Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bad Tölz:Wer erzieht hier wen?

Manchmal muss einfach jemand das Offensichtliche aussprechen - und wenn es ein Kind im Supermarkt ist

Von Alexandra Vecchiato

Es gibt Momente, da weiß man nicht so recht, ob man versehentlich das Raum-Zeit-Kontinuum verlassen oder einfach nur in Erziehungsfragen völlig versagt hat. Am Samstag beim obligatorischen Einkauf fürs Wochenende trug sich Folgendes zu: Eine Frau mittleren Alters in Begleitung ihrer Teenager-Tochter flitzt mit dem Einkaufswagen zwischen den Regalreihen im Supermarkt umher. Eifrig wird der Wagen befüllt - und wie so oft kommt es zum typischen Eltern-Kind-Dialog: "Nein, das legst du bitte wieder zurück", sagt die Mutter. Tochter nörgelt. "So was essen wir nicht", insistiert die Erziehungsberechtigte. Und schon bricht es aus der Tochter heraus: "Schau, da gibt es sogar Bio-Kaugummis. Da kannst deinen Bio-Tick so richtig ausleben. Manno."

Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund. Mitunter kann aber so ein Kindermund einem richtig in peinliche Situationen bringen. Wie der beste Neffe auf der Welt, damals gerade mal fünf Jahre alt, als er ebenfalls im Supermarkt zuschlug. Samstagmittag, lange Schlange an der Kasse. Kind sieht, dass die erwachsene Süßigkeiten-Beschafferin an seiner Seite eine Plastiktüte in der Manteltasche stecken hat. Wohlbemerkt, schon bezahlt und - ökologisch wenigstens halbwegs korrekt - mehrfach verwendet. "Was hast du denn da?", fragt der Fratz. "Eine Plastiktüte. Die brauchen wir dann." Die Stirn des Kindes legt sich in Falten, es guckt, um dann lautstark herauszuprusten: "Das hast du geklaut!" Schwupps, 40 Augenpaare heften sich auf Bub und Begleitung. Herr, sei gnädig, der Erdboden möge sich auftun, so oder so ähnlich mag sich das Stoßgebet angehört haben.

Oder diese Szene: Bub im Wohnzimmer der Großeltern. Er zieht an der Tischdecke, das gute Porzellan samt Feiertagsbesteck droht auf dem Boden zu landen, Messer voraus, was ja auch gefährlich für das Kind werden kann. Zum ersten und einzigen Mal lässt sich das Kollektiv der Erwachsenen dazu hinreißen, etwas von Klaps auf den Po zu sagen. Und was macht der Bengel? "Ihr haut mich nicht. Ich hau mich selbst", kreischt er, schmeißt sich bäuchlings auf den Boden und klopft mit den Händchen auf seinen Po. Da steht man da als Erwachsener, zwischen Lachkrampf und der Erkenntnis, dass noch ein weiter, weiter Weg vor einem liegt. Ooommmm.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2016
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