stubenhocken? Man wäre damit nicht allein. Auffällig oft soll es in diesem November zu umgekehrten Herbstdepressionen kommen. Darauf weisen Umfragen im Freundes- und Bekanntenkreis hin. Stöhnen am Morgen, wenn den Depressiven die Sonnenstrahlen wach kitzeln. Unwille am Mittag, wenn er doch noch mal am Balkon sitzen muss, bei dem Wetter! Lustlosigkeit am Abend, wenn der Schlechtwetterhungrige noch mal aus dem Haus soll, denn vielleicht ist es ja diesmal der letzte laue Abend im Jahr. Kann es nicht einfach mal November sein, regnerisch, neblig und trüb?

Ach ja, die Prognose für die kommenden Tage: sonnig. Aber immerhin kühler.

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