Mitten in Bad Tölz:Hartz IV für Politiker

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Hefte raus! Klassenarbeit! Ganz so drastisch ist es beim Sozialhilfe-Unterricht der Arbeitsagentur für die Kreistagsabgeordneten nicht zugegangen - aber fast

Von Klaus Schieder

Es ist manchmal ein Elend mit den Bürgermeistern, Stadträten und anderen Ahnungslosen im Kreistag. Dösen im Sitzungssaal die Zeit ab, starren unentwegt auf ihr Laptop, haben Dusel, wenn sie vom Nachbarn zur Abstimmung gestupst werden. Wofür sie die Hand heben, wissen sie nicht so genau. Schon gar nicht, wenn es um Arbeitsagentur und Jobcenter geht. "Null Ahnung" hätten sie, was in seinem Laden los ist, glaubt Jobcenter-Chef Andreas Baumann. Wenn sie in den Unterlagen etwa von "KdU-Erstattung steigt auf 44,6% (flüchtlingsbedingter Mehraufwand)", von Miete in "staatl. Gem. Unterk." lesen. Manchem Kreisrat brummt ob solcher Kryptik der Schädel, also sagt er eben Ja zu Was-auch-immer und denkt an ein Zitat von Goethe, das jeder kennt.

So geht's nicht, meint Baumann. Zusammen mit dem Leiter der Tölzer Arbeitsagentur hatte er deshalb einige Mitarbeiter zusammengetrommelt, die sich jüngst zu den Beratungen des Kreistags im Foyer vorm Sitzungssaal die Beine in den Bauch standen. Ihr Auftrag: Sie sollten die Herren und Damen Mandatsträger an mitgebrachten Kathedern... , pardon, Stehtischen ins Einmaleins ihrer täglichen Arbeit einweihen. Zum Lehrstoff gehörte die Frage, was Hartz IV ist, und dass dies nichts mit der klebrigen Flüssigkeit zu tun hat, die aus Bäumen tropft. Oder auch, dass die SUVs der Politiker nicht gleich beschlagnahmt werden, sobald Mandat und Job verloren gehen.

Irgendwie müssen die Kreisräte was geahnt haben, denn sie tagten und tagten bis in den Abend hinein. Vielleicht tauschten sie drinnen noch Urlaubserlebnisse aus und hofften, dass denen da draußen die Warterei zu dumm wird. Dem war aber nicht so. Einigen Politikern fiel im Davonhasten nur die dünne Ausrede ein, sie hätten noch einen Termin. Andere mussten sich in die ebenso komplexe wie geheimnisumwitterte Welt der Arbeitsvermittlung einführen lassen. Das habe sich rentiert, sagt Baumann. Für seinen Unterricht gebührt dem Jobcenter-Rektor allemal tiefer Respekt. Umso mehr begleitet ihn der Wunsch, dass ihm die Kreisräte nächstes Jahr nicht besserwisserisch den Acht-Millionen-Etat kürzen.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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