Mitten in der Region:Den Pendler im Blick

Über die Bahn wird viel gejammert. Aber man muss sie auch mal loben

Kolumne Von Karin Kampwerth

Schal über den Mund, Kapuze tief im Gesicht, die klammen Finger in Handschuhe verpackt: Der Winter ist was Feines, kann man doch recht anonym durch die Gegend hetzen. Kein Schwätzchen mit der Nachbarin drei Häuser weiter, an der man üblicherweise natürlich nicht grußlos vorbei laufen kann. Und auch Kater Moritz, eine schnurrende Institution, die stark an den dicken Garfield erinnert, bekommt ausnahmsweise keine Streicheleinheiten. Kurzum: Alles, was einen so aufhält auf dem Weg zur S-Bahn, die je nach Begegnungslage zuverlässig verpasst wird, ist in der richtig kalten Jahreszeit eliminiert.

Die auf die Sekunde durchgetakteten sieben Minuten Fußweg zum Bahnhof sind also durchaus unterbrechungsfrei drin. Überprüfen lässt sich das freilich nicht. Denn aufgrund besagter Verpackungen von diversen Gliedmaßen lässt sich nur mit einem nicht eingeplanten Zeitverlust das Handy aus der Tasche nesteln, um zu überprüfen, wie spät man wirklich dran ist. Das ganze Vertrauen gehört der inneren Uhr, die üblicherweise recht richtig tickt.

Umso größer die Überraschung, als gefühlte zwei Minuten zu früh und noch weit vor Erreichen von Treppe und Unterführung die S-Bahn einfährt. Aber ist es die eingeplante? Oder die verspätete Vorgängerin? Also lieber einen Zahn zulegen und losspurten, wie andere Fahrgäste das ebenfalls tun. Das muss der S-Bahn-Fahrer mitbekommen haben. Über das Bahnhofmikrofon ruft er den Rennenden zu: "Sie müssen sich nicht beeilen. Wir stehen hier bestimmt noch eine Minute."

Gang runterschalten, Schal lockern, Kapuze zurück: Da könnte man ja glatt noch ein Schwätzchen halten - am besten mit dem freundlichen S-Bahn-Fahrer, zum Beispiel, um Danke zu sagen. So viel Zeit muss sein.

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